Falsche Nachrichten bei Facebook "Diese Menschen sind keine Trottel"

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"Insgesamt viel zu wenig"

Kritiker gaben Facebook eine Mitverantwortung für den Sieg von Donald Trump in den US-Wahlen. Sehen Sie das auch so?
Dafür, dass Trump die US-Wahlen gewonnen hat, gibt es mehr Gründe als nur Desinformation. Die Ursachen sind so tief im sozialen Gefüge der USA und den Schieflagen dort verankert, darüber sollten Sie besser mit einem Soziologen sprechen. Außerdem sind das Problem ja nicht nur die falschen Nachrichten, die Facebook bewusst oder unbewusst verteilt.

Sondern?
Es geht auch um die Verbreitung der damit verbundenen Hassreaktionen, beides geht Hand in Hand. In dem Augenblick, wo Lügen unwidersprochen kursieren, folgt Wut auf diejenigen, die im Rahmen dieser Lüge als Verursacher eines Missstands identifiziert werden. Ohne den emotionalen Aufschrei, ohne die Hasskommentare bewirkt die Lüge nicht viel.

Facebook und Google kündigten an, verstärkt gegen die Verbreitung falscher Nachrichten vorgehen zu wollen. Unter anderem sollen Seiten, die Falschmeldungen verbreiten, keine Werbegelder mehr erhalten. Facebook will zudem Faktenchecker einstellen.
Das sind erste Schritte in die richtige Richtung, aber insgesamt viel zu wenig. Ich will den Betreibern solcher Dienste nicht unterstellen, dass sie Unmenschen sind. Ihnen ist ihre Verantwortung für die Zivilgesellschaft sicherlich bewusst und sie haben bestimmt auch kein Interesse daran, dass gesellschaftliche Umfeld, das ihre ökonomischen Interessen umrahmt, zu zerstören – also Bedingungen wie Rechtsstaatlichkeit und freie Märkte. Dass diese Unternehmen jetzt handeln, basiert auf unternehmerischen Kalkül. Der Druck der Gesellschaft nimmt zu. Aktuell tut Facebook zu wenig. Ob sich daran mit diesen Maßnahmen etwas ändert, wird sich zeigen.

Was bleibt zu tun, wenn sich nichts ändert?
Wenn Facebook etwa weiterhin Hasskommentare nicht löscht, müssen unsere Institutionen zu juristischen Mitteln greifen. Wir haben grundgesetzliche Vorgaben in puncto Menschenwürde, strafrechtliche in puncto Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede. Das hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. Wenn das Unternehmen dafür keine Lösung findet, muss die Politik mit regulatorischen Maßnahmen antworten.

Dem Blog „Gizmodo“ verriet ein anonymer Informant, Facebook habe bereits Werkzeuge entwickelt, um falsche Nachrichten zu identifizieren. Es nutze dieses aber nicht, aus Angst, Nachrichten aus dem konservativen Lager zu beeinflussen.
Das hört sich für mich nach einer Verschwörungstheorie an. Dass Facebook bestimmte Sichtweisen unterstützt und andere unterdrückt, ist ein klassisches verschwörungstheoretisches Topos. Hier vermutet jemand sinistere Mächte im Hintergrund, die verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Außerdem streiten Philosophen schon seit 2500 Jahren darüber, ob der Mensch überhaupt in der Lage ist, Wahrheit zu erkennen. Das ist ein erkenntnistheoretisches Problem. Dass es eine Software gibt, die wahre von falschen Aussagen unterscheiden kann, daran habe ich meine Zweifel. Software kann helfen, verdächtiges Material auszusieben. Aber auch dann bedarf es noch einer Heerschar von Menschen, die Faktenchecks durchführen. Ich weiß nicht, ob das ökonomisch machbar ist.

Wenden wir den Blick ab von Facebook und Co. Warum finden falsche Nachrichten überhaupt so viel Gehör? Eine Auswertung von BuzzFeed zeigt, dass in den letzten drei Monaten des US-Wahlkampfs die meistgeteilten falschen Nachrichten auf Facebook weitaus mehr Menschen erreichten, als die meistgeteilten der New York Times, der Washington Post und anderer seriöser Medien.

Das ist wenig verwunderlich. Wenn Nachrichten besonders spektakulär und aufsehenerregend sind, wenn sie den Erwartungen widersprechen oder Unmögliches behaupten, wird der Rezipient aufmerksam. Der Mensch ist um des Überlebens willen so programmiert. Er interessiert sich nicht für den Normalzustand, denn der erhält keine neuen Informationen und ist ungefährlich. Das ist ein ganz natürlicher Mechanismus bei uns allen – egal ob Journalist, Politiker oder Mediennutzer. Das grundlegende Problem hinter dem Erfolg falscher Nachrichten ist ein anderes. Yariv Tsfati...

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