Fernsehwerbung 6 Grafiken zeigen: So hart würde das Süßwaren-Werbeverbot deutsche Sender treffen

Quelle: Imago, Collage: WirtschaftsWoche

Ernährungsminister Özdemir will Werbung für ungesunde Lebensmittel weitgehend verbieten. Werber warnen vor Folgen für die „Refinanzierung von Medien“. Exklusive Daten zeigen: Besonders das Fernsehen muss mit Einbußen rechnen.

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Was hätten die Fünf nicht alles erleben können, hätten sie länger draußen ausgeharrt. Im Freibad aber war ihnen das Sprungbrett zu hoch, im Fußballstadion das Spiel zu zäh. Innerhalb von 15 Sekunden begaben sie sich deshalb stets zurück dahin, wo sie herkamen: ins Kühlregal. Die Rede ist von den „kühlen 5“, den fünf computeranimierten Hauptfiguren einer Werbekampagne, mit der Ferrero im vergangenen Sommer direkt für fünf seiner Schokoriegel auf einmal warb. Lupenrein visualisiert waren die Werbespots, in denen Aufreißlaschen zu Füßen wurden. Und kindgerecht vertont.

Zurückkehren auf die TV-Bildschirme aber werden die fünf putzigen Antihelden in diesem Sommer wohl nicht. Denn am Montag hat Bundesernährungsminister Cem Özdemir einen Gesetzesentwurf vorgelegt, demzufolge „an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt in allen für Kinder relevanten Medien“ verboten werden soll. Und der in der Ferrero-Kampagne als liebenswerter Knilch auftretende Riegel „Choco Fresh“ etwa besteht zu 39,6 Prozent aus Zucker. Schon vor 15 Jahren hatten ihn die Verbraucherschützer von Foodwatch deshalb zur „größten Zuckerbombe im Kühlregal“ erklärt.

Dass die Bundesregierung gegen Werbung für sogenanntes „Junkfood“, also ungesunde Nahrung, vorgehen will, stand bereits im Koalitionsvertag. „Geld zu verdienen, indem man die Gesundheit der Kinder ruiniert, halte ich für keinen guten Weg“, bekräftigte im Dezember Bundesernährungsminister Cem Özdemir. Der Gesetzentwurf, den Özdemir am Montag vorgelegt hat, soll noch im ersten Quartal 2023 mit den anderen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt werden.




Verboten werden soll demnach „Junkfood“-Werbung in Hörfunk, gedruckten Veröffentlichungen, auf Internetseiten, in audiovisuellen Mediendiensten und in soziale Netzwerken. Auch Influencermarketing und Außenwerbung werden berücksichtigt. Zudem soll an Kinder gerichtetes Sponsoring für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt künftig nicht mehr zulässig sein.

Fernsehwerbung für ungesunde Lebensmittel soll zudem nicht nur in klassischen Kindersendungen verboten werden, sondern von 6 Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Damit würden Ferrero und Co. im Fernsehen künftig sogar strengeren Einschränkungen unterliegen als Glückspielseiten und Erotik-Hotlines. Die dürfen derzeit bereits ab 21 beziehungsweise 22 Uhr im TV werben.

Die Hersteller der fraglichen Lebensmittel sind von dem Vorstoß erwartungsgemäß wenig begeistert. Es gebe schon jetzt „strenge gesetzliche Vorgaben für Werbung gegenüber Kindern“, hieß es bereits vorab vom deutschen Lebensmittelverband. Neue Werbeverbote hätten „erhebliche negative Folgen für die gesamte Lebensmittelwirtschaft“, ergänzte der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI).

Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft sprach am Montag von einem „weitgehenden Totalwerbeverbot für Lebensmittel“. Die Gesetzesvorlage gehe „weit über den Koalitionsvertrag hinaus“ und nehme „in Kauf, die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend zu beschädigen und den Wettbewerb, darin eingeschlossen den Markterfolg von Innovationen, auszuschalten“.

Werbung als wichtigste Einnahmequelle

Obwohl sie sich öffentlich bislang in Zurückhaltung üben: Auch die deutschen Fernsehsender dürften von dem geforderten Werbeverbot wenig begeistert sein. Für die privaten Sender ist Werbung immerhin noch immer die wichtigste Einnahmequelle – allen Bemühungen um Abokunden auf den hauseigenen Streamingdiensten zum Trotz. Allein RTL konnte im Jahr 2021 Bruttowerbeumsätze von rund 3,5 Milliarden Euro vorweisen, was etwa der Hälfte des gesamten Jahresumsatzes entsprach. Und auch die öffentlich-rechtlichen Sender setzen immer mehr Geld mit Werbekunden um. Das Erste etwa nahm 2021 355 Millionen Euro mit Werbung ein, fast 100 Millionen mehr als noch zehn Jahre zuvor.

Allgemein entwickelte sich das Geschäft mit der Werbung für die deutschen Fernsehsender zuletzt positiv. Nach Jahren der Stagnation wuchsen die Bruttoausgaben für Fernsehwerbung im Jahr 2021 plötzlich rasant an. 2022 lagen sie trotz Ukrainekrieg und Energiekrise noch immer rund eine Milliarde über dem Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2020. Die Konsumeuphorie nach der Pandemie überwog also bis zuletzt gegenüber der Zögerlichkeit angesichts der aktuellen Multikrise.



Der Geschäftsbereich, der 2022 das meiste Werbegeld in die deutsche TV-Wirtschaft spülte, war die Körperpflege. Danach folgt bereits der Bereich Ernährung, aus dem insgesamt 1,9 Milliarden Euro an Bruttowerbegeldern an die Sender flossen.

Den größten Sprung zum Vorjahr verbuchte die Touristik, lag damit aber noch immer abgeschlagen auf dem 15. Platz. Auch Kunst-, Kultur- und Unterhaltungseinrichtungen stockten ihr Werbebudget nach der Pandemie wieder ordentlich auf, machten damit in der Gesamtbetrachtung aber nur einen marginalen Unterschied.



Das Bild bestätigt ein Blick auf die konkreten Unternehmen, von denen die Gelder für die Fernsehwerbung 2022 kamen. Der US-amerikanische Konsumgüterkonzern Procter & Gamble steht hier mit Bruttoinvestitionen von rund 1,4 Milliarden Euro an erster Stelle. Danach folgt bereits der italienische Süßwarenhersteller Ferrero mit 655 Millionen Euro. Auf dieses Geld müssten die Sender womöglich größtenteils verzichten, sollte das vorgeschlagene Werbeverbot gegen Süßwaren und andere ungesunde Lebensmittel in Kraft treten.



Die Anzahl der Werbespots, die auf deutschen Fernsehsendern laufen, ist seit der Jahrtausendwende kontinuierlich gestiegen. Waren es 2002 noch rund 2,7 Millionen Werbespots, die in einem Jahr insgesamt zu sehen waren, hatte sich diese Zahl bis 2020 laut Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft mehr als verdoppelt.

So erklärt sich, warum die Werbeumsätze der Fernsehsender über diesen Zeitraum hinweg weitgehend konstant blieben, während die Listenpreise, die Sender für einzelne Werbeplätze verlangen konnten, angesichts sinkender Zuschauerzahlen zurückgingen.

Die meisten Werbespots beschäftigten sich im vergangenen Jahr mit Produkten von Procter & Gamble. Von Pampers-Windeln über Ariel-Waschmittel bis hin zu Braun-Rasierern: Mit fast 190.000 ausgestrahlten Clips dominierte der amerikanische Konsumgüterriese die Werbeblöcke. Auch das Unternehmen PE Digital, das hinter Dating-Diensten wie ElitePartner und Parship steht, rührte ordentlich die Werbetrommel. Süßwaren von Ferrero waren derweil immerhin Gegenstand von rund 96.000 Werbeclips. Und auch andere Unternehmen, die nicht unbedingt im Verdacht stehen, übermäßig gesunde Nahrung zu verkaufen, tauchen weit oben im Ranking auf: McDonald’s etwa oder der US-Konzern Mondelez (ehemals Kraft Food), der hinter Marken wie Milka, Oreo oder Toblerone steht.



Weg von den Unternehmen und zurück zu den Warengruppen: Im Bereich Ernährung kam bei den TV-Werbeausgaben in Deutschland 2022 keine andere Produktgruppe annähernd an die Süßwaren heran. 898 Millionen Euro an Werbebudget gingen allein auf Süßwarenprodukte zurück, das entspricht fast der Hälfte der gesamten Ausgaben für Fernsehwerbung im Bereich Nahrungsmittel. Hinzu kommen andere Produktgruppen wie Desserts, Tiefkühlkost oder Milchprodukte, in denen sich ebenfalls das ein oder andere Produkt verbirgt, das bei den Verbraucherschützern von Foodwatch als „Junkfood“ gilt.



Welche zuckerhaltigen Produkte wurden dabei nun im vergangenen Jahr genau beworben? Ganz besonders beliebt war offenbar Schokolade. Zusammengenommen machen schokoladenhaltige Produkte rund ein Viertel der 2022 im deutschen Fernsehen beworbenen „Junkfood“-Produkte aus. Auch Eiscreme, Süßgebäck und Weingummis räumten Unternehmen große Werbebudgets im Fernsehen ein.



Unterm Strich steht die Erkenntnis: Ein Werbeverbot für sogenanntes „Junkfood“ könnte nicht nur die Bilanzen der Produkthersteller, sondern auch die der deutschen Fernsehsender stark beeinträchtigen. Dass RTL oder Sat.1 in naher Zukunft dem Beispiel von Lidl folgen, ist deshalb eher unwahrscheinlich.

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Lidl hatte in der vergangenen Woche angekündigt, ab März freiwillig keine Werbung mehr für ungesunde Lebensmittel zu platzieren, die auf Kinder abzielt. Ausgenommen davon seien lediglich Saisonartikel, teilte der Discounter mit. Wenigstens das vorweihnachtliche Schokoladengeschäft will man sich in Neckarsulm dann eben offenbar doch nicht entgehen lassen.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2023 auf wiwo.de veröffentlicht. Wir haben ihn aktualisiert.

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