ETF Günstige Anlage oder Systemrisiko mit drei Buchstaben?

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Unternehmen in großen Indizes bleiben im Portfolio

Das über ETFs frisch hereinströmende Kapital verteilt sich auf eine immer überschaubarere Gruppe an Aktiengesellschaften, weil die Zahl der Börsengänge nicht schritthält mit immer neuen ETF-Konstruktionen. Die Pariser Fondsmanagerin Stéphanie Bobtcheff vom Fondshaus La Financière de l‘Echiquier vergleicht das Angebot der Standardwerte an den Börsen mit dem Shop-Mix an den Einkaufsmeilen europäischer Großstädte. Egal, ob man durch Berlin, Paris oder London gehe, es reihten sich Filialen von Starbucks, Apple, Zara, McDonald’s und H&M aneinander. Die Konjunktur geht rauf und runter, diese Shops bleiben voll, weil sie prominent platziert sind.

Ähnlich an der Börse. Unternehmen, die einmal in einem großen Index angekommen sind, wandern automatisch in die vielen Portfolios von Großanlegern und bleiben dort, auch wenn die Geschäfte mies laufen. Großunternehmen bekommen Schützenhilfe von Großinvestoren die weltweit Geld Milliarden einsammeln. Gehört ein Unternehmen zum größten Aktienindex eines Landes, hält der Kurs viel aus, weil der Geldfluss nicht abreißt.

Die Basler Bankenbeobachter vom BIZ wiesen in ihrer jüngsten Untersuchung darauf hin, dass in Anleihenindizes genau die Länder oder Unternehmen ein hohes Gewicht bekommen, die die meisten Schulden machen. Passives Investieren könnte demnach Unternehmen und Staaten zur stärkeren Kreditaufnahme animieren. In die Indizes kommen zudem sehr viele Anleihen, die am Markt kaum gehandelt werden. Ein iShares ETF mit Hochzinsanleihen hat ein Volumen von mehr als fünf Milliarden Euro. Wenn es hier große Mittelabflüsse geben sollte, rechnen Beobachter mit Problemen. Der Fonds könnte vom Handel ausgesetzt werden, Anleger könnten dann die Anteile nicht verkaufen. Das passierte allerdings auch schon bei aktiv gemanagten Fonds.

Die besten ETFs auf deutsche Indizes

Bislang gab es nur Vorfälle mit ETF, die beherrschbar blieben. Minicrashs haben sich an den Börsen in den vergangenen Jahren gehäuft, aber daran tragen nicht unbedingt die ETF die Schuld, sondern auch die Aktivitäten von automatischen Handelssystemen. Üblicherweise soll es nur geringe Kursunterschiede zwischen dem Index und dem ETF geben. Funktioniert aber der Börsenhandel nicht oder sind die Börsen noch geschlossen, können diese Unterschiede steigen.

Und zwar immens. Im Mai 2017 verlor ein ETF urplötzlich 19 Prozent, obwohl der entsprechende Aktienmarkt nur neun Prozent nachgab. Am 24. August 2015 verlor der Index der besten Dividendenaktien aus dem weltberühmten Dow Jones an dem Tag sechs Prozent, der darauf basierende ETF iShares Select Dividend hätte in derselben Höhe nachgeben müssen, er verlor aber unglaubliche 35 Prozent. Dieser Monstercrash geschah, weil an der New Yorker Börse die Hälfte der Aktien zum Start vom Handel ausgesetzt waren.

Die Kursmakler mussten so heftige Marktbewegungen in ihrer Preiskalkulation für die ETF-Käufe einbeziehen und konnten sich wegen fehlenden Handels nicht absichern. Üblicherweise werden Abweichungen von den automatisierten Handelssystemen in Sekundenschnelle entdeckt und genutzt. Dadurch gleichen sich die Preise im normalen Handel schnell an. Diese Crash-Szenarien waren Ausnahmen, die Kurse der ETF erholten sich. Aber die Vorkommnisse sprechen dafür, dass man besser nicht sein gesamtes Geld in ETF stecken sollte.

Die Sorge um die wachsende Macht der Indexfonds treibt auch Vorstände von Aktiengesellschaften um. Die großen ETF-Anbieter aus den USA BlackRock, Vanguard und State Street werden in Kooperation mit den Stimmrechtsberatern GlassLewis und ISS als neue moralische Instanz der Unternehmenswelt wahrgenommen.“ Sie legen die Richtlinien guter Unternehmensführung fest, definieren, was nachhaltig sein soll – und was nicht. Sie nehmen Einfluss auf die Bezahlung der Vorstände“, schrieb Bert Flossbach in einem Kommentar für die WirtschaftsWoche.

Diese Machtkonzentration sei eine Schattenseite des ETF-Booms. Flossbach hofft, dass das Schattenregime im Sinne der Unternehmen und aller Investoren handelt. Würde das Oligopol weiter so stark wachsen, sollte die Machtfülle auch Kartellbehörden und Regierungen nicht länger egal sein, rät Flossbach. Es geht um das Funktionieren des Kapitalmarktes, die Marktwirtschaft und die gesamte Gesellschaft. Um einen Auslöser einer neuen Finanzkrise aber, um den geht es bei der Diskussion nicht.

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