E-Roller bis Tempo 50 Wie deutsche Hersteller die städtische Mobilität verändern

Unu aus Berlin, Govecs aus München, e-bility aus Remagen bei Bonn und Emco aus Lingen in Niedersachsen. Kein anderes europäische Land hat mehr E-Roller-Hersteller hervorgebracht. Quelle: imago images

Aus kaum einem Land kommen so viele Elektroroller-Start-ups wie aus Deutschland. Mit neuen Rollern wollen sie die Verkehrswende beschleunigen – und Nachbarschaft neu definieren.

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Die Spuren der letzten Erfolge sind noch sichtbar. Auf dem Regal hoch oben im Eingangsfoyer sind Spirituosen aufgereiht. Eine Rum-Flasche Bombay Sapphire etwa, ein Mezcal Atenco, Jägermeister und Berliner Luft. Hochprozentiges wird geöffnet, wenn es „Meilensteine“ zu feiern gebe, sagt Pascal Blum, Gründer und Chef des Elektrorollerherstellers Unu Motors. Anfang Juni war wieder so ein Tag: Unu hat den Vorverkauf für den neuen E-Scooter freigeschaltet. Für Blum und sein Team gab es eine Flasche „guten Burgunder Rotwein“.

Blum ist Start-up-Unternehmer aus Berlin, einer der eher ungewöhnlich zurückhaltenden Typen. Er trägt schwarze Jeans und graues T-Shirt, lächelt oft und spricht leise. Blum hat vor sechs Jahren mit Elias Atahi den ersten E-Roller im Retro-Design entworfen. Bis heute hat das Unternehmen mehr als 10.000 E-Scooter verkauft und erzielt rund 25 Millionen Euro Umsatz pro Jahr.

Unu ist eine Erfolgsgeschichte aus Berlin und gehört inzwischen zu den führenden E-Roller-Herstellern in Europa. Zwar setzt ein Konzern wie Vespa-Produzent Piaggio mehr als 1,3 Milliarden Euro um, aber vor allem mit den lauten Verbrenner-Motoren. Unu hingegen produziert ökologische Roller für Großstädter – wenn sie denn mit Öko-Strom getankt werden.

Damit steht Unu für eine neue Gruppe von deutschen Unternehmen, die in dem jungen Segment eine führende Rolle aufgebaut haben. Kein anderes europäische Land hat mehr E-Roller-Hersteller hervorgebracht. Unu aus Berlin, Govecs aus München, e-bility aus Remagen bei Bonn und Emco aus Lingen in Niedersachsen setzen auf Roller „Engineered in Europe“.

Der mobile und ökologische Zeitgeist verspricht weiteres Wachstum für die jungen Unternehmen. Der Verkehr verlagert sich zunehmend auf zwei elektrisch angetriebene Räder: E-Fahrräder, E-Tretroller und E-Scooter. Außerdem wollen die Leute ihr Fahrzeug oft gar nicht besitzen, sondern teilen. Sharingmodelle boomen – und geraten trotzdem zunehmend unter Druck. Die Betriebskosten sind hoch. Das könnte auch die Hersteller treffen.

Auch deshalb will Unu aus Berlin die Roller-Mobilität neu denken und in kleinen Schritten expandieren. Der deutschsprachige Raum war lange Zeit der einzige Markt des Startups. Die Niederlande und Frankreich sind neu hinzugekommen. Das Unternehmen verkauft die Roller seit 2013 ausschließlich online und liefert das Fahrzeug dann direkt bis zur Haustür. Das Design ähnelt dem des klassischen Vespa-Rollers. Das Höchsttempo ist auf 50 Kilometer pro Stunde limitiert, damit die Besitzer ihn auch mit normalem Autoführerschein fahren können. Ein Roller kostet rund 3000 Euro. Wer weiter als 50 Kilometer fahren will, benötigt einen zweiten Akku für 700 Euro extra.

Die Konkurrenz kommt vor allem aus Asien. Der chinesische Hersteller Niu verkauft seine Roller preiswerter, bietet aber auch keine Extras. Der taiwanesische Hersteller Gogoro ist leistungsstärker, dafür deutlich teurer. Derzeit gibt es das Modell nicht in Deutschland zu kaufen, wird aber vom Sharingdienst Coup des Autozulieferers Bosch eingesetzt.

Europäische Konkurenz kommt aus Spanien, Italien, Österreich und Schweden. Und vor allem aus Deutschland. Für Furore sorgte vor ein paar Jahren der Münchener Hersteller Govecs, der eine Elektrovariante der klassischen Schwalbe revitalisert auf den Markt gebracht hat und damit Sharingdienste wie Emmy beliefert. Govecs hat im vergangenen Jahr rund 31,5 Millionen Euro Umsatz erzielt. Erneut wuchs das Unternehmen mehr als hundert Prozent. In diesem Jahr will Govecs etwa mit einer Leichtversion eines E-Rollers durchstarten.

Das 2010 von drei Brüdern gegründete Unternehmen e-bility rüstet ebenfalls Sharingdienste mit dem Elektroroller-Modell Kumpan aus - und musste vergangenes Jahr einen bizarren Designstreit mit dem Großkonzern Piaggio aus Italien verkraften. 

Unu setzt nun ebenfalls voll auf Kooperationen mit Sharinganbietern. Im Frühjahr 2020 will Unu einen neuen Roller auf den Markt bringen. Auch er wird bei Tempo 50 gedrosselt, soll aber deutlich zügiger beschleunigen. Außerdem verfügt er über Stauraum für zwei Helme unter dem Sitz. Das Design wirkt dann nicht mehr retro, sondern futuristisch. Der Kaufpreis: 2800 bis 3900 Euro – je nach Beschleunigungsleistung. Wer mehr Reichweite will, braucht noch einen weiteren Akku für rund 800 Euro.

E-Roller statt Dienstwagen

Das Besondere ist, dass der Unu speziell für große Gruppen konzipiert ist – und damit für Anbieter wie Emmy und Coup oder ganz neue Unternehmen infrage kommt. Die Sharingidee will Unu außerdem nicht nur auf professionelle Unternehmen übertragen. Auch Familien, Wohngemeinschaften und Nachbarn sollen künftig in der Lage sein, einen Roller gemeinsam zu nutzen. Der Eigentümer des Scooters kann dann per App bestimmen, wem er das Fahrzeug zur Verfügung stellen will. Schlüssel gibt es nicht mehr, jeder Nutzer startet den Roller dann digital.

Damit will Unu auch für Unternehmen interessant werden: E-Roller statt Dienstwagen. „Wir haben bereits die ersten Firmenkunden“, sagt Blum. „die all ihren Mitarbeitern unsere Roller anstelle von Dienstwagen bereitstellen“.

Die Zeichen stehen damit auf Wachstum, allerdings treffen alle deutschen Hersteller auf einen schwierigen Markt. „Der Einzelverkauf von Elektrorollern ist ein mühsames Geschäft“, sagt Verkehrsforscher Andreas Knie. „Viel interessanter für die Unternehmen ist das Verleihgeschäft“, so Knie. „Hier gehen wir von einem stark wachsenden Markt aus.“

Marktführer im Bereich Roller-Sharing: Das Start-up Emmy. Quelle: imago images

Allerdings, und das gehöre als Wahrheit zur boomenden Elektromobilität auf zwei Rädern dazu, sagt Knie: „Sharingdienste funktionieren meist nur, wenn es weitere Finanzierungsquellen gibt“. Die Logistik der Sharingdienste sei komplex, Akkus müssten getauscht und geladen werden. Hinzu kämen technische Defekte und Nutzer, die mit einem geliehenen Fahrzeug weniger pfleglich umgingen als mit ihrem Eigentum. Die Betriebskosten seien deshalb im Vergleich zum Umsatz hoch. „Ohne eine Kommune oder einen finanzkräftiger Unternehmenssponsor ist ein Sharingsdienst aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachhaltig schwer zu betreiben“, sagt Mobilitätsexperte Knie. Anbieter des öffentlichen Personennahverkehrs oder große Konzerne könnten diese Rolle übernehmen.

Der neue Roller von Unu soll die Tücken der Sharingdienste beheben. „Wir haben den Unu speziell für Sharinganbieter mitentwickelt“, sagt Blum. Der Rahmen werde robuster sein, die Hinterräder ließen sich im Falle einer Reparatur leichter abnehmen und wenn der Roller mal umfällt, „dann fällt er auf nicht-lackierte Teile“, sagt Blum.

Das Team von Unu befindet sich derzeit auf den letzten Metern des Produktstarts. Ab August soll der neue Roller auf den Markt kommen. Unus Leitspruch: „Designed in Berlin. Engineered in Germany. At home in all cities“. Ein Großteil der Hardwarekomponenten des neuen Rollers wurde bei PEM Motion in Aachen entwickelt. Die Ausgründung der RWTH Aachen ist kein Unbekannter im Markt. Das Unternehmen hat etwa auch beim Streetscooter der Deutschen Post und dem Elektroauto E.Go des Elektromobilitäts-Enthusiasten Günther Schuh von der RWTH Aachen mitgewirkt. Designt wurde der Roller in Zusammenarbeit mit dem Industriedesigner Christian Zanzotti von einem Team in der Unu-Zentrale in Berlin, das in einem ehemaligen Industriegebäude am Landwehrkanal in Berlin-Kreuzberg residiert.

Gefertigt wird der Roller beim Auftragsfertiger Flextronics aus Singapur. Das Unternehmen ist eine große Nummer in Asien, produziert Elektronik- und Hardware-Komponenten für Tesla, Hewlett Packard und Sony. Das Unternehmen setzte zuletzt rund 25 Milliarden Dollar um und ist ein Konkurrent des iPhone-Zulieferers Foxxconn. Der Weg zu Flextronics war steinig. Ursprünglich ließ Unu die Roller in einer chinesischen Manufaktur anfertigen. Die Qualität sei „okay“ gewesen, sagt Blum. Im Laufe der Zeit wechselte Unu den Hersteller dann zu Flex. „Jetzt läuft es rund.“

Beim neuen Unu-Modell will Blum den Vertrieb internationalisieren. Derzeit ist das Start-up in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv. Künftig sollen die E-Roller auch nach Frankreich verkauft werden. Für das Nachbarland hat Unu die Lizenz zum Druck von Nummernschildern bereits gesichert. So kann Unu die Roller auf Wunsch versichert und fahrbereit beim Käufer zu Hause anliefern.

Die erste Plakette ist schon gedruckt. In der dritten Etage der Unu-Zentrale in Berlin-Kreuzberg hocken die Softwareentwickler und Ingenieure über ihren Rechnern. Im Raum stehen die ersten zwei Prototypen des neuen Unu-Rollers. Auf dem Regal steht ein Nummernschild mit dem französischen Kennzeichen: BAD-ASS 1.

*In der ursprünglichen Version des Artikels stand, dass Unu die neuen Roller im August dieses Jahres ausliefern wollte. Inzwischen plant das Unternehmen mit dem Verkaufsstart im Februar 2020.

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