Die Lehren aus Mainz Das Schienennetz sollte getrennt werden

Die Deutsche Bahn kämpft seit Jahren erbittert für den Erhalt des integrierten Konzerns. Doch die Stellwerksprobleme zeigen, dass die Vorteile völlig überschätzt werden.

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Im Kern zeigen die Personalprobleme im Stellwerk Mainz, dass die Deutsche Bahn eine neue Struktur braucht. Quelle: dpa

Es ist wieder Ruhe eingekehrt. Medial zumindest. Eisenbahngewerkschaft EVG und Deutsche Bahn haben sich Mittwoch auf dem Bahngipfel in Mainz auf eine Überprüfung aller Dienstpläne geeinigt. Notfalls werden zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Die Gewerkschaft demonstriert Stärke, die Bahn zeigt Reue. Die Züge fahren trotzdem an der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt vorbei. Bis Ende August bleibt Mainz vom Zugverkehr weitestgehend abgekoppelt.

Die größten Pannen der Deutschen Bahn
Juli 2015Wegen der großen Hitze sind die Luftkühlungen mehrerer IC-Züge ausgefallen. Anders als im Sommer 2010 reagierte die Bahn diesmal schnell: Sie stellte für die besonders betroffene Linie Berlin-Amsterdam zwei Ersatzzüge bereit. Sie sollen eingesetzt werden, wenn die Luftkühlung in anderen IC auf der Strecke versagt, wie ein Sprecher mitteilte. Außerdem wurden in Osnabrück mehrere Busse stationiert. Dort mussten insgesamt mehrere Hundert Fahrgäste in nachfolgende Züge umsteigen, weil in ihren Zügen die Klimaanlage ausgefallen war. Es habe aber kein Fahrgast gesundheitliche Probleme bekommen, so der Sprecher. Bei etwa einem Dutzend älterer Intercitys auf der Linie Berlin-Amsterdam hatten die Klimaanlagen ihre Arbeit eingestellt. Quelle: dpa
Oktober 2014Ein Warnhinweis sorgt für Lacher, Spott und eine Entschuldigung der Deutschen Bahn: „Cannstatter Wasen: Es ist mit Verspätungen, überfüllten Zügen und verhaltensgestörten Personen zu rechnen“ ist am Samstag auf den Anzeigetafeln an mehreren Bahnhöfen in der Region Stuttgart zu lesen gewesen, wo das Volksfest an seinem letzten Wochenende in diesem Jahr wieder Tausende Besucher anlockte. „Wir entschuldigen uns dafür“, sagte eine Bahn-Sprecherin am Sonntag und bestätigte Online-Berichte der „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“. Ein Mitarbeiter habe den Text entgegen aller Vorgaben verfasst. Er werde Anfang der Woche zum Rapport bestellt. Dann solle auch der gesamte Vorgang aufgeklärt werden. Quelle: dpa
August 2013Ein ungewöhnlich hoher Krankenstand in der Urlaubszeit sorgte im August 2013 für ein Fahrplanchaos am Mainzer Hauptbahnhof - und für massiven Ärger bei den Fahrgästen. Die Deutsche Bahn hat für das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof wegen massiver Personalprobleme auf Facebook um Entschuldigung gebeten. „Für die derzeitigen Einschränkungen möchte ich mich entschuldigen“, antwortete ein Mitarbeiter in dem Sozialen Netzwerk auf Beschwerden einer Nutzerin. Die Situation sei „wahrlich nicht schön“. Quelle: dpa
August 2013Um dem Problem der häufig verstopften und verdreckten Zugtoiletten Herr zu werden, setzt die Bahn ab sofort neue Reinigungskräfte, sogenannte Unterwegsreiniger, in ICE-Zügen ein. Die Reinigungskolonne, die auf der Fahrt die Toiletten putzt, wird um 50 Beschäftigte auf 250 aufgestockt, wie der Vorstandsvorsitzende DB Fernverkehr, Berthold Huber, ankündigte. Die Mitarbeiter sollen zugleich stärker entsprechend der Zugauslastung eingesetzt werden. Damit würden die Toiletten in besonders gefragten Bahnen mindestens zweimal und damit doppelt so oft auf der Fahrt gereinigt wie bisher. Der Fahrgastverband Pro Bahn und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) lobten die Initiative, wiesen aber zugleich auf andere Probleme hin. „Neben den kaputten oder dreckigen Toiletten gibt es tagtägliche Kundenbeschwerden vor allem über die Klimaanlagen und Verspätungen“, sagte Pro-Bahn-Bundessprecher Gerd Aschoff. Und das sind nicht die einzigen Pannen der Deutschen Bahn... Quelle: dpa
November 2011Nach der persönlichen Anmeldung im neuen elektronischen Ticketsystem „Touch & Travel“ waren für nachfolgende Nutzer die Kundendaten sichtbar. Quelle: dpa
Juli 2010Am einem Wochenende fallen in mehreren ICE-Zügen die Klimaanlagen aus. Fahrgäste kollabierten, Schüler mussten dehydriert ins Krankenhaus eingeliefert werden. Im Zuge der Panne wurde bekannt, dass die Klimaanlagen der Bahn nur bis 32 Grad funktionieren. Damals fielen in Dutzenden Zügen die Klimaanlagen aus. Quelle: dpa
April 2010 - ICE verliert TürBei voller Fahrt verliert ein ICE auf dem Weg von Amsterdam nach Basel eine Tür. Das Stahlteil schlägt in einen entgegenkommenden ICE ein. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln werden sechs Menschen leicht verletzt. Ursache für den Unfall ist eine lose Stellmutter an der Verriegelung. Foto: dpa

Nach dem Entrüstungssturm der Politik, den Betroffenheitsgesten der Arbeitnehmer und den Kümmerer-Termine von Bahnchef Grube vor Ort ist es Zeit für eine Analyse. Im Kern zeigen die Personalprobleme im Stellwerk Mainz, dass die Deutsche Bahn eine neue Struktur braucht. Das Schienennetz sollte mitsamt seinen Bahnhöfen und der Energieversorgung vom Rest des Konzerns getrennt werden.

Die Deutsche Bahn argumentiert gerne, dass nur ein integrierter Konzern einen optimalen Betrieb auf der Schiene gewährleisten könne. Die Konzernbereiche DB Netz und DB Station&Service betrieben die Gleise, Stellwerke und Bahnhöfe deshalb so professionell, weil sie die Nöte der Güter-, Nah- und Fernverkehrszüge genau kennen. Technische Innovationen würden vorangetrieben, überflüssige Baustellen vermieden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mainz hat Grubes Argumente wie eine Seifenblase zerplatzen lassen. Es sind Worthülsen, die nicht der Realität entsprechen.

Die Stellwerksprobleme hätte es nach Grubes Argumentation eigentlich gar nicht geben dürfen. Rückmeldungen aus den eigenen Konzerneinheiten DB Regio, DB Fernverkehr und DB Schenker Rail hätten doch frühzeitig auf Betriebsprobleme hinweisen müssen. Doch es waren nicht die eigenen Konzerntöchter, sondern Wettbewerber, die bei der Bundesnetzagentur auf die Probleme aufmerksam machten und Beschwerde einreichten. Im sächsischen Zwickau, im rheinland-pfälzischen Friedrichssegen und im hessischen Breba fielen schon vor Monaten Züge aus, weil Stellwerke nicht besetzt waren. Und nicht nur dort.

Schienengüterverkehr - Planzahlen und Kennziffern

Auch an anderer Stelle hat der integrierte Konzern versagt. Als vor zwei Jahren die Sanierung der Müngstener Brücke bei Solingen in Nordrhein-Westfalen anstand, berechneten die Statiker bei DB Netz das Gewicht der Regionalzüge falsch, die Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke täglich passieren. Die Stahl-Bogen-Konstruktion aus dem Jahr 1897 überspannt in 107 Meter Höhe das Tal der Wupper zwischen Solingen und Remscheid. Als die Sanierung beendet und die Wiedereröffnung beim Eisenbahnbundesamt beantragt wurde, fiel auf, dass die Statiker nur das Leergewicht eines Zuges zugrunde gelegt hatten. Sie hatten schlicht das Gewicht der Passagiere vergessen. Ein halbes Jahr lang mussten die mehreren Tausend Passagiere pro Tag mit dem Ersatzbus pendeln.

Zugegeben, solche Fälle können auch passieren, wenn das Schienennetz als eigenständiges Unternehmen operieren würde. Allerdings zeigen sie auch, dass der integrierte Konzern kein Garant für Qualität ist. Die Vorteile werden völlig überschätzt.

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