Trotzig erhebt sich die Crystal Hall in Baku am Ufer des Kaspischen Meers. Am Dienstag ging die Generalprobe für den Eurovision Song Contest (ESC) über die Bühne. Aber der deutsche Bauleiter Günter Wieching muss sich noch immer kneifen, um glauben zu können, dass diese Konzerthalle rechtzeitig fertig geworden ist. Der Zeitplan für den Bau war „extrem straff“, sagt der 57-jährige Bauingenieur. Vor einem Jahr gewann der Ölstaat Aserbaidschan den europäischen Schlagerwettbewerb, im August bekam Alpine Bau Deutschland aus Eching bei München den Zuschlag für den Bau einer vorzeigbaren Konzerthallee.
Von da an ging Wieching im Akkord zu Werke. Binnen acht Monaten ließ er im alten Marinehafen eine Konzerthalle mit 16.000 Plätzen zimmern, die der Konstruktion nach ein Stadion ist, verziert mit 80.000 farbigen LED-Lampen. Über 1000 Lkws mit Material rollten an, Hundertschaften von Bauarbeitern malochten für teuer Geld rund um die Uhr. Was der kristallförmige Prachtbau kostet? „Staatsgeheimnis“, mauert Bauleiter Wieching.
Dubai am Kaspi-Meer
Geht es um die Zukunft des Landes, spielt Geld im Ölstaat Aserbaidschan keine Rolle. Die pompöse Kristallhalle ist nur ein Bauprojekt unter „ferner liefen“. Für Alpine mag der Sangestempel eines der lukrativsten Projekte aller Zeiten sein – für andere deutsche Unternehmen ist es nur ein weiteres Beispiel, wie man im steinreichen ESC-Gastgeberland gutes Geld verdienen kann.
Der Ölstaat des exzentrischen Präsidenten Ilham Alijew konnte mit Ölexporten die Wirtschaftskraft des Landes innerhalb von zehn Jahren verzehnfachen. Pro Kopf erreicht das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bereits ein Drittel des deutschen Werts – Tendenz steigend, denn gewaltige Gasreserven wurden noch gar nicht angezapft. Aserbaidschan schickt sich an, zum Dubai am Kaspi-Meer zu werden. Gerade erst kündigte ein Privatinvestor an, auf einer künstlichen Insel vor Baku für zwei Milliarden Dollar das höchste Gebäude der Welt zu bauen. Kaum ein Luxushändler kann mehr auf das Ladengeschäft auf der Prachtstraße Nizami verzichten, wo die Geldelite flaniert und Ölmillionen zu Hermes und Gucci trägt.
Sinn und Verstand scheint Bakus atemberaubender Wandel vom Provinznest zur Regionalmetropole bisher nicht zu haben. Doch neuerdings plant die Regierung, jenseits der beschäftigungsarmen Ölbranche Jobs zu schaffen – vor allem im Chemiesektor und im Maschinenbau. „Die haben den starken Willen, das Land durch Investitionen zu entwickeln“, meint Florian Schröder vom Deutsch-Aserbaidschanischen Wirtschaftsverband, der bald als Auslandshandelskammer firmieren wird.
Vom Importeur zum Selbstversorger
Wer erste zarte Pflänzchen der Modernisierung sucht, muss sich ins Auto setzen und von Baku nach Norden fahren. Entlang der Autobahn steht eine neue Brotwarenfabrik, die der mittelfränkische Anlagenbauer Werner & Pfleiderer ausgestattet hat. Eine Ortschaft weiter betreibt BASF ein Bauchemiewerk, unweit davon entsteht eine Leuchtdiodenfabrik.
Einer der Türöffner für deutsche Ausrüster ist Hikmet Kerimow, Verfahrenstechniker mit einem Doktortitel der TU Karlsruhe. Lange Zeit hat er auf ausländische Investoren gewartet, die sich im Sumgait Technologiepark ansiedeln, eine knappe Autostunde nördlich von Baku. Trotz Fördermittel kam keiner, selbst der Münchner Industriegasehersteller Linde machte einen Bogen um das Land. Kerimow hockte sich selbst ans Reißbrett.
Mit den Millionen des staatlichen Versorgers Azenco ließ er eine Anlage bauen, die Luft in Stickstoff, Sauerstoff und Helium zerlegt. Profitieren konnten deutsche Firmen: Die Planung übernahm der sächsische Anlagenbauer Cryotec, Kompressoren kamen vom schwäbischen Hersteller Mehrer. „Vor fünf Jahren mussten wir Industriegase importieren“, sagt Kerimow, „heute versorgen wir unser Land selbst.“
Wie Deutschland profitiert
Der Luftzerleger war nur der Anfang. Auf dem Areal des Sumgait Technologieparks stehen inzwischen zehn Fabriken, in denen 1200 Facharbeiter vieles fertigen, was Aserbaidschan bis vor Kurzem teuer einführen musste: Stromzähler, Wickelrohre, Starkstromkabel, Solarzellen, Pipelines, Schaltkästen. Ein großer Teil der Anlagen stammt aus deutscher Fertigung. Kerimow, der Mann mit markantem Schnauzer, der Marlboro raucht und den Blaumann gern gegen eine blaue Hilfiger-Jacke tauscht, bricht gern die Lanze für deutsche Technologien. „Die Deutschen verdanken mir viele Millionenaufträge“, sagt er stolz.
Es sind keine grünen Wiesen, auf denen Kerimow die Fabriken hochzieht, sondern kontaminierte Brachen, auf denen erste Stiefmütterchen blühen. Bis vor fünf Jahren rottete der einst zweitgrößte Chemiepark der Sowjetunion vor sich hin, größer als Halle-Bitterfeld in der DDR.
Kilometerlang passierten Autofahrer korrodierte Rohrtürme der Ethylenfabriken, die deutsche Anlagenbauer wie Lurgi vor dem Krieg in Ostdeutschland gebaut hatten, ehe die Sowjets sie hierhin verfrachteten. Noch in den Achtzigerjahren malochten in 19 Fabriken über 50.000 Arbeiter, inzwischen sind alle Anlagen bis auf vier Plastikwerke mit 6000 Arbeitern stillgelegt.
Hoffnungen deutscher Unternehmen wachsen
Es ist zehn Uhr, Frühstückszeit. Im Konferenzraum des staatlichen Chemieriesen Azerchim gibt es Kamillentee für alle, Kaffee mögen sie hier nicht. Muchtar Babajew, der Chef, klickt sich hastig durch die Präsentation. Sie zeigt Fabrikschlote, aus denen Dampf in Form grüner Blätter aufsteigt. „Heute ist es hier in Sumgait sauberer als in Baku“, behauptet der Manager, „aber die Arbeitslosigkeit ist ein Problem.“ Er hat die Aufgabe, neue Fabriken für die 350.000 Einwohner von Sumgait zu bauen.
Deutsche Firmen machen sich Hoffnungen: Im Juni soll der Auftrag für eine Karbonatfabrik erteilt werden, um deren Bau sich Dortmunds ThyssenKrupp Uhde beworben hat. Allein dieses Werk soll eine halbe Milliarde Euro kosten. Das wäre erst der Anfang: Bis 2019 will Azerchim, Tochter des Staatskonzerns Socar, alle 19 Anlagen in Sumgait modernisieren oder neu bauen. Dafür werden 12,4 Milliarden Dollar bereitgestellt , heißt es in einem Bericht der deutschen Organisation Germany Trade & Invest (GTAI). Aserbaidschan zähle damit „zu den dynamischsten Märkten der Welt“.
Ob die Deutschen weiterhin zum Zuge kommen, ist nicht ausgemacht. Zwischen der Bundesregierung und dem autoritär regierten Aserbaidschan liegt der Haussegen schief, seit Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bei einem Besuch im Frühjahr den Menschenrechtlern mehr Zeit zugestand als Vertretern des Staatskonzerns Socar, der das Öl fördert und die Wirtschaft kontrolliert. In Baku heißt es, der Auftritt des Liberalen habe der Wirtschaft mehr geschadet als genützt, zumal lokale Manager mit der Reizbarkeit der Aseris in politischen Fragen vertraut sind.
Wirkungsloses Tralala
Geplant war das anders. Aserbaidschans Präsident Alijew wollte mit dem Eurovision Song Contest an Pfingsten beweisen, wie offen, modern und europäisch die Gesellschaft ist. Dass politische Häftlinge das Bild stören, scheint der Potentat unterschätzt zu haben. „Wir hätten uns dieses Tralala sparen sollen“, schimpft einer aus seinem Umfeld, „binnen zwei Monaten hatten wir mehr schlechte Presse als in 20 Jahren.“ Präsident Alijew, heißt es, nimmt sich die Kritik besonders zu Herzen, er soll bei der Lektüre regelmäßig Wutanfälle bekommen haben. Negativ-Schlagzeilen passen nicht zu der superlativen Dynamik, die der Potentat dem Land verordnet hat.