Easyjet Carolyn McCall – die Bändigerin

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Nähe zu den Beschäftigten

Heute arbeitet sie am Firmensitz in Luton, umgeben von mehreren Hundert anderen Angestellten, an einem kargen Schreibtisch. „Man kann einfach vorbeischauen und manchmal mit ihr Mittagessen gehen“, erzählt ein Pilot. Der Verzicht auf ein eigenes Büro verschaffe ihr direkten Draht zu den Beschäftigten. „Schöne Schuhe!“, etwa ruft sie auch mal gerne, wenn eine Kollegin Entsprechendes trägt. „In meinem Job hilft es enorm, dass ich mich für andere Leute interessiere und einfach wissen will, was los ist“, sagt McCall. Als Passagiere sich etwa über fettige Speckbrötchen an Bord beschwerten, führte sie umgehend abgepackte Fruchtsalate ein, gegen Bezahlung versteht sich.

Man darf diese Empathie also nicht mit mangelnder Härte verwechseln. Es ist eher ein ungebrochener Wille, Konventionen zu hinterfragen, mit dem McCall ihr Unternehmen Easyjet angeht. Etwa, wenn sie ihren Großaktionär Sir Stelios Haji-Ioannou bändigt. Der Brite griechisch-zypriotischer Abstammung hatte Easyjet 1995 als 28-Jähriger gegründet. Doch nach dem Börsengang im Jahr 2000 zermürbte er mit seinem 37-prozentigen Stimmrechtsanteil mehrere Vorstandschefs und Verwaltungsratsvorsitzende, weil er mehr Dividenden statt teurem Wachstum forderte.

McCall stellte den Großaktionär still, indem sie ihn zuerst mit Sonderdividenden sowie einem lukrativen Lizenzvertrag für die Nutzung des Easyjet-Markennamens erfreute. Im zweiten Schritt isolierte sie ihn im Aktionärskreis, indem sie den Schulterschluss mit den Großinvestoren suchte. Genörgel von Sir Stelios wurde zuletzt kaum noch vernommen. In London erzählt man sich, sie habe den Löwen gebändigt.

Revolutionärer Blick von außen

Trotzdem ist McCall keine, die vor Selbstbewusstsein platzt. „Als ich nach 24 Jahren die sichere Umgebung beim ,Guardian‘ verließ, wusste ich, dass ich ein hohes Risiko eingehe“, berichtete sie in einem Interview mit der BBC. „Es wäre ja verrückt, wenn man da überhaupt keine Zweifel hätte. Gefährlich wird es aber nur, wenn die das Selbstbewusstsein zerstören.“ Dafür hätte gern Michael O’Leary gesorgt, der Chef des irischen Konkurrenten Ryanair, als er McCall zum Start bei Easyjet eine „Medien-Tussi“ nannte. Doch die Verspottete schwieg die Schmähung weg – und arbeitete. „Carolyn hat als Branchenfremde die Gesetze der Billigfliegerei infrage gestellt, etwa weil sie auf Dinge wie unbedingtes Wachstum oder Sparen um jeden Preis verzichtet und statt auf Billigflughäfen stärker als andere auf Geschäftsreisestrecken gesetzt hat“, sagt ein Mitglied des Easyjet-Verwaltungsrats.

Dabei nutzte ihr die Unvoreingenommenheit, mit der sie ihren Job antrat. McCall drehte das Geschäftsmodell von Easyjet nach dem Vorbild der amerikanischen Jetblue oder der Lufthansa-Tochter Germanwings in Richtung Edeldiscounter: Sie führte Sitzplatzreservierung gegen Gebühr ein, lockte Geschäftsreisende mit gegen Aufpreis flexibel umbuchbaren Tickets und pochte auf freundlicheren Service.

Die wichtigsten Billigflieger in Deutschland

Heute gilt für McCall wohl der Satz: Das Plagiat ist die höchste Form der Anerkennung.

So entschied Ryanair-Chef O’Leary im Herbst 2013, wie Easyjet Zuzahlungen für Extraservice zu senken und bei Handgepäck an Bord großzügiger zu sein und den Umgangston gegenüber den Passagieren aufzuhellen, um auch Geschäftsleute anzulocken. In einem unauffälligen Büroblock am Ryanair-Sitz am Dubliner Flughafen hat O’Leary zudem in seinem „Digital Lab“ die im Frühjahr 2014 präsentierte neue Digitalstrategie ausgetüftelt. Auf einer weißen Tafel steht unter der Überschrift „Konkurrenz“ an erster Stelle „Easyjet“. McCall, die bereits für den „Guardian“ eine neue Digitalstrategie entwickelt hatte, beschwor ihre Mitarbeiter beim Besuch auf dem Flughafen Schiphol denn auch: „Was das Digitale angeht, sind wir denen weit voraus!“

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