Bei der Hauptversammlung des deutschen Bauprimus Hochtief am Dienstag dieser Woche ist der Ort der Inszenierung derselbe wie vor einem Jahr: das Essener Kongresszentrum neben dem Wildgehege des Grugaparks. Vom letztjährigen Hochtief-Spitzenpersonal aber ist kaum noch jemand übrig.
Seit der spanische Mehrheitsaktionär ACS im November 2012 seinen Gefolgsmann Marcelino Fernandez an die Hochtief-Spitze setzte, legten fünf Aufsichtsräte des Konzerns sowie der Bau- und Servicetochter Hochtief Solutions ihre Mandate nieder. Die Verfallsdaten der Solutions-Manager, von denen in fünf Monaten vier ausschieden, wurden immer kürzer.
Wer Hochtief bereits verlassen hat
Nach Informationen der WirtschaftsWoche hat Vorstandschef Marcelino Fernández den Geschäftsführer der Hochtief-Solutions-Sparte Energie und Infrastruktur, Stephan Hebgen, von seinen Aufgaben freigestellt. Ende Oktober 2013 verabschiedete sich Hebgen, der zudem Mitglied im Solutions-Aufsichtsrat war und dort die Leitenden Angestellten vertrat, in einer E-Mail von den Mitarbeitern.
Die spanische Mutter ACS setzt Hochtief-Chef Frank Stieler Ende November 2011 vor die Tür. Er hatte sein Amt erst im Mai 2011 angetreten. Insider vermuten, Stieler haben den Spaniern die Probleme der Tochter nicht schnell genug gelöst und Verkaufspläne nicht entschieden genug vorangetrieben.
Schränkler, 48, leitet als Vorstandsvorsitzender die Sparte Concessions und war Chef der Flughafensparte. Die Sparte hat Chef Stieler zum Teil schon auf andere Manager übertragen, die Flughafensparte steht zum Verkauf. Schränkler muss sich "neuen beruflichen Herausforderungen stellen". Seine Aufgaben übernehmen die beiden verbliebenen Geschäftsführer Holger Linkweiler und Gerhard Schroeder.
Im September 2011 wird Personalchef Gerhard Peters entmachtet. Brisant ist die Entmachtung, weil Peters im Hochtief-Aufsichtsrat sitzt und dort zu den Gegnern der Übernahme durch den spanischen Baukonzern ACS zählte.
Auch Bernward Kulle, Vorstand der Tochter Concessions und Spezialist fürs Geschäft mit Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP), reichte kurz nach der Übernahme die Kündigung ein.
Rocksien, 49, Cheflobbyist in Berlin und Leiter der Abteilung Politik und Verbände der Hochtief AG, verkündete Mitte Dezember 2011 seinen Abschied. Rocksien hatte seit September 2010 vergebens versucht, Bundesregierung und Abgeordnete zu einer schnellen Änderung des Wertpapierübernahmegesetzes zu bewegen, um die feindliche Übernahme von Hochtief durch ACS zu verhindern.
Rohr verlässt den Konzern Ende Dezember 2011. Er war 15 Jahre im Konzern und leitete das Amerika-Geschäft und die Flughafensparte. Rohr war der letzte Konzernvorstands der Lütkestratkötter-Ära und zu diesem Zeitpunkt der achte Top-Abgang seit Stielers Amtsantritt.
Die Leiterin der Konzernkommunikation, Jutta Hobbiebrunken, verlässt ebenfalls nach der verlorenen Übernahmeschlacht Mitte Mai 2011 das Unternehmen. Hobbiebrunken galt als enge Vertraute des früheren Vorstandschefs Herbert Lütkestratkötter. Sie war seit 1994 bei Hochtief und baute die Konzernkommunikation im In- und Ausland auf.
Vorstandsmitglied Peter Noé wollte nach dem Einstieg der Spanier nicht länger für Hochtief tätig sein, er verabschiedete sich kurz nach der feindlichen Übernahme im Mai 2011.
Finanzvorstand Burkhard Lohr tritt kurz nach der Übernahme durch ACS ab. Lohr mochte sich nicht mit dem neuen Mehrheitseigner abfinden. Er wird durch vom ehemaligen Ferrostaal-Manager Peter Sassenfeld ersetzt.
Ende Oktober 2011 wirft der Vorstandschef der Bausparte Hochtief Solutions, Henner Mahlstedt, den Bettel hin.
Der Finanzvorstand der Sparte Solutions, Heiner Helbig, 54, wirft im Herbst 2011 das Handtuch, gemeinsam mit seinem Kollegen Henner Mahlstedt.
Der in der 140-jährigen Geschichte des Essener Bauriesen beispiellose Managerexodus hängt eng zusammen mit dem vermeintlichen Geniestreich der halbjährigen Fernandez-Amtszeit: dem am 9. April unterzeichneten Vertrag zum Weiterbau der Hamburger Elbphilharmonie. Darin gesteht die Stadt als Bauherr dem Auftragnehmer Hochtief zwar 198 Millionen Euro Nachschlag zu. Doch mehr gibt es nicht. Egal, was noch schiefgeht bei dem Bauabenteuer: Hochtief zahlt. „Die Elbphilharmonie-Risiken wurden auf die Hochtief-Aktionäre verlagert“, kritisiert Analyst Marc Gabriel vom Bankhaus Lampe.
„Dieser Vertrag ist beispiellos, was die Übernahme von Risiken betrifft“, heißt es denn auch zufrieden im Umfeld des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD). Besorgte Hochtiefler sehen das genauso und flüchten sich in Ironie: „Ein Wunder, dass Hochtief nicht auch noch die Zahl der Konzertbesucher garantiert.“
Eröffnung sieben Jahre später
Die Elbphilharmonie wetteifert mit dem Berliner Großflughafen BER, dem Untergrund-Bahnhof Stuttgart 21 und dem Kölner U-Bahn-Bau um den Status des größten Baudesasters der Republik. Die Kosten explodierten von den 2005 genannten 77 Millionen Euro auf nun bestätigte 865 Millionen, wovon 789 Millionen Euro die Stadtkasse belasten. Die einst für 2010 geplante Eröffnung verzögert sich nach heutigem Stand wegen Kompetenzrangeleien und Planungschaos bis 2017.
Seit November 2011 liegt die Baustelle weitgehend brach – unter anderem, weil Hochtief Zweifel hatte, ob der Unterbau nach mehrfachen Planungsänderungen das Dach trägt. Demnächst wird die schon fertige, 650.000 Euro teure Verkleidung der 80 Meter langen Rolltreppe wegen unschöner Risse wieder zu Bauschutt zerkleinert.
Ursache der Probleme
Die Ursachen für den Pfusch am Bau sind seit Jahren strittig zwischen Hochtief, der Stadt und dem Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron. Deren kompliziertes vertragliches Dreiecksverhältnis neu zu ordnen war die einzige Alternative zu jahrelangen Prozessen und weiterem Baustillstand. Insofern fügte es sich gut, dass Hochtief-Chef Fernandez auf der Seite des Vertragsgegners einen Bekannten wiedertraf: Herzog-de-Meuron-Partner David Koch, den er zehn Jahre zuvor bei einem Bauprojekt in Barcelona gut kennengelernt hatte und der Spanisch spricht. Beide verhandelten fortan persönlich mit Bürgermeister Scholz – auf Englisch, Deutsch und Spanisch und oft ohne weitere Hochtiefler.
Ausriss aus Elbphilharmonie-"Nachtrag Nr. 5"
"Dabei hat der Auftragnehmer auch etwaige Mängel der Planungsgrundlagen zu beseitigen, unabhängig davon, ob diese von ihm verursacht wurden oder nicht..."
"Die hieraus resultierenden Bauleistungen hat der Auftragnehmer ebenfalls ohne Anspruch auf Mehrvergütung oder Sowiesokosten zu erbringen, ohne Rücksicht darauf, ob diese bei Vertragsschluss bekannt oder erkennbar waren oder nicht,..."
"Der Auftragnehmer trägt ferner das Risiko, dass die erforderlichen Genehmigungen rechtzeitig erteilt werden."
"Der Auftragnehmer haftet uneingeschränkt für die gesamte, auch die bisherige Planung."
Das 34-Seiten-Vertragswerk „Nachtrag Nr. 5“ macht klar, wie weit Fernandez bei den Dreiertreffen im Hamburger Rathaus nachgab. Der endgültige Pauschalfestpreis von 575 Millionen Euro umfasst unwiderruflich „die vollständige bauliche Fertigstellung der Elbphilharmonie“. Viele Zusagen gehen weit über die üblichen Festlegungen der Baubranche hinaus. Hochtief trägt alle Planungs- und Baurisiken, kann aber die Einhaltung mancher Verpflichtungen nicht selbst sicherstellen:
- So garantiert Hochtief, alle Leistungen für die Fertigstellung der Elbphilharmonie zu erbringen, „ohne Rücksicht darauf, ob diese bei Vertragsabschluss bekannt waren oder nicht“. Weiter legt der Vertrag fest, dass Hochtief „vorsorglich“ auf jede „jetzt oder künftig zustehenden Mehrforderungen, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt, verzichtet.
- Allein Hochtief hat „etwaige Mängel der Planungsgrundlagen zu beseitigen, unabhängig davon, ob diese von ihm verursacht wurden oder nicht“. Mit zuständig für die Planung sind aber das Aachener Planungsbüro Höhler + Partner und Herzog & de Meuron. Herzog & de Meuron hat auch die künstlerische Oberleitung und damit großen Einfluss auf die Planung. Die drei bilden eine Arbeitsgemeinschaft, der Hochtief dank des neuen Vertrags auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.
- Für zusätzliche Bauleistungen aufgrund von Planungen, die „unklar, lückenhaft, nicht vollständig oder fehlerhaft“ waren, muss Hochtief aufkommen – „ohne Anspruch auf Mehrvergütung“, ohne Limit.
- Allein Hochtief trägt „das Risiko, dass die erforderlichen Genehmigungen rechtzeitig erteilt werden“, ungeachtet des Arbeitseifers städtischer Behörden und möglicher „Änderungen der zugrunde liegenden Vorschriften oder der Rechtslage“.
- Für „nachbarschaftliche Ansprüche und sonstige Schadenersatzansprüche“ Dritter gegenüber der Stadt haftet: Hochtief.
- Für den perfekten Raumklang im Großen Konzertsaal mit 2150 Plätzen ist der japanische Akustikpapst Yasuhisa Toyota verantwortlich, der zur Kritik an seinem Klangkonzept sagt: „Niemand kann eine Garantie geben.“ Hochtief aber übernimmt sie zumindest für messbare Akustikwerte.
„Wir übernehmen mehr Verantwortung, als das bei Bauverträgen üblich ist“, räumt ein Hochtief-Sprecher ein. Aber es gebe kein Projekt, „das wir so gut gedanklich durchdrungen haben wie dieses“.
Erstaunliche Kompromissbereitschaft
Wie kompromissbereit Fernandez war, erstaunt die Scholz-Truppe noch heute. Die unter Punkt vier stehenden „Vertragsstrafen auf sechs Zwischentermine“ waren anfangs nicht vorgesehen. Für jeden Werktag, den Hochtief überzieht, wären 200.000 Euro fällig. Wird die Abnahme am 31. Oktober 2016 überschritten, sind es 575.000 Euro pro Werktag. Die Strafzahlungen sind gedeckelt auf 29 Millionen Euro. Überzieht Hochtief beim Endtermin um mehr als drei oder bei den Zwischenterminen um mehr als vier Monate – „gleich aus welchem Grund“ –, darf die Stadt die Verträge kündigen, mit unabsehbaren finanzielle Folgen.
Aktionärsschützer wollen bei der Hauptversammlung nachhaken, wie es zu der einseitigen Lastenverteilung kam. „Immer wieder hat Hochtief nachgebessert“, beschreibt ein Scholz-Intimus den herbstlichen Verhandlungsmarathon: „Unsere Bedingungen sind übererfüllt worden.“
Aufsichtsräte abserviert
Deshalb kam es zur Zerreißprobe zwischen Fernandez und der damaligen Hochtief-Solutions-Führungsriege. „Früher hätte man uns so einen Vertrag um die Ohren gehauen“, sagt ein hochrangiger Hochtiefler der WirtschaftsWoche: „Die Garantien, die wir da übernehmen, sind hoch riskant. Niemand kann heute sagen, in welcher Höhe Hochtief dafür zahlen muss.“ Auch Stadtoberhaupt Scholz warnt, niemand solle glauben, „dass die Fertigstellung des Konzerthauses ein Spaziergang wird“. Wichtig war den Hamburgern, sagt Nikolas Hill, Staatsrat in der Kulturbehörde, dass „die künftigen Risiken Hochtief trägt und nicht der Steuerzahler“.
Was sich im Essener Hochtief-Management vermutlich abspielte, bevor Fernandez seine Kritiker vor die Tür setzte, erklärt der Münchner Aktienrechtler Oliver Maaß von der Kanzlei Heisse Kursawe. Der Rechtsanwalt analysiert seit 2010 die Folgen der Übernahme durch ACS und geht davon aus, „dass sich das Management von Hochtief Solutions gegenüber der Konzernmutter Hochtief absichern wollte und nicht bereit war, den neuen Elbphilharmonie-Vertrag ohne Ausschluss einer persönlichen Haftung zu unterschreiben“.
Ob es so war, dazu nimmt Hochtief nicht Stellung. Ein an den Verhandlungen Beteiligter aber stützt Maaß’ These: „Die Solutions-Manager haben sich ungewöhnlich formalistisch verhalten“, fiel dem Hanseaten auf: „Die waren sehr darauf bedacht, sich bei Zustimmungen immer vom Konzernvorstand anweisen zu lassen.“
Schon vorher, im Februar, servierte Fernandez die drei externen Aufsichtsräte von Hochtief Solutions ab: Ex-Allianz–Manager Reiner Hagemann, die finnische Managerin Essimari Kairisto und Andreas Nauen, Chef des Windanlagenbauers Repower. Aus dem Kreis dieser Ex-Aufseher heißt es: „Zum Elbphilharmonie-Vertrag hätte es im Aufsichtsrat kritische Fragen gegeben.“