„Dunkler Reiz“ Die Sperrzone als Urlaubsziel

Im Oktober eröffnete im japanischen Tomioka (hier eine Aufnahme von 2012) ein Hotel – rund neun Kilometer südlich des Fukushima Daiichi Kraftwerks, in dem es 2011 zu einer Kernschmelze kam. Quelle: REUTERS

„Dark Tourism“ führt Menschen an Orte, die mit Tod und Zerstörung in Verbindung stehen. Was lässt Touristen den Strand gegen Schlachtfelder, eine Nuklear-Sperrzone oder das Anwesen eines Drogenbosses tauschen?

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75 Dollar kostet ein Ticket für vier Stunden Höllenfahrt auf den Spuren des Sektenführers Charles Manson. Die „Helter Skelter Tour“ führt die Teilnehmer zu den Tatorten einer der berüchtigsten Mordserien in den USA, deren berühmtestes Opfer die hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate war, Ehefrau von Regisseur Roman Polanski. Insgesamt starben im Blutrausch der sogenannten „Manson Family“ sieben Menschen. Im Kleinbus von Tour-Veranstalter Scott Michaels geht es zur dunklen Seite von Los Angeles.

„Wir fahren an die Tatorte und erfahren durch Videos und Audioaufnahmen alles über die brutalen Morde“, erzählt die Reiseführerin Terry Bolo. Es sei eine „seltsame und entsetzliche“ Story, aber auch Teil der Geschichte der Stadt. Die Tour ist oft ausverkauft. Wer daran teilnimmt, könnte als „Dark Tourist“ bezeichnet werden. Die „dunklen Touristen“ besuchen Orte, die mit Tod und Zerstörung zu tun haben. Der Begriff wurde 1996 von John Lennon und Malcolm Foley geprägt, zwei Tourismusforschern aus Großbritannien.

Eine genaue Definition des Begriffs ist schwer, sagt Peter Hohenhaus. Er ist selbst weit gereister Dark Tourist und betreibt eine Website mit Reisezielen und Tipps zu dem Thema. Den dunklen Tourismus gebe es in vielen Formen, erklärt Hohenhaus. Der Bezug zu Tod und Desaster könne dabei enger oder weiter sein. An den Orten muss es auch nicht immer Tote gegeben habe, um ihnen einen „dunklen Reiz“ zu geben, so Hohenhaus. Der studierte Sprachwissenschaftler hat selbst schon etwa 700 Destinationen des Dark Tourism in 90 Ländern besucht.

So unterschiedlich wie die Reiseziele seien auch die Menschen und ihre Gründe zum Dark Tourist zu werden. „Ich glaube kaum, dass das, was den einen dazu bringt, Verdun oder andere Orte des Ersten Weltkriegs zu besuchen, viel mit dem gemein hat, was andere zum Beispiel nach Tschernobyl oder in die vulkanischen Mondlandschaften Islands verschlägt.“ Eine Skandalisierung dieses Tourismus lehnt er ab. Seine persönliche Grenze setzt Hohenhaus aber klar bei „Slum Tourism“, dem Besuch von Armenvierteln. „Meines Erachtens handelt es sich hierbei um etwas fundamental Anderes, zumal es nicht um geschichtliches, vergangenes Elend geht, sondern um weiterhin anhaltendes.“
Was schon länger her sei, sei stets weniger problematisch, sowohl gefühlsmäßig als auch kulturpolitisch, so Hohenhaus. „Richtig schwierig wird es in ethischer Hinsicht bei gerade erst geschehenen Katastrophen.“ Als Beispiel nennt er die Brandtragödie des Grenfell Tower in London oder das vor Italien verunglückte Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“. Er gibt zu, dass er sich das Schiff wahrscheinlich angesehen hätte, wäre er in der Nähe gewesen. Aber davor Selfies zu knipsen, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.

Dass sich so nicht alle Dark Tourists verhalten, ist ihm bewusst. „Es lässt sich leider nicht leugnen, dass es auch „schlechte“ Dark Tourists gibt, die es beispielsweise an angemessenem Verhalten an einer KZ-Gedenkstätte mangeln lassen“, so Hohenhaus. Ein ernsthaft interessierter dunkler Tourist kenne aber seine Reiseziele und bereite sich auf diese vor.

An manchen Orten ist jedoch nicht viel übrig, was an das Leid, das damit verbunden ist, erinnert. Das einstige Anwesen des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar ist heute ein Zoo und Freizeitpark. Der Chef des Medellín-Kartells feierte auf der Hacienda Nápoles rauschende Partys, es gab dort mehrere Häuser, eine Flugzeuglandebahn, eine Stierkampfarena und künstliche Seen. In einem kleinen Museum wird auch an die Geschichte und die Gräueltaten des Kartells erinnert. Escobar und sein Medellín-Kartell dominierten in den 1980er Jahren den internationalen Kokain-Schmuggel und waren für den Tod Tausender Menschen verantwortlich.

In Medellín pilgern immer wieder Touristen zu einem der Wohnhäuser von Escobar und posieren vor dem Gebäude Mónaco für Fotos wie beispielsweise der US-Rapper Wiz Khalifa. Der Stadtverwaltung passt das gar nicht. „Wenn Menschen, die so viel Schaden angerichtet haben, zu Idolen erklärt werden, dann ärgert mich das. Nicht nur als Bürgermeister, sondern als Mensch“, sagte Rathauschef Federico Gutiérrez. Deshalb soll das Gebäude abgerissen werden und einem Park im Gedenken an die Opfer des Kartellbosses weichen.

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