Das war der erste Tag im Wirecard-Prozess Vor Gericht sitzt Markus Brauns größter Gegner keine zwei Meter hinter ihm

 Zwei Jahre nach dem spektakulären Zusammenbruch der Wirecard AG steht der frühere Chef Markus Braun am Donnerstag erstmals wieder im Rampenlicht – diesmal vor Gericht. Quelle: REUTERS

Zum Auftakt des Wirecard-Prozesses traf Ex-Konzernchef Markus Braun auf den Mann, der ihn schwer belastet hat: Oliver Bellenhaus. Welche Strategie Brauns Verteidigung verfolgt, wurde gleich am ersten Tag deutlich.

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Er hat tatsächlich wieder den Rollkragenpulli an. Markus Braun sieht abgemagert aus, als er am Morgen den Hochsicherheitsgerichtssaal in der JVA München betritt. Er hat sich einen Laptop unter den Arm geklemmt, nach vorne gebeugt stakst er zu seinem Stuhl, setzt sich zwischen seine Verteidiger.

Den Rolli trug Braun auch als er noch Chef von Wirecard war, dem einstigen Start-up, das zum Milliardenkonzern aufstieg. Einen Rolli wie Steve Jobs. Doch Braun ist an diesem Tag kein Steve Jobs, er ist Untersuchungshäftling und Angeklagter. Heute ist Tag 1 von 100 angesetzten Prozesstagen, in denen der wohl größte Betrugsskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte aufgearbeitet werden soll.

Für viele war Wirecard ein Vorzeige-Start-up, das aus dem Münchner Vorort Aschheim heraus zum globalen Milliardenkonzern avancierte. Dank des langjährigen Chefs, Markus Braun. Mittlerweile steht fest: Mehr als die Hälfte des Umsatzes war erfunden. Konten, auf denen angeblich Milliarden liegen sollten, sind leer. Wirecard ist pleite. Braun sitzt seit Juli 2020 in Untersuchungshaft. Sein Vertrauter Jan Marsalek befindet sich auf der Flucht.

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Die Staatsanwaltschaft München wirft Braun, Oliver Bellenhaus und Stephan von Erffa gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue und Marktmanipulation vor. Braun hat die Vorwürfe bislang entschieden zurückgewiesen, von Erffa hat gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Bundestages kriminelle Handlungen bestritten.

Brauns größter Gegner in diesem Prozess sitzt nicht mal zwei Meter hinter ihm: Oliver Bellenhaus, Wirecards ehemaliger Dubai-Statthalter. Man könnte ihn fast übersehen: Ein zierlicher kleiner Mann mit Glatze und Brille, im eng geschnittenen Anzug. Er stellte sich im Sommer 2020 den Behörden, sagte umfassend aus, schilderte den Ermittlern einen Betrugsfall riesigen Ausmaßes. Es ist die Strategie von Braun und seinen Anwälten, Bellenhaus vor Gericht unglaubwürdig zu machen. Wie das geht, werden die Zuschauer an diesem Tag noch erleben.

Die beiden Ex-Kollegen würdigen sich keines Blickes. Etwas entfernt von ihnen sitzt der dritte Angeklagte: Stephan von Erffa, der langjährige Chefbuchhalter von Wirecard. Auch er saß in U-Haft, kam aber unter Auflagen wieder frei.

Erst werden ihre Personalien festgestellt. Der Vorsitzende Richter Markus Födisch fragt Braun, ob er verheiratet ist und Wirtschaftsinformatiker. Braun antwortet knapp: „Ja“. Derzeit wohnt er in der JVA München? „Absolut.“ Dann hören die drei Angeklagten mehr als sechs Stunden lang – unterbrochen von Pausen – die Verlesung ihrer Anklage. Die Staatsanwälte Matthias Bühring, Henning Heinen und Inga Lemmers lesen sie im Wechsel vor, 91 Seiten müssen sie schaffen. Braun verzieht keine Miene, liest den Anklagetext offenbar auf seinem Computer mit.

In München hat der Prozess gegen den langjährigen Wirecard-Chef begonnen. Die Ermittler sehen ihn als Kopf einer Bande, die Umsätze erfand. Vor allem seine Kapitalmarkt-Kommunikation bringt ihn in Bedrängnis.
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Die Wirecard-Story, wie sie die Ermittler heute lesen, geht so: Die Staatsanwaltschaft München wirft dem Trio vor, Wirecard jahrelang als rasant wachsendes Unternehmen dargestellt zu haben – obwohl es das gar nicht war. Ertragreiche Geschäfte mit Drittpartnern sollen sie erfunden haben. Die Story vom Milliardenkonzern – sie war demnach eine Lüge, auf die nicht nur Anleger, sondern auch Kreditgeber hereingefallen sind.

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Die Staatsanwälte sehen Braun als Kopf der Bande. Er soll ambitionierte Wachstumszahlen vorgegeben haben – Chefbuchhalter von Erffa und Dubai-Statthalter Bellenhaus sollen sie organisiert haben. Die erfundenen Zahlen waren auch Teil der Kommunikation an die Kapitalmärkte, sorgten dafür, dass Wirecard mit seinen Prognosen und Jahresabschlüssen Anleger begeisterte. Dabei war Wirecard ohne das offenbar erfundene Drittpartnergeschäft defizitär. Verantwortlich für die Finanzkommunikation: Markus Braun.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft waren bekannt. Deshalb war mit Spannung erwartet worden, wie die Anwälte der Angeklagten darauf reagieren. Die Anwälte von Braun und Bellenhaus wollen Eröffnungs-Statements abgeben – aber erst bei der nächsten Sitzung, die am kommenden Montag stattfindet.

Es wird auf einen Showdown zwischen Braun und Bellenhaus hinauslaufen, das wird auch an diesem Tag deutlich, als Richter Födisch Gerichtsvermerke verliest. Daraus geht hervor, dass Bellenhaus sich mehr von seinem Kronzeugenstatus erhofft hat. Seine Mutter soll krank sein, Bellenhaus möchte, dass sein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wird. In Besprechungen vor Prozessbeginn soll seine Verteidigung Bedenken geäußert haben, ob Bellenhaus überhaupt bereit ist, im Prozess auszusagen. Wollte er die Staatsanwaltschaft erpressen? Diesen Vorwurf erhebt Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm. Dierlamm zufolge soll Staatsanwältin Lemmers in einer Vorbesprechung gesagt haben: „Wir lassen uns von Herrn Bellenhaus nicht erpressen“. Ob sie das im Scherz gesagt hat? Brauns Verteidigung hat es ernstgenommen. Dierlamm sorgt dafür, dass der Vorfall in die Akten kommt.

Bellenhaus‘ Anwalt Florian Eder kontert sogleich: „Herr Bellenhaus kann niemanden hier unter Druck setzen.“ Die Taktik von Team Braun ist klar: Sie will Bellenhaus als Kronzeugen der Staatsanwaltschaft unglaubwürdig machen. Damit werden sie weitermachen. An den nächsten 99 Tagen, die das Gericht für den Prozess angesetzt hat.

Lesen Sie hier das WirtschaftsWoche-Live-Blog vom ersten Prozesstag:



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