EM in Polen Wie die Handballer vom EM-Erfolg profitieren können

In Polen überrascht die deutsche Mannschaft die Handball-Welt. Das sollte der Verband nutzen, um sein Image zu entstauben, um mehr Sponsoren, Fans und TV-Sender anzulocken und die Lücke zum Fußball zu verkleinern.

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Handball Quelle: dpa

Schon 30 Sekunden vor dem Abpfiff gab es kein Halten mehr – gerade hatte Anders Eggert von Linksaußen noch einmal nur den Innenpfosten des deutschen Kastens getroffen, da lagen sich die deutschen Spieler auch schon in den Armen: Mit dem 25:23-Sieg über die favorisierten Dänen sind die deutschen Handballer zum ersten Mal seit acht Jahren wieder ins Halbfinale eines wichtigen Turniers eingezogen.

Vor dem Anpfiff der Europameisterschaft in Polen hatte kaum jemand ernsthaft damit gerechnet, dass die Truppe um Bundestrainer Dagur Sigurdsson in die Runde der besten vier Teams einziehen würde. Doch tatsächlich machte die junge Mannschaft aus der Not, dass zahlreiche Leistungsträger wie etwa Linksaußen Uwe Gensheimer oder Kreisläufer Patrick Wiencek verletzt fehlen, eine Tugend und überraschte die Fachwelt mit ihrem mitreißenden und gleichzeitig erstaunlich abgeklärten Spiel.

Wie viele Menschen sich für Handball interessieren

Selbst wenn die Mannschaft um Torwart Andreas Wolf und Rückraum-Schütze Steffen Fäth das Halbfinale gegen Norwegen, das heute Abend um 18.30 Uhr angepfiffen wird, verlieren sollte, lobt etwa Kim Roether, Vorstand beim Einkaufsverbund Intersport: „Die EM in Polen zeigt, was für ein Potenzial Handball auf und neben dem Spielfeld hat.“

Marken-Experte Björn Sander, Senior Partner beim Beratungsunternehmen Vivaldi Partners, sagt: „Die junge Mannschaft mit ihren deutschen Tugenden und ihrem sympathischen Auftreten bieten eine enorme Identifikationskraft, gerade für junge Zielgruppen. Hierin liegt eine große Chance für die Marke „deutscher Handball“ - sie kann wieder junge Zielgruppen für die Sportart begeistern und sich nachhaltig als deutsche Top-Sportart in den Medien etablieren.“

Die erfolgreichsten Nationen der Handball-EM

Kurzfristig profitiert etwa die Marke Kempa, die zum Sportartikelunternehmen Uhlsport gehört, von den Erfolgen der DHB-Auswahl: Bei Intersport heißt es, dass die Nachfrage nach dem Team-Leibchen gerade in den vergangenen Tagen spürbar in die Höhe gegangen sei: „Einzelne Größen sind bereits ausverkauft“, sagte ein Intersport-Sprecher.

Tatsächlich jedoch dürften es vor allem bereits aktive Sportler oder langjährige eingefleischte Fans sein, die die Trikotverkäufe treiben. Anders als beim Fußball ist es dem Handballverband noch nicht gelungen, das Image der Sportart so zu modernisieren, dass sie auch neue Mitglieder und Fans anlockt. Zwar ist der deutsche Handballverband mit fast 770.000 Mitgliedern hinter den Fußballern der zweitgrößte deutsche Sportverband. Doch in Sachen Image und Attraktivität hinken die Handballer ihren Kollegen meilenweit hinterher.

Verkaufssteigerung durch EM-Erfolg?

Das drückt sich etwa auch in den sonstigen Verkaufszahlen für Handball-Produkte aus: „Wir spüren aktuell noch keine erhöhte Nachfrage nach Handball-Produkten bei unseren Händlern“, sagte Roether der WirtschaftsWoche. Das könne sich nach der EM mit einem Überraschungserfolg der deutschen Mannschaft ändern, hofft Roether: „Wenn es dem Handballsport gelingt, diese Begeisterung an die breite Masse zu transportieren, kann das einen Schub geben – auch für die Umsätze im Sportfachhandel.“

Damit dies allerdings passiert, muss sich nach Meinung von Experten besonders beim Deutschen Handballbund noch eine Menge tun. „Voraussetzung ist, dass man den Rückenwind des Turniers und den medialen Hype professionell nutzt“, sagt Marken-Experte Sander. Und da hapert es beim Verband derzeit noch an sehr vielen Stellen.

So sei etwa allein schon der Auftritt des DHB im Internet „wenig aktivierend und mitreißend: Die Website kommt sehr bieder daher und verwaltet ihre Themen ­ über die Nationalmannschaft wird fast geschäftsmäßig berichtet“, sagt Sander. Tatsächlich finden sich etwa im DHB-Shop ziemlich spezielle Angebote wie etwa Würfelbecher mit dem DHB-Logo oder besondere Preziosen wie die Manschettenknöpfe „Adler“ für 8,95 Euro oder das „DHB-Kissen Wave“ für 12,95 Euro ­ mit der Realität der jungen Zielgruppe, sagt Sander, „haben diese Fanartikel wenig zu tun.“

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Das ist insofern erstaunlich, als die Handballer offenbar die Chancen, die sich aus dem Erfolg bei der Heim-WM 2007 und dem dritten WM-Titel ergaben, nicht wirklich nachhaltig nutzen konnten. Zwar zog nach dem WM-Erfolg die Zahl der Vereinsmitglieder in Deutschland spürbar an auf fast 850.000. Doch seit dem Höhepunkt bröselt es kräftig, gut zehn Prozent der Mitglieder gingen verloren.

Damit die EM in Polen nun nicht erneut nur ein Strohfeuer wird, müsse der DHB sich bemühen, „die Marke deutscher Handball klar zu positionieren und konsequent zu inszenieren“, sagt Vivaldi-Manager Sander: „dazu gehören die Nutzung des Zugpferds Nationalmannschaft, die Auslobung klarer Markenwerte und eine wirklich zielgruppengerechte Aktivierung.“ Dem DFB ist dies etwa mit der Einführung des plakativen Slogans „Die Mannschaft“ durchaus gelungen.

Dass Handball in Deutschland nach wie vor ein perfekter Fernsehsport ist, der in der Lage ist, Millionen vor die Fernseher zu locken, zeigen nicht zuletzt die Einschaltquoten: Das Spiel gegen die Dänen bescherte der ARD am Mittwochabend einen Marktanteil von 21,1 Prozent – davon kann das Erste an diesem Sendeplatz sonst nur träumen. Für das Halbfinale rechnet daher DHB-Vize Bob Hanning, der nicht zuletzt durch sein Eintreten für Bundestrainer Sigurdsson maßgeblichen Anteil am erfolgreichen Abschneiden des Teams hat, mit noch besseren Quoten: „Die Zahlen entwickeln sich seit dem EM-Start konstant nach oben, wir wollen die Zehn-Millionen-Marke erreichen.“

Besonders eine Zahl jedoch sollte auch dem DHB zu denken geben: In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen lockte Handball für die ARD fast 18 Prozent der Zuschauer an. Will man die bei der Stange halten und auf längere Sicht für den Sport begeistern, reichen Würfelbecher und seltsame Sofakissen garantiert nicht aus.

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