Szenario II: Keine Einigung, die Slots werden neu vergeben
Ein Scheitern der Verhandlungen mit Easyjet ist also nicht im Interesse der Lufthansa. Auch für Easyjet wäre es bei einer Neuvergabe der Slots wohl teurer, und zudem unsicher, welche Slots man am Ende erhält. Deshalb sieht Großbongardt bei allen Beteiligten einen „hohen Entscheidungsdruck“: „Wenn es scheitert, wird es für alle teurer.“
Eine teurere Lösung kann und will sich Easyjet wohl nicht leisten. Der britische Billigflieger konnte zwar zuletzt den Gewinnrückgang in Grenzen halten, liegt aber immer noch mindestens 17 Prozent unter dem Vorjahr. In der vergangenen Woche hatte Easyjet bekanntgegeben, für die vergangenen zwölf Monate mit einem bereinigten Vorsteuergewinn von 405 bis 410 Millionen Pfund (455 bis 460 Millionen Euro) zu rechnen.
Dem Unternehmen macht das wachsende Flugangebot in Europa zu schaffen, das auf die Ticketpreise drückt. „Angesichts der schwieriger werdenden Aussichten und den Unsicherheiten rund um den Brexit versucht Easyjet offenbar, sein Geld so gut es geht beisammen zu halten“, sagt ein Branchenkenner.
Szenario III: Easyjet beteiligt sich nicht an Air Berlin
In den vergangenen Tagen geisterte auch eine andere Möglichkeit durch das Internet: Statt bei Air Berlin könnte Easyjet bei Monarch zugreifen – jenem insolventen britischen Ferienflieger, der am 2. Oktober seinen Flugbetrieb eingestellt hatte. Bei Monarch locken 30 Mittelstreckenjets, wie bei Air Berlin. Und da sie bereits seit Anfang des Monats auf dem Boden stehen, sind sie wohl günstiger zu haben als die rot-weißen Flieger aus der Bundeshauptstadt.
Luftfahrtexperte Großbongardt hält das für unrealistisch. „An Flugzeugen mangelt es nicht“, sagt der Chef des Beratungsunternehmens Expairtise. „Der Punkt sind die Slots und nicht die Flieger.“ Easyjet sei eher an Slots auf dem Kontinent anstatt weiteren Rechten im UK interessiert. „Easyjet ist im Heimatmarkt Großbritannien bestens vertreten“, sagt Großbongardt. „Aber seine Position in Deutschland als dem zweitgrößten Luftverkehrsmarkt in Europa auszubauen ist für Easyjet strategisch wichtig – ganz besonders im Lichte des Brexit.“
Für den Ausbau in Deutschland würde Easyjet sogar einige Unannehmlichkeiten auf sich nehmen. Denn bislang ist der Berliner Standort der Briten in Schönefeld – erst im Mai hatte der Carrier eine weitere Maschine samt Crews auf dem Ost-Berliner Flughafen stationiert. Insgesamt operieren jetzt zwölf weiß-orangene Flugzeuge von dort aus. Im vergangenen Jahr sind über fünf Millionen Passagiere mit Easyjet von oder in die Hauptstadt geflogen – mit der zwölften Maschine werden es noch mehr.
Ein Parallelbetrieb in Tegel – im Fachjargon „Split Operation“ genannt – ist nicht nur wegen des Personaleinsatzes an zwei Standorten aufwändiger. Für eine Fluglinie erschwert er auch das Umsteigen von Zubringerflügen enorm. Wer mit Easyjet innerdeutsch nach Tegel fliegt, wird kaum dann auf der Mittelstrecke ab Schönefeld weiterreisen, sondern eher die Airline wechseln.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Dennoch hält Großbongardt die zumindest vorübergehende Split Operation für interessant. „Eine einheitliche Operation ist zunächst einmal attraktiver“, sagt der Experte. „Aber am Ende muss eine Airline schauen, wo sie Geld verdient. Und im Moment ist es so, dass die Menschen lieber weiter ab Tegel fliegen anstatt nach Schönefeld hinauszufahren.“
Die Nachfrage wird bleiben, auch wenn Air Berlin bald verschwunden ist. Es ist also nicht die Frage, ob jemand die Slots und Strecken übernimmt, sondern wer. Und damit auch, wie viele der Air-Berlin-Mitarbeiter bei den neuen Eigentümern unterkommen. In einem Tag wird mehr Klarheit herrschen.