Fastener-Messe in China Plötzlich CEO für einen Tag

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China, Herbst 2019. Das Versprechen lautete: Besuch die Messe, wir zahlen das Luxushotel. Doch die europäischen Auslandsstudenten, die das Angebot annahmen, erlebten eine böse Überraschung.

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Freigetränke und kostenloser Eintritt waren für Michael Moser Standard, wenn er während seines Auslandssemesters in China auf eine Party ging. „Als europäischer Student in China lebst du wie Gott in Frankreich“, erzählt der BWL-Student. Ausländische Studenten kämen in der Volksrepublik nicht umhin, sich von Promotern umwerben zu lassen, die sich genau auf diese Zielgruppe spezialisiert haben: „Manchmal haben die uns sogar angeboten, bei alltäglichen Sachen zu helfen, zum Beispiel bei der Anmeldung im Fitness-Center oder wenn man Gesangsunterricht wollte.“ Das Ziel der Promoter sei es, dass die Studenten gesehen werden: „Egal wo: Wenn Europäer dort sind, kommt das bei Chinesen offenbar gut an“, erzählt Moser.

Mit der Zeit sei er gegenüber den unzähligen Offerten abgestumpft. Ein besonders außergewöhnliches Angebot überraschte ihn dann aber doch: „VIP Business Tour to Jiaxing! Besucht die China Fastener Import Exposition“, lautete die Überschrift in der WeChat-Gruppe, sozusagen dem chinesischen Whatsapp. Womit die Promoter das Interesse des Studenten an einer Fachmesse für Verbindungselemente weckten? „Free Bus, 5 Stars Hotel“, stand dort in Großbuchstaben mit zahlreichen Emojis, gefolgt von einem nachdrücklichen: „Jede Person bekommt ein großes Business-Zimmer.“

Das Programm der Teilnehmer hingegen klang nicht gerade nach Business. Kostenlose Anreise, etwas Freizeit, dann Abendessen im Hotel. Am nächsten Tag sollten die Studenten dann Vertreter einer chinesischen Firma treffen und nach einem kostenlosen Mittagessen wieder nach Shanghai gebracht werden. Einzige Teilnahmevoraussetzung: Ein Foto vom Reisepass. „Das ist eine tolle Gelegenheit, den chinesischen Markt besser kennenzulernen und Kontakte für eure Zukunft aufzubauen“, prahlte die zuständige Promoterin in der WeChat-Gruppe.

„Wir waren natürlich vor allem an dem 5-Sterne-Hotel interessiert“, sagt Moser: „Schaut euch die Messe an und genießt das Hotel. Das war der Deal.“ Doch als er und seine Kommilitonen in Jiaxing ankamen, erwartete sie eine überraschende Beförderung: „Als wir aus dem Bus ausgestiegen sind, hat man uns Visitenkarten in die Hand gedrückt – mit unserem Namen und dem irgendeines Unternehmens. Ich war zum Beispiel plötzlich Geschäftsführer einer Schraubenfirma.“

Messeplan in Jiaxing: Viele der hier gelisteten Firmen wissen offenbar nichts von ihrer Teilnahme an der Messe – obwohl sie dort einen Stand haben. Wie passt das zusammen? Quelle: Privat

Plötzlich Geschäftsführer

Was dann passierte, konnte er selbst kaum fassen, erzählt der Student: „Auf der Messe sollten wir uns dann als Mitarbeiter dieser Firmen ausgeben, mit den chinesischen Investoren sprechen und Interesse heucheln.“ Er selbst habe dazu keine Lust gehabt: „Das wäre total unfair gegenüber den Leuten gewesen, die auf dieser Messe wirklich Geschäfte machen wollten. Die nehmen sich ja extra Zeit dafür und wir hatten denen überhaupt nichts anzubieten.“

Dennoch sollten die Studenten „Teil des Showrooms“ werden. „Wir hatten sogar einen eigenen Stand“, erzählt Moser: „Ein Kollege von mir hat mitgespielt und das Ganze mit Humor genommen. Der hat dann unsere Schrauben promotet und weil die meisten Chinesen nicht so gut englisch sprechen, ist das zunächst auch nicht aufgefallen. Aber zum Schluss waren da auch wirklich Vertriebler, die dann richtig drängelten und ihn über Kapazitäten, Preise, Lieferzeiten und Materialzusammensetzung ausgefragt haben.“

Moser selbst habe sich geärgert, unwissend in solche Maschen hineingezogen zu werden: „Als ich die Promoterin gefragt habe, was das eigentlich soll, sagte sie, es wirke einfach gut, wenn Europäer auf der Messe sind.“ Das suggeriere internationales Interesse, außerdem seien die Besucherzahlen in den letzten Jahren zurückgegangen, so die Begründung.

Dabei ist die jährliche Fastener-Messe in China weder klein noch unbekannt. Den Veranstaltern zufolge zog sie zuletzt über 5000 Besucher und 300 Aussteller an. Die Teilnehmer kommen laut der Lokalzeitung Jiaxing Daily hauptsächlich von Endverbrauchern aus der heimischen Automobil-, Elektronik und Maschinenbauindustrie. Dass dort europäische Studenten die Teilnehmer blenden sollen, erscheint geradezu kurios. Kann es wirklich sein, dass die Veranstalter dort systematisch Internationals wie Moser unter die Geschäftsleute mischen, um die Attraktivität des Events zu steigern?

Insolvente Geschäftspartner

Wu Ying, eine Mitarbeiterin der Messegesellschaft, sagte auf Anfrage der WirtschaftsWoche, dass sie nichts über Fake-Firmen wisse. Die Messe arbeite mit Agenturen zusammen, die dabei helfen, ausländische Aussteller zu gewinnen. „Wir haben auch gesehen, dass es auf der Ausstellung einige junge Leute gab“, erzählt die Mitarbeiterin. Sie hätten angegeben, von Firmen in ihrem Heimatland beauftragt worden zu sein, auf der Messe Informationen zu sammeln. Dies sei natürlich gestattet worden.

Der WirtschaftsWoche liegen jedoch Fotos vor, die eindeutig belegen, dass Moser und seine Kommilitonen nicht nur als Besucher auf dieser Messe waren. Aufträge von Firmen, um Infos zu sammeln, gab es natürlich auch nicht – die Studenten hatten von der Messe weder gehört noch Interesse daran, bevor das 5-Sterne-Hotel über die Promoterin ins Spiel kam.

Neben ihren Visitenkarten mit den Firmenlogos sind auf den Fotos von Moser und seinen Kommilitonen auch chinesische Kamerateams zu sehen, die das Treiben wohl in ein passendes Licht rücken sollten. Am interessantesten ist jedoch eine Aufnahme des Messeplans, auf dem neben Mosers Schraubenfirma sieben weitere offenbar anwesende Firmen aus Deutschland aufgelistet sind.

Chinesische Investoren, die nach der Messe Kontakt zu diesen Unternehmen aufnehmen wollten, dürften allerdings noch heute auf eine Antwort warten. Drei von ihnen sind seit längerem Bankrott, Mosers Schraubenfirma war nie existent. Bei einer weiteren läuft das Insolvenzverfahren zwar noch, das Telefon ist aber schon abgestellt. Zwei andere Unternehmen gibt es hingegen, allerdings sind sie nicht in Deutschland gelistet – obwohl hinter ihren Firmennamen auf den Aufstellern ein „GmbH“ prangt.

Die Anfragen der WirtschaftsWoche, ob sie auf der Messe vertreten waren, blieben unbeantwortet. Ob ein thailändischer Logistikbetrieb und ein Softwareanbieter aus der Ukraine sich wirklich als Aussteller auf einer chinesischen Messe für Verbindungselemente präsentieren, ist jedoch höchst fraglich.

von Benedikt Becker, Malte Fischer, Andreas Macho, Jörn Petring, Dieter Schnaas, Martin Seiwert

Die achte Firma fällt aber aus dem Muster: Die Förch GmbH ist tatsächlich ein solider Mittelständler aus dem beschaulichen Neuenstadt am Kocher. Dass die auf Befestigungs- und Montagetechnik spezialisierten Baden-Württemberger auf der chinesischen Messe vertreten waren, scheint plausibel. Immerhin arbeiten sie in dieser Branche und vertreiben ihre Produkte in 55 Ländern weltweit.

Ein Anruf bei Förch zeigt, dass die Sache komplizierter ist: „Wir haben einen chinesischen Exportvertriebspartner, der sich in Eigenverantwortung um den Vertrieb in China kümmert“, heißt es aus der Pressestelle: „Wir fragen gerne nach, ob er uns auf der Messe vertreten hat.“

Identitätsdiebstahl auf Business-Niveau

Ein paar Tage später kommt die Rückmeldung des Partners. Er versichert, im vergangenen Jahr weder als Aussteller noch als Besucher auf dieser Messe gewesen zu sein. „Wir können uns nicht erklären, wie unser Firmenname da überhaupt auftauchen konnte. Unser Partner firmiert in China zudem nicht unter dem deutschen Namenszusatz der GmbH & Co. KG“, sagt ein Förch-Sprecher. Die ganze Geschichte scheint ihm unangenehm zu sein: „Wenn sich da wirklich jemand als Vertreter unserer Firma ausgegeben hat, ist das für uns natürlich sehr unerfreulich.“


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Förch sehe „die Veranstalter ganz klar in der Pflicht, ihre Aussteller und deren Identität besser zu prüfen“ und werde weiter nachforschen, was genau auf der Messe ablief. Viel Hoffnung sollte sich der Mittelständler aber nicht machen: Die Studenten zu finden, die sich womöglich als Förch-Mitarbeiter ausgaben, ist höchst unwahrscheinlich. Und obwohl es nicht die erste Messe gewesen sein dürfte, die mit europäischen Studenten frisiert wurde, sind solche Identitätsdiebstähle weder dem Verband der deutschen Messewirtschaft noch dem deutschen Mittelstandsbund bekannt.

Das könnte daran liegen, dass die Kontaktdaten auf den Visitenkarten falsch sind. Deutsche Firmen, die aus heiterem Himmel detailreiche Anfragen aus China bekommen, die mit „Wir haben uns ja auf der Messe getroffen“ anfangen, dürften schnell stutzig werden, recherchieren und schließlich gegen den Identitätsmissbrauch vorgehen. Das Image der Messe wäre damit ruiniert.

Bereits insolvente Unternehmen auf die Visitenkarten zu drucken ist daher clever, ebenso wie das Kontaktproblem gelöst wurde. Denn chinesische Investoren, die nach einem vermeintlich erfolgreichen Verkaufsgespräch eine kurze Nachricht an ihre neuen – irgendwie äußerst jungen – Partner senden, werden kein Verständnis dafür haben, wenn deren Mailadresse nicht existiert. Wer allerdings an Mosers Firma schreibt, bekommt zwar keine Rückmeldung – aber auch keine Fehlermeldung. Die Mail scheint in den Tiefen eines Fake-Postfachs zu verschwinden. So fühlen sich die Investoren vielleicht versetzt, aber niemand schöpft Verdacht. Auch Förch habe keine auf die Messe bezogenen Anfragen erhalten, sagt der Pressesprecher.

„Hätte ich gewusst, was uns auf der Messe erwartet, wäre ich nicht hingegangen“, sagt Moser: „Wir dachten halt, das sei wie die anderen Promoter-Angebote auch, nur dass wir eben statt auf eine Party auf eine Messe gehen.“ Immerhin gab es die versprochene Nacht im Hotel: „Da waren richtig viele internationale Studenten, die haben wir dort abends alle getroffen. Chinesen habe ich da kaum gesehen. Es wäre aber Spekulation, zu sagen, dass es nur für internationale Studierende gebucht wurde.“

Moser ist mittlerweile aus dem Auslandssemester zurückgekehrt und studiert wieder in Köln. Die Messegeschichte zählt er zu den verrücktesten Erfahrungen seines Chinaaufenthalts. In der WeChat Gruppe prasseln unterdessen weitere Angebote auf die nächste Generation internationaler Studenten ein. Darunter auch eine Einladung zu einer „Wichtigen Messe, die du nicht verpassen solltest: Die dritte China International Import Exposition (CIIE).“

Diese Messe ist eines der neuen Prestigeprojekte der chinesischen Regierung. Präsident Xi Jinping will damit demonstrieren, dass China sich für ausländische Firmen immer weiter öffnet – eine wesentlich größere Nummer als die Messe für Verbindungselemente, auf der Moser sich als Firmenchef ausgeben sollte. „Benefits“ wurden im WeChat bisher nicht ausgelobt. Sollten auf der CIIE allerdings Fake-Firmen oder falsche Vertreter erscheinen, wäre das ein großer Witz.

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