
Es ist wieder Ruhe eingekehrt. Medial zumindest. Eisenbahngewerkschaft EVG und Deutsche Bahn haben sich Mittwoch auf dem Bahngipfel in Mainz auf eine Überprüfung aller Dienstpläne geeinigt. Notfalls werden zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Die Gewerkschaft demonstriert Stärke, die Bahn zeigt Reue. Die Züge fahren trotzdem an der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt vorbei. Bis Ende August bleibt Mainz vom Zugverkehr weitestgehend abgekoppelt.





Nach dem Entrüstungssturm der Politik, den Betroffenheitsgesten der Arbeitnehmer und den Kümmerer-Termine von Bahnchef Grube vor Ort ist es Zeit für eine Analyse. Im Kern zeigen die Personalprobleme im Stellwerk Mainz, dass die Deutsche Bahn eine neue Struktur braucht. Das Schienennetz sollte mitsamt seinen Bahnhöfen und der Energieversorgung vom Rest des Konzerns getrennt werden.
Die Deutsche Bahn argumentiert gerne, dass nur ein integrierter Konzern einen optimalen Betrieb auf der Schiene gewährleisten könne. Die Konzernbereiche DB Netz und DB Station&Service betrieben die Gleise, Stellwerke und Bahnhöfe deshalb so professionell, weil sie die Nöte der Güter-, Nah- und Fernverkehrszüge genau kennen. Technische Innovationen würden vorangetrieben, überflüssige Baustellen vermieden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mainz hat Grubes Argumente wie eine Seifenblase zerplatzen lassen. Es sind Worthülsen, die nicht der Realität entsprechen.
Die Stellwerksprobleme hätte es nach Grubes Argumentation eigentlich gar nicht geben dürfen. Rückmeldungen aus den eigenen Konzerneinheiten DB Regio, DB Fernverkehr und DB Schenker Rail hätten doch frühzeitig auf Betriebsprobleme hinweisen müssen. Doch es waren nicht die eigenen Konzerntöchter, sondern Wettbewerber, die bei der Bundesnetzagentur auf die Probleme aufmerksam machten und Beschwerde einreichten. Im sächsischen Zwickau, im rheinland-pfälzischen Friedrichssegen und im hessischen Breba fielen schon vor Monaten Züge aus, weil Stellwerke nicht besetzt waren. Und nicht nur dort.
Schienengüterverkehr - Planzahlen und Kennziffern
Wie die Kennziffern im Schienengüterverkehr der Deutschen Bahn von den Planzahlen abweichen (in Prozent, Werte sind gerundet)
Quelle der Werte: Deutsche Bahn
2012
Plan 2012: 121,1 Milliarden Tonnenkilometer
Ist 2012: 105,9 Milliarden Tonnenkilometer (-13 Prozent gegenüber dem Plan)
2013
Plan Januar - April 2013: 35,7 Milliarden Tonnenkilometer
Ist Januar - April 2013: 34,2 Milliarden Tonnenkilometer (- 4 Prozent) gegenüber dem Plan)
2012
Plan 2012: 5,29 Milliarden Euro
Ist 2012: 4,93 Milliarden Euro (-7 Prozent gegenüber dem Plan)
2013
Plan Januar - April 2013: 1,76 Milliarden Euro
Ist Januar - April 2013: 1,61 Milliarden Euro (-9 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 161 Millionen Euro (Ebit)
Ist 2012: 87 Millionen Euro (Ebit) (-46 Prozent gegenüber dem Plan)
...davon in Osteuropa:
2012
Plan 2012: 21 Millionen Euro (Ebit)
Ist 2012: 8 Millionen Euro (Ebit) (-62 Prozent gegenüber dem Plan)
2013
Plan Januar - April 2013: 45 Millionen Euro (Ebit)
Ist Januar - April 2013: -30 Millionen Euro (Ebit) (-166 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 58 Millionen Euro
Ist 2012: 1 Millionen Euro (-98 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 288 Millionen Euro
Ist 2012: 371 Millionen Euro (+29 Prozent gegenüber dem Plan)
Operativer freier Cash-Flow
Plan 2012: 200 Millionen Euro
Ist 2012: 31 Millionen Euro (-85 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 1,04 Milliarden Euro
Ist 2012: 1,83 Milliarden Euro (+76 Prozent gegenüber dem Plan)
Auch an anderer Stelle hat der integrierte Konzern versagt. Als vor zwei Jahren die Sanierung der Müngstener Brücke bei Solingen in Nordrhein-Westfalen anstand, berechneten die Statiker bei DB Netz das Gewicht der Regionalzüge falsch, die Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke täglich passieren. Die Stahl-Bogen-Konstruktion aus dem Jahr 1897 überspannt in 107 Meter Höhe das Tal der Wupper zwischen Solingen und Remscheid. Als die Sanierung beendet und die Wiedereröffnung beim Eisenbahnbundesamt beantragt wurde, fiel auf, dass die Statiker nur das Leergewicht eines Zuges zugrunde gelegt hatten. Sie hatten schlicht das Gewicht der Passagiere vergessen. Ein halbes Jahr lang mussten die mehreren Tausend Passagiere pro Tag mit dem Ersatzbus pendeln.
Zugegeben, solche Fälle können auch passieren, wenn das Schienennetz als eigenständiges Unternehmen operieren würde. Allerdings zeigen sie auch, dass der integrierte Konzern kein Garant für Qualität ist. Die Vorteile werden völlig überschätzt.