Über Ungarn setzt der Pilot zum Landeanflug an. Eigentlich sollte der Ferienflieger von Condor, Flugnummer DE490, 140 Menschen an Bord, aus Berlin erst im ägyptischen Hurghada am roten Meer landen. Doch dann geht ein Anruf ein, eine "unspezifische Drohung", wie es bei der Airline heißt. Eine Bombe könnte sich an Bord befinden.
In Budapest durchsucht Polizisten Flugzeug und das Gepäck, Sprengstoff finden sie keine. Entwarnung. Nach ein paar Stunden können die Passagiere weiterreisen, ein anderes Flugzeug bringt die Urlauber nach Hurghada.
Die Notlandung ist nur das jüngste Beispiel in einem Jahr voller schlechter Nachrichten für Touristen. Gezielt suchen sich Terroristen Urlauber als Opfer aus: Erst in Tunesien, wo Attentäter im März ein Museum in Tunis stürmten und dann im Juli einen Hotelstrand zum Tatort machten. 62 Menschen starben. In Ägypten, wo wahrscheinlich Attentäter des "Islamischen Staats" einen russischen Passagierjet mit 224 Menschen an Bord über der Sinai-Halbinsel explodieren ließen. Und auch in Paris. "Die Anschläge kommen näher, sie bekommen eine bösere Qualität, und sie hören auch nicht auf", sagt Martin Buck, Chef der Reisemesse ITB.
Diese Nationen verreisen am meisten
Die Kanadier landen auf Platz 6 der Nationen, die am meisten Reisen außerhalb ihres Landes machen. Auch bei den Ausgaben für ihre Urlaube landen die Kanadier auf Platz 6.
Platz 5 geht an die reisefreudigen Franzosen. Allerdings reisen Franzosen günstiger als andere Nationen: Betrachtet man die Ausgaben der Urlauber aus den unterschiedlichen Ländern, landet Japan auf Rang 5.
Rund 1,37 Milliarden Chinesen gibt es auf der Welt, immer mehr von ihnen reisen in andere asiatische Länder, aber auch nach Europa oder Amerika. Damit erreichen die Chinesen Platz 4 der Nationen mit den meisten Reisen. Was die Urlaubsausgaben angibt, erreichen die Chinesen sogar den zweiten Rang.
Die Briten lieben ihren All-Inclusive-Urlaub. Das bringt ihnen Rang 3 der reisefreudigsten Nationen. Bei den Ausgaben allerdings landet Großbritannien nur auf dem vierten Rang.
Kaum eine Nation ist häufiger im Ausland anzutreffen als die Amerikaner: Die USA erreicht mit ihren rund 320 Millionen Einwohnern Rang zwei der Nationen mit den meisten Urlaubsreisen. Bei den Ausgaben rücken die Amerikaner sogar auf den ersten Platz.
Urlaubsweltmeister aber bleiben die Deutschen: 80 Millionen Einwohner machen rund 70 Millionen Urlaubsreisen im Jahr - allerdings vor allem günstige. Beim Umsatz mit Auslandsreisen erreicht Deutschland nur Rang 3.
Viele Reisende verunsichert das, zumindest für den Moment. Urlauber überdenken ihre Reisepläne, und fassen andere Länder ins Auge. Die Reiseveranstalter unterstützen sie dabei, die großen Pauschalanbieter haben sich längst auf den Wankelmut der Touristenströme eingestellt. Doch in den betroffenen Ländern hat das Ausbleiben der Urlauber gravierende Folgen.
An der Küste in Ägypten und Tunesien ist die Angst groß, dass es diesmal länger dauert, bis die Touristen an die Strände und in die Hotels zurückkehren.
Eigentlich gilt im Tourismus die Regel: Negative Assoziationen verblassen schnell. "Katastrophen und Terroranschläge sind in der nächsten Saison oft vergessen", sagt Tourismusforscher Martin Lohmann vom NIT-Instituts in Kiel. Auch, weil die Urlauber unter der Flut der schlechten Nachrichten abstumpfen. Doch das war, bevor die USA eine weltweite Reisewarnung aussprachen, bevor Frankreich seine Aktivitäten in Syrien verstärkte, und auch Deutschland Aufklärungsflugzeuge und Soldaten in die Region schickte.
20 Prozent der Deutschen wollen ihr Reiseverhalten nach den Anschlägen von Paris ändern, ergab nun auch eine Umfrage des Forschungsinstituts GfK. Bei Familien mit Kindern waren es sogar 30 Prozent der Befragten, die ihr Reiseverhalten „sicher ändern“ wollen. Touristiker hoffen, dass das nur eine Momentaufnahme ist, entstanden unter den noch frischen Eindrücken der Anschläge in Paris.
Vieles spricht dafür, dass die Menschen nicht weniger reisen, sondern nur zu anderen Zielen. "Jetzt profitieren Ziele wie Spanien und Griechenland, vor allem bei Pauschaltouristen", sagt Tourismusexperte Buck. Die Deutschen zieht wieder zu den beliebten Urlaubszielen der 70er und 80er Jahre: Nach Portugal, an die spanische Mittelmeerküste oder Griechenland. Urlaub im Retro-Schick, da kommt sogar wieder das Hotel im Betonklotzstil in Malaga in Frage. Und dort gibt es im Gegensatz zu Italien oder Frankreich auch freie Kapazitäten.
Der Türkei fehlen die russischen Urlauber
Ein Problem stellt diese Verlagerung nur für kleine, auf bestimmte Länder spezialisierte Reiseveranstalter dar. Große Tourismuskonzerne wie Tui, Thomas Cook oder FTI haben sich an die Urlauberkarawanen gewöhnt. „Die Reiseveranstalter haben gelernt, sich schnell anzupassen“, sagt Reiseexperte Buck. In Krisenzentren beobachten sie die Entwicklungen vor Ort, informieren Reisende per SMS und organisieren im schlimmsten Fall Rückreisen. Gleichzeitig arbeiten Buchungsagenten daran, Hotelkontingente in einem Urlaubsland ab und im nächsten wieder aufzubauen.
So berichten die spanischen Tourismusbehörde, dass die Pauschalveranstalter ihre Flugkontingente und Hotelbuchungen auf den kanarischen Inseln wie Gran Canaria und Teneriffa um rund 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht haben. Selbst die Hotelkette Riu, an der auch Tui beteiligt ist, meldet in Mallorca eine höhere Nachfrage. Dabei war es ein Riu-Hotel, an dessen Strand im Juni ein Attentäter in Tunesien 39 Menschen tötete.
Anders sieht die Lage in Tunesien selbst aus: Die zehn Ableger der Riu-Hotelkette dort sollen geschlossen werden. Das Land gilt eigentlich als Vorbild für die Region, als einzige Erfolgsgeschichte des arabischen Frühlings. Mit den Attentaten im Bardo-Museum in Tunis und am Strand in Sousse, so scheint es, ist es den Terroristen gelungen, dieses Bild in den Köpfen der Menschen zu erschüttern. „Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Wenn sich so etwas wie in Sousse wiederholt, dann geht das Land unter", sagte Tunesiens Präsident Beji Caid Essebsi in einer Fernsehansprache eine Woche nach dem Anschlag an dem Hotelstrand in Sousse.
Die Behörden in Dänemark, Großbritannien und Belgien warnten nach dem Anschlag vor einer Reise in das Land. Die Urlauberzahlen sanken nach Angabe des Tourismusministeriums um bis zu 50 Prozent. Und das, obwohl die Regierung die Ausreisesteuer von umgerechnet rund 15 Euro wieder abschaffte und auch die Mehrwertsteuer um vier Prozentpunkte auf acht Prozent senkte.
Erst in der vergangenen Woche trafen Extremisten das Land erneut, mit einem Angriff auf die Präsidialwache: Bei einer Explosion in einem Bus mit Wachleuten des tunesischen Staatsoberhauptes starben zwölf Menschen. Der Anschlag traf den Staat im Herzen, auch wenn diesmal nicht Touristen im Mittelpunkt standen. Viele kommen ohnehin nicht mehr, Charterflüge gibt es nach Tunesien kaum noch. Hoteliers vor Ort sind verzweifelt. "In der Branche arbeitet man mit sehr geringen Gewinnmargen. Wenn auch nur ein Bruchteil der Touristen ausbleibt, müssen die Hotels drauf zahlen", sagt Tourismusforscher Lohmann.
Was das bedeutet, spüren auch Hoteliers in der Türkei. Auch wenn die deutschen Gäste dem Land bisher treu bleiben, in den Ressorts fehlen die russischen Urlauber. Eigentlich ist die Türkei das Lieblingsziel der Russen, vier Millionen von ihnen reisen jährlich in das Land. Doch das Verhältnis der beiden Länder ist in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs zerbrochen.
Die russischen Reiseveranstalter nahmen türkische Ziele reihenweise aus dem Programm, nach dem das türkische Militär einen russischen Kampfjetabschoss, der während einer Mission in Syrien in den türkischen Luftraum eingedrungen sein soll. Mindestens 6000 Reisen wurden storniert, meldet eine russische Nachrichtenagentur. "Wenn die Urlauber ausbleiben, kann das in manchen Regionen zu einer Wirtschaftskrise führen", warnt Tourismusexperte Buck. "Dann gibt es massive Auslastungsprobleme, die Hotels müssen ihre Mitarbeiter nach Hause schicken, und auch den Reiseführern fehlt Arbeit."
In Tunesien oder Ägypten wollen die Terroristen des "Islamischen Staats" und anderer Organisationen genau diese Kettenreaktion erzielen. „Für die Terroristen ist es ein Erfolg, die Regionen zu destabilisieren", sagt Lohmann. Ohne Touristen steigt die Arbeitslosigkeit, und damit meist auch der Frust auf die Regierung. Für die Terroristen wird es dann leichter, ihre Ideen im Land zu verbreiten.
Airlines ergreifen Sicherheitsmaßnahmen
In Ägypten demonstrieren Politiker und Schauspieler deshalb auf den Straßen, um für ihr Land zu werben. Für Ägypten ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle, gleich nach dem Suezkanal. Im vergangenen Jahr alleine lag der Anteil der Urlauber am Bruttoinlandsprodukt bei 11,7 Prozent. Doch seit dem Terroristen des „Islamischen Staats“ ein russisches Flugzeug mit 224 Passagieren über der Sinai-Halbinsel explodieren ließen, bleiben viele Touristen fern.
Grund dafür ist nicht nur die Verunsicherung der Urlauber: "Ob und wie viele Touristen in ein Land reisen entscheidet sich daran, wie attraktiv es ist, wie gut es erreichbar ist, und welche Infrastruktur und Ausstattung es dort gibt", sagt Tourismusforscher Lohmann. Im Fall von Ägypten hatten der Anschlag nicht nur Auswirkungen auf die gefühlte Attraktivität, sondern auch auf die Erreichbarkeit des Urlaubsziels. Wegen Sicherheitsbedenken fliegen viele Fluglinien den Flughafen in Sharm el-Sheikh nicht mehr an, zumindest bis zum Jahresende soll das auch so bleiben.
Damit reagieren auch die Airlines immer sensibler auf mögliche Bedrohungen. Gesetzlich sind die Fluglinien dazu verpflichtet, eigene Sicherheitspläne zu erstellen. Auf Flughäfen mit niedrigeren Sicherheitsstandards setzen große Airlines wie Lufthansa oder British Airways zusätzlich eigene Sicherheitsmitarbeiter ein, die mit den lokalen Behörden zusammen arbeiten sollen. Für Sharm el-Sheikh gelten seit dem Anschlag ohnehin besondere Auflagen.
Das Auswärtige Amt rät Urlaubern zu zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, für den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet hat die Behörde eine Reisewarnung ausgesprochen. Für die touristischen Ziele in der Region ist das das härteste Urteil: Viele Pauschalveranstalter orientieren sich an den Reisewarnungen und geben dann den Urlaubern die Möglichkeit zu einer kostenlosen Heimreise oder Stornierung. So bietet der Ägypten-Spezialist FTI seinen Kunden an, bereits gebuchte Reisen nach Sharm el-Sheikh kostenlos zu stornieren, auch wenn diese Region gar nicht von der Reisewarnung betroffen ist.
Das Kreuzfahrtunternehmen MSC will solche Maßnahmen anscheinend vermeiden: Für das kommende Jahr hat MSC alle Anfahrten nach Ägypten, Tunesien, Israel und die Ukraine von seinen Routen gestrichen. Grund: Man wolle den Passagieren mehr Planungssicherheit geben - und ausschließen, dass ein Schiff wegen Sicherheitsbedenken kurzfristig umgeleitet werden müsse.