Ex-Bahnvorstand Alexander Doll „Wer nun glaubt, dass alles gut wird, täuscht sich“

„Die Eisenbahn ist systemkritisch für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie Deutschland“, sagt Alexander Doll. Quelle: imago images

Der ehemalige Bahnvorstand Alexander Doll über die Ideen der Beschleunigungskommission Schiene, verfrühte Freude über eine bessere Eisenbahn – und die Schwächen des Industriestandorts Deutschland.

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WirtschaftsWoche: Herr Doll, die Bundesregierung will den Schienenverkehr in Deutschland beschleunigen. Eine Kommission hat Mitte Dezember Vorschläge erarbeitet: Es soll schneller gebaut, besser geplant und mehr Geld investiert werden. Wird nun alles gut?
Alexander Doll: Es ist grundsätzlich richtig, dass die Politik überlegt, wie sie den Schienenverkehr verbessern will. Die Eisenbahn ist systemkritisch für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie Deutschland und essenziell bei der Erreichung der Klimaziele. Der Personenverkehr auf der Schiene muss verlässlich sein und der Gütertransport braucht mehr Kapazitäten, um Waren von der Straße auf die Schiene zu holen und beide müssen pünktlich sein! Aber die Komplexität des Systems Schiene ist so hoch, dass es nicht von heute auf morgen besser wird.

Ein Fonds für Erhalt und Ausbau der Schiene ist die Kernempfehlung der Beschleunigungskommission. So soll die Infrastruktur überjährig investieren können. Was halten Sie davon?
Der Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur ist teuer. Mehr Geld wird dringend gebraucht und mehrjährige Planung ist zwingend erforderlich in einer langfristigen angelegten Infrastruktur. Eine jahresübergreifende Fonds-Lösung ist daher eine mögliche Idee. Aber wer nun glaubt, dass dann alles gut wird, täuscht sich. Ein Fonds mit entsprechenden und tatsächlich benötigter Finanzmittelausstattung und Zusammenführung verschiedenster Programme auf Bundes- und Länderebene würde auf ein System stoßen, dass personell, organisatorisch und ressourcentechnisch gar nicht auf eine Zeitenwende auf der Schiene vorbereitet ist.

Was meinen Sie?
Im Unterschied zu Industrien mit deutlich kürzeren Lebenszyklen handelt es sich beim Eisenbahnsektor um Investitions- und Betrachtungszeiträume von bis zu deutlich über 30 Jahren. Dies hat entsprechende Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit dem Eigentümer als einer eher kurzfristig – auf Krisen – reagierenden Politik, bürokratischen und eher bewahrenden als vorantreibenden Organisations- und Managementstrukturen im Gesamtsystem Schiene, einjährigen Budgets des Bundeshaushaltes und auf der anderen Seite langjährigen Planverfahren und per Definition auch deutlich längeren Innovationszyklen. Es muss also alles viel langfristiger gedacht, geplant und investiert werden, selbst kleine Änderungen haben langfristige Auswirkungen und können meist erst nach Jahren korrigiert werden. Beispiele sind neue Trassen, die Digitalisierung der Infrastruktur, Ausweichstrecken, die Taktung der Fahrpläne, das Zusammenspiel von Personen- und Güterverkehr auf einem zu großen Teilen gemeinsam genutzten Schienennetz, die Entwicklung neuer Züge für Personen- und Güterverkehr, Anbindung an internationale Netze sowie der diskriminierungsfreie und im Gemeinwohl liegende Zugang und das Management der Infrastruktur.

Sie arbeiten heute als Investor, Aufsichtsrat und Berater. Wie schätzen Sie die Lage des Standorts Deutschland ein?
Die Deindustrialisierung ist eine ernsthafte Gefahr. Man braucht nur auf die Chemieindustrie zu schauen, um zu erkennen, dass Investitionen künftig aufgrund massiv steigender Inputpreise und überbordender Regulierung woanders und dies zunehmend an die Orte beziehungsweise in der Region des Verbrauchs vorgenommen werden, wie aktuell der Inflation Reduction Act (IRA) der USA überdeutlich zeigt. Die hohen Energiepreise sind ein nachhaltiger Standortnachteil. Wir müssen aufpassen, dass unsere Industrie nicht abwandert. Die Unternehmen werden nämlich an vielen Fronten ausgebremst.

Wo denn noch?
In Deutschland blicken wir aktuell sehr stark auf Themen wie Energie, Verkehrs- und Gesundheitsinfrastruktur. Zweifellos sind das wichtige Parameter. Aber es gibt noch andere kritische Bereiche. Die Steuerpolitik etwa muss nicht nur international wettbewerbsfähig sein, sondern auch so austariert werden, dass insbesondere der Mittelstand und familiengeführte Unternehmen, die mehr als die Hälfte der Wertschöpfung in Relation zum BIP ausmachen hier nicht überproportional belastet werden. Darüber hinaus investiert die Politik viel zu wenig in Bildung. Es geht hier um nicht weniger als die Innovationsfähigkeit und Ideenkraft Deutschlands in der Zukunft. Ich vermisse in der Bundesregierung eine Gesamtstrategie, die die Standortqualität in den Fokus rückt. Wir fallen eindeutig zurück.

Rainer Hundsdörfer, einst Chef von Heidelberger Druckmaschinen, hilft jetzt einem Start-up. Ein Gespräch über die Zukunft des deutschen Standorts, skeptische Mittelständler und die Frage, was eine Karriere beschleunigt.
von Manuel Heckel

Sie engagieren sich auch stark in der deutschen Start-up-Szene, vor allem in der Logistik. Wie gut ist die deutsche Gründerszene dort aufgestellt?
Es gab in den vergangenen Jahren zahlreiche und zunehmend erfolgreiche Gründungen. Da hat sich richtig was getan. Trotzdem sollten wir zu einer realistischen Betrachtung finden, das heißt die Start-up-Szene als notwenige Innovationstreiber und Herausforderer für etablierte Unternehmen und Strukturen begreifen. Nur ein Bruchteil der Start-ups überlebt eigenständig, andere werden aufgekauft und beim Großteil realisieren sich die Geschäftsmodelle nicht. Darüber hinaus ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass insbesondere aus unserem Mittelstand und Familienunternehmen eine Vielzahl von neuen Ideen und Innovationen kommen und diese damit zu Recht als Innovation-Hubs betrachtet werden können.

Die multiple Krisensituation von Inflation, Energiepreisschock und Chipmangel trifft aber auch die Gründerszene sehr stark. Investoren sind zurückhaltender. Erwarten Sie einen Einbruch?
Ja und nein. Geld ist genügend vorhanden und Bewertungen haben sich auf ein realistischeres Niveau angepasst. In Zukunft werden Investoren wieder deutlich mehr auf tragfähige Geschäftsmodelle achten, hier führen die verschiedenen Krisen zu einer nötigen Auslese. Der Beginn der Start-up-Szene in Deutschland mit einem Fokus eher auf Retailmodellen mit zeitlichen Lieferversprechen werden für Investoren weiter an Bedeutung verlieren – auch wenn diese in einer älter werdenden Gesellschaft durchaus ihre Berechtigung haben. Zunehmen wird die Relevanz von neuen Ideen und Gründungen rund um Industrielle Automation, Healthcare, Predictive Maintenance in den verschiedensten Sektoren, E-Commerce, Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, Recycling und weiteren Megatrends wie auch in der Logistik mit Zukunftsthemen rund um eine neue Citylogistik.

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Was macht Sie in diesem Punkt zuversichtlich?
Deutschlands ist geprägt durch eine regionale Clusterung von verschiedenen Städten wie Düsseldorf, München, Hamburg, Stuttgart, Berlin und so weiter und einer unterschiedlich fokussierten, aber immer ausgeprägten engen Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen der Wirtschaft, Hochschulen sowie der Stadt- und Landespolitik. Dieses Zusammenspiel war einer der entscheidenden Standortvorteile, bedarf allerdings einer dringenden Weiterentwicklung auch zwischen Bund und Ländern. Eine etablierte Volkswirtschaft mit sehr begrenzten natürlichen Ressourcen kann keinen Preiskampf, wohl aber den Innovationswettlauf gewinnen.

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