Café, TV-Studio, Popstar-Tourbus, Kreuzfahrtschiff und Klinik mit Neugeborenenstation - im Kinderzimmer gibt es inzwischen kaum noch etwas, was nicht im Kleinen nachgestellt werden kann. Für das Osternest steht in den Regalen der Spielwarenhändler inzwischen beinah jede erdenkliche Themenwelt bereit. Die Designer bei Lego sprechen so auch kaum noch von neuen Produkten, sondern von „Universen“ und „Erfahrungen“.
Die Spielwelten haben einen großen Anteil am derzeitigen Erfolg der Branche. Lego-Chef Jørgen Vig Knudstorp holte das Unternehmen mit Sitz im dänischen Billund von 2004 an aus einer tiefen Krise - auch mit Hilfe der Themenwelten. „Ich glaube, das Lego, zu dem ich gekommen bin, war verwirrt, was seine Idee und seinen Fokus anging“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Knudstorp brachte Lego wieder dazu, sich auf den Stein zu konzentrieren - und von da aus zu überlegen: „Wie können wir die ganze Zeit neue Anwendungen für diesen Klotz finden?“ Mit den Themenwelten ist man fündig geworden.
Und nicht nur beim dänischen Klötzchenbauer läuft das Geschäft damit blendend. Der fränkische Playmobil-Hersteller Geobra Brandstätter erwartet für das erste Jahresquartal ein zweistelliges Absatzplus. Auch die schwäbische Spielwarenfirma Schleich ist mit einem Umsatzwachstum von 14 Prozent auf Erfolgskurs. Wesentlich dazu beigetragen habe die neue Strategie, neben Einzelfiguren verstärkt auf Themenwelten zu setzen. „Wir planen in 2016, den Anteil der Spielwelten am Gesamtumsatz auf circa ein Drittel anzuheben“, sagt Schleich-Chef Dirk Engehausen.
Die Geschichte Legos
1932 gründete der dänische Tischlermeister Ole Kirk Christiansen Lego. Der Name setzte sich zusammen aus „leg godt“, was so viel heißt wie: „spiel gut“. Zu Anfang stellte das Unternehmen noch Holzspielzeug her.
Ein Legostein, der dem heutigen Modell schon sehr ähnelt, wurde 1949 eingeführt. Die Oberseite war mit Noppen besetzt – wie es bis heute noch ist. Allerdings war die Unterseite hohl. Daraus resultierte ein Mangel an Stabilität.
Geschaffen wurde die Stabilität, die Lego so beliebt macht, 1958. Statt des Hohlraums befanden sich an der Unterseite der Steine nun Röhren, die dafür sorgten, dass die Steine fortan sehr gut hielten.
Von 1956 bis 1970 produzierte Lego Modellfahrzeuge nach realen Vorbildern. Insgesamt 16 Fahrzeuge gab es – diese konnten mit den bereits verkauften Klötzen kombiniert werden.
1974 wurden erstmals Lego-Figuren mit drehbaren Köpfen und Armen verkauft. Die Körper wurden damals noch aus herkömmlichen Steinen gebaut. Im selben Jahr kamen Figuren mit drehbaren Köpfen auf den Markt, die den heutigen Figuren sehr ähneln. Allerdings hatten sie noch keine bemalten Gesichter. Seit 1978 werden die sogenannten „Minifigs“ produziert – die heute bekannten Figuren.
2003 musste Lego große Verluste hinnehmen – rund 120 Millionen Euro verlor das Unternehmen und stand kurz vor der Insolvenz.
Deswegen übernahm ab 2004 der damals 36-jährige Jørgen Vig Knudstorp die Geschäftsführung. Der frühere Mitarbeiter von McKinsey war der erste Lego-Chef, der nicht zur Gründungsfamilie gehörte. Indem er zurück zum Kerngeschäft kehrte, die Zahl der Teile drastisch reduzierte und Legos Kindermarke Duplo wieder einführte, brachte er den Konzern zurück auf Gewinnkurs.
Unter Knudstorp schaffte Lego auch den Sprung in die digitale Welt. Warner Brothers produzierte für Lego den Film „Lego the Movie“, es gibt mittlerweile Online-Games, Computer-Spiele und Apps. Mit all diesen Mitteln wirbt Lego für sein Kerngeschäft – die Klötzchen.
Der Trend bei den Klassikern gehe zu den Spielwelten, bestätigt auch der Deutsche Verband der Spielwaren-Industrie (DVSI). Im Kleinen abbilden, was sich draußen tut, lauten Motto und Herausforderung für die Branche. So alt die Idee sein mag, so viel Potenzial steckt noch in den Spielwelten. Zum Beispiel in Sachen Vermarktung.
Die Themenwelt „Nexo Knights“, die Lego im Januar auf den Markt gebracht hat, begleitet etwa eine Fernsehserie, in der die Geschichte von fünf Rittern erzählt wird. Für die Spielzeugproduzenten ist das Geschichtenerzählen um die Spielwelten herum ein Hilfsmittel, um die Kinder zu ködern. „Sie haben Tablets, sie sehen Fernsehshows“, sagt Joakim Nielsen, der mit der kreativen Leitung des Projekts „Nexo Knights“ betraut ist. „Indem wir größere Geschichten kreieren, können wir all diese Erfahrungen miteinander verbinden.“
Lego-Serien gibt es auch zu den Spielwelten „Lego Friends“ und „Ninjago“ oder zu schon existierenden Geschichten wie „Star Wars“. In Zusammenarbeit mit „Angry Birds“ ist verkaufswirksam zum Kinostart des Films die passende Lego-Themenwelt in die Regale gekommen.
Auch das Fürther Familien-Unternehmen Simba Dickie prüft derzeit den Einstieg ins Filmgeschäft, wie Firmenchef Michael Sieber im Januar ankündigte. Bereits vor einigen Jahren gab es einen Zeichentrickfilm mit den hauseigenen Bobby Cars: Ausgestattet mit eigenen Charakteren düsten sie durch die Gegend. Ähnliches sei nun in der Planung.
Die Vermarktung ist das eine, aber auch in der Digitalisierung steckt noch Potenzial. Es gehe darum, die Kinderzimmer-Welt und das digitale Spielen der Kleinen zu vernetzen. „Kinder sehen diese Grenzen nicht, wie wir sie sehen“, meint Nielsen. „Für sie sind das nicht zwei verschiedene Dinge.“ Deshalb sei es für die Kinder auch ganz normal, die Spielwelt der Ritter samt Burg zu bauen und später Teile des Spielzeugs mit der Tablet-Kamera einzuscannen und in einem Computerspiel zu verwenden.
„Viele Kinder bewegen sich heute sicher auf allen Kanälen und erwarten, dass wir unsere Spielewelten auch digital verlängern“, sagt auch Playmobil-Vertriebschef Axel Schmitz. Ravensburger etwa hat sein Digital-Erfolgsprodukt Tiptoi auf Spielwelten erweitert: Im September kommen vier Spielkulissen auf den Markt, die sich wie Tiptoi-Bücher mit einem interaktiven Stift bespielen lassen.
Übertreiben sollten es die Hersteller aber nicht, meint Kinderpsychologe Holger Simonszent. „Das ist natürlich kommerziell bedingt, dass da Bedürfnisse geschaffen und dann entsprechend auch beworben und vertrieben werden.“ Grundsätzlich brauche ein Spielzeug aber nicht viel Schnickschnack: „Da reicht die Fantasie normalerweise aus, dass man auch mit einfachem Spielgerät Spaß haben kann.“