Die Folgen des Abo-Booms „Treue wird nicht mehr belohnt“

Der Konsumforscher Wolfgang Ullrich über Marketing-Strategien im Plattform-Kapitalismus der Flatrates, Clubs und Abos, über die kurzlebige Bindung an Marken – und die erstaunliche Trägheit der Kunden.

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Herr Ullrich, deutet der Erfolg der Abo-Modelle à la Spotify oder Netflix darauf hin, dass sich in unserer Konsumkultur etwas grundsätzlich ändert?
Ich glaube, es ergeben sich dadurch gewisse Akzentverlagerungen. Das Abo-Modell kann, je nachdem, eine Fortentwicklung des Flatrate-Prinzips oder aber des Club-Gedankens sein, wenn exklusive Angebote damit verbunden sind. Nehmen Sie das Beispiel der Schweizer Bahn, die neuerdings eine Variante ihres so genannten Generalabonnements anbietet, die eine Steigerung unseres Modells Bahncard 100 darstellt: Mietauto und Taxi sind im Service inbegriffen. Auf der Webseite heißt es aber nicht „Hier melden Sie sich an“, sondern „Bewerben Sie sich!“ - als würde es nicht genügen, dass man jeden Monat 1200 Franken zahlt, sondern als müsste man noch andere, nicht weiter spezifizierte Voraussetzungen erfüllen, damit man in diesem edlen Club Mitglied sein darf. Das wäre eine Abo-Strategie, die auf Exklusivität zielt.

Sozusagen der goldene Schlüssel, der dem Kunden in die Hand gegeben wird.
Genau. Ich habe dann etwas, was andere nicht haben, werde also Teil einer exklusiven Gemeinschaft. Bei Netflix hingegen geht es nicht um Exklusivität. Netflix folgt dem Geschäftsmodell eines möglichst breiten Angebots: Man will viele, unterschiedliche Menschen an sich binden. Damit setzt Netflix die Tradition der klassischen Massenmedien fort. Die Abo-Funktion soll es dem Kunden im Sinne einer Flatrate möglichst unkompliziert machen: Man zahlt einmal, statt sich jedes Mal zu überlegen: Was kostet das? Will ich das wirklich haben?

Sind diese Modelle eher technologiegetrieben oder reflektieren sie einen kulturellen Wandel?
Die Möglichkeiten der digitalen Verwaltung sorgen sicher für eine gewisse Beschleunigung bestehender Trends. Dass hier eine neue Etappe in der Konsumgeschichte eröffnet wird – das sehe ich allerdings nicht.
Inwiefern wird bei Abo-Modellen der Trennungsvorbehalt relevant? Bedeutet der Abschluss eines Abo nicht zugleich auch die jederzeit mögliche Aufkündigung dieses Verhältnisses?
Das mag eine Rolle spielen. Trotzdem: So schnell wird dann doch nicht gekündigt, da spielt nicht zuletzt die Schwerfälligkeit der Kunden eine Rolle, und oft wird es einem ja gar nicht so leicht gemacht mit dem Kündigen: Es dauert, bis man da die richtige Seite entdeckt und dem richtigen Link folgt. Das gehört zum Geschäftsmodell dazu: Die Hoffnung auf die Trägheit der Kunden, die dabei bleiben, obwohl sie das Angebot nicht mehr voll nutzen. Sich abzumelden bedeutet mindestens so eine große Hemmschwelle, wie sich anzumelden.

Wolfgang Ullrich, geboren 1967, ist Kunst- und Kulturwissenschaftler, Konsumforscher, Philosoph - und selbständiger Autor, Dozent und Berater. Einschlägig zum Thema sind seine Bücher „Alles nur Konsum“ (Wagenbach, 2013) sowie

Sie meinen, das Abo-Modell sei eher ein Hinweis darauf, dass wir Verlässlichkeit auf Zeit suchen?
Jedenfalls bietet das Abo eine gewisse Entlastung. Es gibt einem das Gefühl, alles geregelt zu haben für eine gewisse Zeit, also in einem klaren Konsumrahmen zu agieren und, wie etwa bei Netflix, regelmäßig auf Seiten zugreifen zu können, die man mag.

Ein konservatives Moment?
Durchaus, der Kunde legt sogar Wert auf eine gewisse Stabilität. Er möchte, dass Ruhe und Ordnung einkehrt an der Konsumfront – und weiß doch zugleich, dass er nicht eingesperrt ist, wenn er einen Abo-Vertrag abgeschlossen hat.

Passt Marken- und Produkttreue überhaupt noch in unsere Konsumwelt? Steht der moderne, flexible Konsument langfristigen Markenbindungen nicht eher skeptisch gegenüber?
Es gab sicherlich Zeiten, etwa die Neunzigerjahre, in denen Marken einen bedeutsameren Status hatten als heute. Wo es etwas Bekenntnishaftes hatte, sich mit einer Marke zu identifizieren. Für Automobile gilt das nicht mehr so stark. Aber im Mode- und Kosmetikbereich haben Marken nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt. Ein Unterschied besteht darin, dass es heute oft nicht mehr auf eine einzige Marke ankommt, mit der man sich identifiziert, sondern auf die möglichst virtuose Kombinationen von Marken und Produkten. Der avancierte Konsument zeigt, dass er sich auch jenseits der Markenwelt auskennt. Aber es wird nie so weit kommen, dass Marken überhaupt keine Rolle mehr spielen. Netflix ist es sogar gelungen, von einer Marke zu einem Begriff zu werden, mit dem man eine bestimmte Art von Unterhaltung, von Freizeitgestaltung assoziiert: Man sagt nicht mehr, welche Serie man guckt, sondern man guckt eine Netflix-Serie oder verbringt einen Netflix-Abend mit Freunden. Da ist eine neue starke Marke entstanden, an die sich ein ganzer Lifestyle anschließt.

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