
Ryanair-Chef Michael O'Leary hat derzeit gut lachen. Allein im vergangenen Geschäftsjahr konnte seine Billigairline den Gewinn um knapp zwei Drittel auf 867 Millionen Euro steigern. Ein neuer Rekord. Doch es gibt deutliche Anzeichen, dass dieser Erfolg nicht nur auf das billige Kerosin und die Service-Offensive des Konzernlenkers zurückzuführen ist.
Seine das Passagierwachstum befeuernden Niedrigpreise sind wohl auch durch Vertragskonstruktionen möglich, die in der Branche mindestens als fragwürdig gelten. So sind mehr als die Hälfte der über 3000 Ryanair-Piloten nicht direkt bei Europas größtem Billigflieger angestellt. Sie fliegen als selbstständige Unternehmer, in der Hoffnung so Erfahrungen zu sammeln und später in eine gutbezahlte Festanstellung zu gelangen.
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Die wichtigsten Billigflieger in Deutschland
Transavia
Starts pro Woche: 64
Sitze: 9616
Strecken: 19
Vueling
Starts pro Woche: 67
Sitze: 12.160
Strecken: 11
Aer Lingus
Starts pro Woche: 71
Sitze: 12.354
Strecken: 8
Norwegian Air Shuttle
Starts pro Woche: 106
Sitze: 19.929
Strecken: 33
flybe
Starts pro Woche: 130
Sitze: 10.800
Strecken: 16
Wizz
Starts pro Woche: 208
Sitze: 38.590
Strecken: 73
Easyjet
Starts pro Woche: 531
Sitze: 86.868
Strecken: 90
Ryanair
Starts pro Woche: 1058
Sitze: 199.962
Strecken: 243
Euro-/Germanwings
Starts pro Woche: 2595
Sitze: 390.692
Strecken: 516
Im Falle Ryanair ist die Taktik, mit der Piloten beschäftigt werden, komplex. Ein großer Teil der Piloten des europäischen Billigfliegers wird etwa über den englischen Personaldienstleister Brookfield Aviation International angeworben, die wiederrum hat zuvor Mini-Unternehmen gegründeten, deren formale Geschäftsführer die Piloten sind. Als solche gehen sie mit Brookfield einen Vertrag ein und bieten ihre Dienste an.
Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt seit 2013
Für Ryanair ist das ein kostensparendes Modell: Die Fluggesellschaft muss weder Betriebsrente zahlen noch die Piloten gegen Arbeitsunfähigkeit absichern. Eine Mindestzahl an Flugstunden ist in der Regel auch nicht vereinbart. Die Piloten werden nach Bedarf eingesetzt – und müssen mit dem Risiko leben, in einigen Monaten nur wenig zu verdienen. Ryanair-Piloten, die sich zu gewerkschaftlichen Vertretungen zusammengeschlossen haben, berichteten sogar davon, dass sie im Winter auch schon mal draufzahlen, weil sie statt zu fliegen für Übungsstunde am Flugsimulator zahlen müssen.
Diese Methoden sind ins Visier der deutschen Justiz geraten. Seit 2013 ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz – allerdings nicht gegen Ryanair, sondern gegen in Deutschland stationierte Piloten wegen des Verdachts auf Sozialversicherungsbetrug und Steuerhinterziehung.
Wie die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR berichten, hat die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Ermittlungen jetzt auch die Brookfield-Geschäftsräume in einem Vorort von London durchsucht.
Während sich Ryanair bei seinen Verträgen auf geltendes EU-Recht beruft, sehen das die Ermittler anders. „Aufgrund der entsprechenden Verordnungen der Europäischen Union unterliegt dieses Flugpersonal nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen dem deutschen und nicht dem britischen oder irischen Sozialversicherungsrecht“, so die Staatsanwaltschaft gegenüber den Journalisten. Brookfield wollte die Durchsuchungen weder dementieren noch bestätigen.
Nach einer Untersuchung der Universität Gent aus dem Februar dieses Jahres sind „atypische Anstellungen“ von Piloten gerade in der Billigflieger-Branche keine Seltenheit. Auch andere Günstig-Linien wie etwa Norwegian setzten drauf. (Schein-)Selbstständigkeit, befristete Arbeitsverträge, Null-Stunden-Verträge und Bezahlungen pro Flug gewinnen in der Pilotenwelt immer mehr an Bedeutung.
Die Strategie von Ryanair
Seit Ryanair-Chef Michael O’Leary die Vorteile der Freundlichkeit entdeckt hat, schickt er bei kitzligen Dingen seinen erst vor knapp einem Jahr eingestellten Marketingchef Kenny Jacobs vor. „Das ist unser neues freundliches Gesicht“, so das größte Raubein der Flugbranche. Doch auch wenn der früher bei Handelskonzernen Tesco und Metro tätige Jacobs nett auftritt und im Humor – anders als sein Chef – garantiert jugendfrei ist: Er agiert kaum sanfter beim Kampf um die lukrativste Passagiergruppe der Geschäftsreisenden. „Wir werden zu Europas wichtigster Fluglinie für Manager“, sagt der sportliche 40-Jährige. „Bereits ohne große Werbung verkaufen wir mehr als 10 000 unserer Geschäftsreisepakete pro Woche, und Ende 2017 werden es gut 200 000 pro Woche oder zehn Millionen im Jahr sein.“
Um die Reiseetats der Manager kämpft Ryanair in drei Schritten.
Den Anfang machten die Iren vor gut einem Jahr, als die Linie auf dem europäischen Festland zusätzlich zu abgelegenen Flughäfen wie Hahn im Hunsrück vermehrt große Flughäfen wie Hamburg oder Brüssel anflog. Zwölf waren es seit Ende 2013. „Da kommen bis 2017 noch mindestens 20 hinzu“, verspricht Jacobs. In Deutschland will er neben Düsseldorf und Stuttgart sogar im Lufthansa-Drehkreuz München landen.
Zweiter Schritt war der Anschluss an Reisebürosysteme wie Amadeus, die ihnen direkten Zugang zu den Unternehmenskunden verschaffte.
Der dritte und sichtbarste Schritt ist ein verbesserter Service für Geschäftsreisende. Den Anfang machte im Herbst das Business Plus Paket, das neben Freigepäck und schnellerer Sicherheitskontrolle auch unbegrenzte Umbuchungen bietet.
Das soll nur der Anfang sein. „Die Einzelheiten stellen wir erst im Frühjahr vor“, so Jacobs. Doch erste Verträge mit Unternehmen wie der Deutschland-Niederlassung des Autobauers Ford in Köln zeigen die Richtung. Zum Paket gehören etwa Zusatzservices für die Mitarbeiter wie Gratisverpflegung sowie eine direkte Verbindung von Ryanair zu den internen Controllingsystemen, die direkte Buchungen und – ein Tabubruch – Rabatte ermöglichen. „Wir denken über Rückerstattungen für Großkunden nach“, so Jacobs.
Obwohl viele dieser Anstellungen rechtlich häufig nicht zu beanstanden sein, berichten die Studienautoren von einer wachsenden Sorge, dass der Gebrauch dieser Beschäftigungsformen zum Nachteil von Piloten und Crew-Mitgliedern missbraucht werden können. Die Studien-Autoren kritisieren, dass es zu viele juristische Schlupflöcher gebe, die den Airlines dieses Verhalten ermögliche.
Der Druck auf die Billigflieger, die Kosten möglichst gering zu halten, ist derzeit hoch – und wird weiter steigen. Nach einer aktuellen Studie des DLR führt der wachsende Wettbewerbsdruck unter den Billigfliegern zu fallenden Ticketpreisen.