Energiekrise, Ukrainekrieg, Inflation Furchtbares neues Jahr? In diesen Branchen wird es eng

In diesen Branchen geht es 2023 ums Überleben. Quelle: imago images

Die Finanzierungskosten steigen, Energie- und Rohstoffkosten belasten und die Konsumnachfrage schwächelt: Es wird ungemütlich für die deutsche Wirtschaft. In welchen Branchen es 2023 ums Überleben geht.

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Friedliche Adventszeit? Nicht beim angeschlagenen Autozulieferer Leoni mit Sitz in Nürnberg. Mitte Dezember informierte das Unternehmen per ad-hoc-Mitteilung seine Aktionäre, dass der fest geplante Verkauf des Auto-Kabelgeschäfts vorerst doch nicht gelingt. Die thailändische Stark-Gruppe verweigere den Abschluss des Deals, teilte Leoni mit. Die Folge: Auch das Refinanzierungskonzept für den Konzern kann zunächst nicht umgesetzt werden. Aus dem Verkauf sollten bis zu 442 Millionen Euro an die finanzierenden Banken des hochverschuldeten Unternehmens fließen. Weitere 132 Millionen Euro waren aus einer Kapitalerhöhung und einer Pflichtwandelanleihe vorgesehen. Im Gegenzug hatte die Mehrheit der Gläubigerbanken im Sommer zugesagt, ihre Kredite um knapp drei Jahre zu verlängern. Und nun? Muss eine neue Lösung her. Schnell.

Leoni sitzt auf einem Schuldenberg in Höhe von rund 1,7 Milliarden Euro. Die Coronakrise und der Krieg in der Ukraine haben die Probleme des Kabelbaum-Spezialisten verschärft. Zudem schlagen bei den Nürnbergern steigende Ausgaben für Rohstoffe und Logistik ins Kontor. Kosten, die nicht vollständig an die Kunden weitergegeben werden können. Auch die hohe Volatilität der Bestellungen von Autoherstellern belastet. Leoni-Chef Aldo Kamper spricht von einem „perfekten Sturm“, mit dem sich die Autozuliefer-Branche konfrontiert sehe. Und nicht nur sie. Gleich in mehreren Wirtschaftszweigen dürfte es 2023 ungemütlich werden.

Schon in den vergangenen Wochen hatten Insolvenz- und Restrukturierungsspezialisten alle Hände voll zu tun. An Problemen und Risiken mangelt es schließlich nicht: So treffen die Kostensteigerungen neben der Industrie auch die privaten Verbraucher. Um ihre Energierechnungen und den Einkauf im Supermarkt zu bezahlen, passen sie ihre Haushaltsbudgets an. „Nicht notwendige Ausgaben werden teils verschoben, oder ganz gestrichen“, sagt Restrukturierungsexperte Ulrich Klockenbrink, Partner der Wirtschaftskanzlei Latham & Watkins. Die Folge: „die Konsumnachfrage schwächelt.“ Mehrere Küchen- und Möbelhersteller haben das schon 2022 zu spüren bekommen, darunter der Möbelproduzent Hülsta, der im Oktober Insolvenz angemeldet hat.

Wandel im Handel

Auch Handelsunternehmen wie die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, die Bekleidungskette Orsay, die Schuhhändler Görtz und Salamander oder der Onlinehändler windeln.de meldeten 2022 Insolvenz an. „Fast immer erwischt es im ersten Schritt jene Unternehmen, die vorgeschädigt sind und mit hausgemachten Problemen kämpfen“, sagt der erfahrene Insolvenzverwalter Lucas Flöther. Weitere Hersteller langlebiger Konsumgüter und Handelsunternehmen etwa im Modebereich dürften also folgen.

Wie stark der Druck ist, spürt derzeit etwa Deutschlands größter Elektronikhändler Ceconomy mit seinen Töchtern Media Markt und Saturn. Ceconomy will nun an zahlreichen Schrauben drehen, um angesichts der gedämpften Konsumlaune von Verbrauchern seine Kosten zu senken. Ob dazu auch Filialschließungen oder -verkleinerungen gehören?

„Die ersten Insolvenzen gab es bereits, weitere Mittelständler werden folgen“, warnt Roland-Berger-Restrukturierungschef Sascha Haghani. Eine Studie zeigt, in welchen Branchen es jetzt eng wird.
von Henryk Hielscher

Klar ist: Schon in den vergangenen Jahren wurden nach Schätzung des Handelsverbands Deutschland (HDE) rund 41.000 Geschäfte geschlossen. „Filialketten haben teils 30 Prozent ihrer Standorte aufgegeben“, sagte jüngst HDE-Präsident Alexander von Preen. Auch bei Galeria, Görtz und Salamander zeichnen sich Schließungen ab. All das dürfte nicht ohne Konsequenzen für den Immobilienmarkt bleiben. Dort ist durch die Pandemie ohnehin viel in Bewegung geraten: Weil viele Beschäftige auch nach dem Ende der Coronaeinschränkungen einen Großteil ihrer Zeit im Homeoffice verbringen, könnte mittelfristig mehr Bürofläche frei werden. 

Noch wichtiger: „Der Zinsanstieg belastet die Immobilienbranche und trifft vor allem Projektentwickler mit voller Wucht“, sagt Insolvenz- und Sanierungsexperte Alexander Reus, Partner der Restrukturierungskanzlei Anchor. Einige Immobilienprojekte seien unter den geänderten Bedingungen nicht mehr rentabel. Er verweist zudem auf Kostensteigerungen bei Baumaterialien und Verzögerungen durch Personal- und Lieferengpässe, die die Lage zusätzlich erschwerten. 

Frust am Bau

Mehrere Gruppengesellschaften des Essener Immobilienentwicklers Fakt AG haben beispielsweise Anfang Dezember einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Mit Adler und Corestate standen zudem zwei weitere bekannte Unternehmen der Branche zuletzt massiv unter Druck. Und das dürfte nur der Auftakt sein: So ist die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen im Oktober so kräftig eingebrochen wie seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr. Sie sank um 14,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 25.399, teilte das Statistische Bundesamt mit. Das war bereits der sechste Rückgang in Folge. Von Januar bis Oktober gaben die Behörden damit grünes Licht für den Bau von 297.453 Wohnungen, was einem Rückgang von 4,7 Prozent oder 14.564 Wohnungen entspricht.

„Die Immobilienkrise wird an Bauunternehmen nicht spurlos vorbeigehen“, erwartet denn auch Insolvenzverwalter Flöther. Er rechnet mit „steigenden Insolvenzzahlen in der gesamten Bauwirtschaft“.   

Ganz generell würden die steigenden Zinsen und damit höhere Finanzierungskosten „für viele Unternehmen zu einer erheblichen Belastung“, sagt Restrukturierungsexperte Klockenbrink. Selbst Unternehmen, die operativ stabil laufen, würden aufgrund höherer Finanzierungskosten nun weniger Gewinn erwirtschaften können. „Dies belastet die Eigenkapitalsituation bei gleichzeitig oftmals hoher Verschuldung“, so Klockenbrink.  Zudem müssten sogar Firmen, denen es gelingt, steigende Kosten aus dem Produktionsprozess weiterzugeben indem sie ihre Preise erhöhen, die gestiegenen Kosten zunächst vorfinanzieren. „Das führt zu einem erhöhten Liquiditätsbedarf selbst bei diesen Unternehmen“, sagt Klockenbrink. Hinzu kommt: „Die Bereitschaft der Banken, frisches Geld zu geben, ist in einigen Branchen deutlich gesunken.“ 

Das bestätigt Tillmann Peeters von der Unternehmensberatung Falkensteg: Banken und Kreditversicherer seien „wieder restriktiver“. Zwar gebe es „keine Vollbremsung, aber Risiken werden wieder strenger bewertet und auch eingepreist, schon weil gesamtwirtschaftlich gesehen die Unternehmen auf ein schlechteres Ergebnis zulaufen.“ Und auch die staatliche Unterstützung aus der Corona-Zeit wird deutlich zurückgefahren. 

Bei vielen Unternehmen stehe eine Rückzahlung von gewährten Überbrückungshilfen an, warnt Stefan Schwindl, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei der MTG Wirtschaftskanzlei. Bis spätestens 30. Juni 2023 müssten Unternehmen eine Schlussabrechnung einreichen. „Die Rückforderung von Corona-Hilfen kann dazu führen, dass viele Unternehmen dadurch in eine finanzielle Schieflage geraten und die Zahl der Insolvenzen stark zunimmt“, so Schwindl.

„Zudem stehen bei vielen krisengebeutelten Unternehmen derzeit Überprüfungen von in der Pandemie beantragtem und bewilligtem Kurzarbeitergeld an – etwa in der Phase der Lockdowns“, sagt Elske Fehl-Weileder, Rechtsanwältin bei der Insolvenzkanzlei Schultze & Braun. Neben dem enormen administrativen Aufwand berge eine mögliche Rückforderung von Kurzarbeitergeld ein finanzielles Risiko für die betroffenen Unternehmen. „Denn das Kurzarbeitergeld wurde zum Teil bereits vor Jahren an die Arbeitnehmer in Kurzarbeit ausgezahlt“ und steht den Unternehmen nun nicht mehr zur Verfügung. Kurzum: „Corona-Krise, Lieferketten-Krise, Ukraine-Krise – die Krisen geben sich die Klinke in die Hand und die Insolvenzgefahr steigt“, bilanziert Fehl-Weileder. 

Kranke Häuser

Das gilt nicht nur für klassische Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen, sondern auch für den Gesundheitsbereich. Erst im Dezember hat die Imland-Klinik mit Standorten in Eckernförde und Rendsburg und rund 2400 Beschäftigten ein Schutzschirm-Insolvenzverfahren eingeleitet. Als Gründe nannten die Betreiber Einnahmeeinbußen aufgrund der Coronakrise, sowie die gesamtwirtschaftliche Lage, die zu erheblichen Kostensteigerungen in praktisch allen Klinikbereichen geführt habe. 

„Krankenhäuser wie jetzt die Imland-Kliniken leiden unter den enorm gestiegenen Energiekosten, der hohen Inflation und unaufschiebbaren Investitionen, unter anderem in die Bausubstanz und -technik“, sagt Insolvenzspezialist Rainer Eckert, der als Generalbevollmächtigter die Neuausrichtung der Imland-Kliniken dirigiert. „Mit diesen Grundproblemen sehen sich deutschlandweit derzeit zahlreiche Krankenhäuser konfrontiert“, sagt Eckert. 

Auch der gerichtlich bestellte vorläufige Sachwalter, Stefan Denkhaus, geht davon aus, dass 2023 „zahlreiche Krankenhäuser in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten“ dürften. Die Probleme des Gesundheitssystems und der Klinikfinanzierung seien „tiefgreifend und lassen sich auch nicht schnell beheben.“ 

Nicht minder angespannt ist die finanzielle Situation für viele energieintensive Betriebe. Schon vergangenen Sommer zwangen die hohen Energiekosten den Toilettenpapierhersteller Hakle in die Knie. Auch „Bäckereien, Brauereien und weitere Lebensmittelhersteller kämpfen mit hohen Energiekosten“, sagt Insolvenzverwalter Tobias Wahl von der Kanzlei Anchor. Gleichzeitig verfügten ihre Kunden – die großen Lebensmittelhändler – über erhebliche Nachfragemacht. „Das macht es schwierig, die Preise zu erhöhen und so Kostensteigerungen abzufedern“, sagt Wahl.

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Ähnlich ist die Situation in der Automobilindustrie, wo die meisten Zulieferer auf Gedeih und Verderb von den Bestellungen der Autokonzerne abhängig sind.  Das bekamen 2022 bereits die Branchengrößen Borgers und die Dr.-Schneider-Gruppe zu spüren. Und auch bei Leoni muss Vorstandschef Aldo Kamper jetzt nicht nur die Banken von seinem Sanierungskonzept überzeugen, sondern auch seine Kunden, die großen Autohersteller. 

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