Im Frühsommer wirkte Eurowings-Chef Karl Garnadt bereits wieder sehr entspannt. Immerhin war es dem im Lufthansa-Vorstand für die konzerneigene Billiglinie zuständigen Manager gelungen, dass seine Maschinen überwiegend pünktlich flogen. Noch im Winter landete teilweise gut jeder dritte Langstreckenflug verspätet und war dabei im Schnitt satte acht Stunden hinter der versprochenen Zeit. „Da haben wir hier und da Lehrgeld bezahlt“, sagte der 59-Jährige selbstkritisch – und hielt die Probleme für weitgehend gelöst.
Das war offenbar ein wenig voreilig. Zwar waren bis zum Sommeranfang zumindest auf der Langstrecke Flüge wie der 43-Stunden verspätete Dienst aus Phuket in Thailand im Mai die Ausnahme. Denn Garnadt hatte den Flugplan im Frühjahr gründlich ausgedünnt. Er setzte dabei auch den Start von Strecken wie in die iranische Hauptstadt Teheran aus und mietet bei anderen Linien zusätzliche Maschinen nebst Mannschaften an. Darum flogen im Juli fast alle der nahezu zwei Millionen Eurowings-Kunden pünktlich.
Doch seit Anfang August wird es eng. Am Ende musste Eurowings wieder öfter Flüge streichen. Dabei fiel auch die verspätet gestartete Route in die US-Metropole Boston. Bereits Ende August, kaum drei Monaten nach dem Start wird sie ganz aufgeben.
Das sorgte für reichlich Wirbel in den sozialen Medien. Zwar schaffte es Eurowings Tausende Passagiere auf die Konzernmutter und andere Linien umbuchen. Doch bis dahin war immer wieder die Masse zu groß für den Service und die Call Center.
So gab es trotz der steigenden Überkapazitäten auf dem Nordatlantik in der spätsommerlichen Hauptreisezeit zu wenig Platz anderswo, um alle zum Wunschtermin hin und zurückzubringen. Darum wussten einige Kunden tagelang nicht, ob und wann sie abfliegen.
Europas größte Billigflieger
Stammland: Türkei
Größe der Flotte: 64 Flugzeuge
Umsatz: 1,1 Milliarden Euro
Stand (Größe der Flotte): Mai 2016
Quelle: CAPA, Unternehmensangaben
Stammland: Niederlande
Größe der Flotte: 66 Flugzeuge
Umsatz: 1,1 Milliarden Euro
Stammland: Türkei
Größe der Flotte: 67 Flugzeuge
Umsatz: 1,1 Milliarden Euro
Stammland: Ungarn
Größe der Flotte: 67 Flugzeuge
Umsatz: 1,4 Milliarden Euro
Stammland: Deutschland
Größe der Flotte: 89 Flugzeuge
Umsatz: 1,9 Milliarden Euro
Stammland: Norwegen
Größe der Flotte: 98 Flugzeuge
Umsatz: 2,4 Milliarden Euro
Stammland: Spanien
Größe der Flotte: 105 Flugzeuge
Umsatz: 2,0 Milliarden Euro
Stammland: Deutschland/Großbritannien
Größe der Flotte: 108 Flugzeuge
Umsatz: k. A.
Stammland: Großbritannien
Größe der Flotte: 249 Flugzeuge
Umsatz: 6,3 Milliarden Euro
Stammland: Irland
Größe der Flotte: 351 Flugzeuge
Umsatz: 6,5 Milliarden Euro
Manche mussten gar im Urlaub rätseln, mit welchem Flug sie wieder nach Hause kommen. Wenn sie auf die Mail mit der Flugabsage reagierten, bekamen sie nicht selten Standardmails, die sie auf eine Antwort bis zu zwei Wochen nach ihrem Reisebeginn einstimmten.
Zu den Gründen macht die Linie offiziell keine genauen Angaben. „Streckenstreichungen wie Köln-Boston sind sehr seltene Ausnahmen, die wir unter allen Umständen versuchen zu vermeiden – die aber in einem schwierigen Aufbaujahr der Low-Cost-Langstrecke leider nicht ganz auszuschließen sind“, heißt es offiziell.
„Fliegt nicht mehr der Beste, sondern der Billigste, kann die Sicherheit leiden.“
Doch hinter den Kulissen klingt das deutlich klarer. Bei der ersten Pannenserie im Winter hatten die Planer unterschätzt, wie oft die Jets Pannen hatten und wie lange die Beschaffung von Ersatzteilen oder Personal dauern kann.
Nun drückt ein neuer Grund: „Wir haben einen Pilotenmangel“, erklärt ein Lufthansainsider. Besonders im Langstreckenbetrieb fehlt derzeit Cockpitpersonal.
Dafür sorgt eine skurrile Geschichte, die mit dem Unglück einer Germanwings-Maschine im Frühjahr 2015 begann. Weil der Co-Pilot die Maschine bewusst zum Absturz brachte, einigte sich die Lufthansa mit den Piloten und der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) auf eine strengere Ausbildung. Es sollte auch ein Signal sein, dass Lufthansa beim Flugdiscounter bei der Sicherheit keine Kompromisse macht. Ob Lufthansa, Tochtergesellschaften oder eine beauftragte Linie: Wer künftig irgendwo im Kranichkonzern fliegen wollte, musste nicht nur die gesetzliche Ausbildung absolviert haben, sondern auch die anspruchsvollen Test der konzerneigenen Fluglehrer mit Bravour bestehen.
Womit die Lufthansa ihr Geld verdient
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 32,1 Milliarden Euro
Angaben für 2015
Quelle: CAPA, Unternehmensangaben
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 16 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): 5,4 Prozent
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 4,5 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): 10,1 Prozent
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 2,1 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): 2,1 Prozent
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 1,9 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): 2,0 Prozent
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 2,4 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): 0,1 Prozent
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 5,1 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): 8,8 Prozent
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 3 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): 2,8 Prozent
Umsatz (inklusive interner Umsätze): 2,5 Milliarden Euro
Gewinnmarge (Ebit): -15,2 Prozent
Das klappte gut, bis der Konzern im Herbst 2015 beim Ausbau von Eurowings Gas gab. Um bei den Kosten besser mit Billigkonkurrenten wie Ryanair oder Easyjet mithalten zu können, setzte Konzernchef Carsten Spohr statt auf das eigene Personal oder Beschäftigte des Eurowings-Vorläufers Germanwings lieber auf Neueinstellungen mit niedrigeren Gehältern. Von Linien wie Sun Express holte er Mitarbeiter, für die weder bei den Löhnen noch bei Nebenregelungen der Konzerntarifvertrag galt.
Das wollten die Piloten verständlicherweise verhindern. Weil ihnen die Arbeitsgerichte untersagten, gegen die Leichtlohngruppen bei Eurowings zu streiken, versuchten die Piloten nach Ansicht von Insidern über die Pilotenausbildung Druck aufzubauen. „Wir müssen bei einer Entwertung unserer Jobs ja nicht auch noch mithelfen“, so ein Pilot. Er stellt klar: „Fliegt nicht mehr der Beste, sondern der Billigste, kann die Sicherheit leiden.“
Zwar weist die Vereinigung Cockpit jeden Zusammenhang zurück. „Doch in der Praxis fielen nun auf einmal deutlich mehr Neulinge bei den Lufthansa-Tests durch“, berichtet ein Insider. Dazu hatten offenbar auch viele der Intern Check-Piloten genannten Ausbilder deutlich weniger Zeit für Prüfungen.
Das traf Eurowings. Um bei Pannen, Flugverspätungen oder plötzlicher Krankheit genug Leute zu haben, braucht sie für jeden ihrer bis zu neun geplanten Langstreckenflieger bis zu 20 Piloten. Doch obwohl die Linie auch die Flugtochter des Reiseriesen TUI engagierte und im Frühjahr Routen wie Teheran gestrichen hatte, fehlte dem Vernehmen nach gut ein Dutzend Piloten. Also kappte die Linie erneut Flüge aus Angst vor neuen schlagzeilenträchtigen Verspätungen.
Fragt man nun im Unternehmen nach, sollte das erstmal ausreichen, damit ab dem Herbst alle Flüge wie geplant starten können. Hoch und heilig versprechen will das offiziell derzeit so recht noch keiner. „Wenn eines im Fluggeschäft sicher ist, dann dass die nächste Panne bestimmt kommt“, so ein Insider. „Vielleicht ist sie sogar schon da, während ich das sage.“