Fetter Zulauf bei den Weight Watchers „36 Prozent der Amerikaner haben während des Lockdowns zugenommen“

Mindy Grossman, 62, ist seit 2017 CEO von WW International Quelle: Photography by Avery

Die Coronakrise hat den Weight Watchers einen Kundenrekord gebracht. WW-Chefin Mindy Grossman erklärt, warum ihr Unternehmen jetzt ein Technologiekonzern sein soll und warum der Umsatz trotz dem Zulaufs gesunken ist.

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Seit 2017 ist Mindy Grossman Vorstandschefin von WW International – dem Konzern, der unter dem Namen Weight Watchers weltweit bekannt wurde. Eigentlich schien das Geschäftsmodell seine besten Tage hinter sich zu haben: Abnehm-Tipps gibt es massenhaft, gratis im Internet. Doch die Pandemie hat dem Abnehm-Konzern einen Kundenrekord beschert. Im Interview erklärt Grossman, warum das so ist – und wie sie den Zustrom nutzen will, um auch beim Umsatz zu wachsen.

WirtschaftsWoche: Frau Grossman, viele Menschen konnten während der Coronakrise keinen Sport machen, nahmen an Gewicht zu. Kommen die Leute jetzt in Scharen zu Ihnen?
Mindy Grossman: Als Covid ausbrach, waren die Leute wie erstarrt. Da wir unsere physischen Workshops schließen mussten, haben wir sehr schnell reagiert, auf virtuelle Workshops umgestellt und unsere digitale Strategie beschleunigt. Wir haben kürzlich auch eine Umfrage in den USA durchgeführt und die ergab, dass 36 Prozent der Amerikaner während des Lockdowns zugenommen haben - im Durchschnitt nahmen Männer 6,8 Kilo und Frauen 4,5 Kilo zu. Die Hälfte der befragten Personen gab an, nach der Pandemie abnehmen zu wollen. Wir wissen auch, dass die Menschen angesichts der COVID-Pandemie nun ein größeres Bewusstsein für die mit Übergewicht korrelierten Gesundheitsrisiken haben.

Zahlt sich diese Nachfrage denn auch bei Ihren Umsätzen aus?
Wir haben das zweite Quartal mit 5 Millionen Abonnenten abgeschlossen, das sind neun Prozent mehr als im Vorjahr und ein Rekordniveau zum Ende des zweiten Quartals und praktisch unverändert gegenüber unserem typischen saisonalen Höchstwert am Ende des ersten Quartals. Die Entwicklungen bei der Gewinnung neuer Kunden im Digitalbereich gewannen im Laufe des zweiten Quartals weltweit an Dynamik, mit einem beeindruckenden Wachstum von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bei den Abonnenten im Digitalbereich. Angesichts des dynamischen Wachstums unserer Digital-Abonnenten im 2. Quartal sind jetzt etwa 80 Prozent unserer Teilnehmer ausschließlich im Digitalen aktiv und etwa 20 Prozent verteilen sich auf Studio und Digital. Der Umsatz im zweiten Quartal belief sich auf 334 Millionen US-Dollar, was währungsbereinigt einem Rückgang von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht, was auf die weitere Verschiebung der Angebotsstruktur hin zu margenstarken und preisgünstigeren Digital-Abonnements zurückzuführen ist.

Wie wichtig sind überhaupt noch ihre Studios? Gerade haben Sie angekündigt, 100 Millionen Dollar sparen zu wollen.
Während die Community und der Austausch untereinander ein bedeutender Teil von WW sind und auch zukünftig sein werden, positionieren wir unser Studiogeschäft neu. Physische Workshops werden in Zukunft an weniger Standorten erfolgen, in WW Studios und einigen ausgewählten mobilen Workshops. Innerhalb dieses Veränderungsprozesses entwickeln wir weitere personalisierte Angebote und setzen auf hoch qualifizierte Coaching-Talente. Wir konzentrieren uns darauf, unseren Teilnehmern Lösungen in den für sie am besten geeigneten Formaten und Umfeldern anzubieten, sei es in digitalen, persönlichen oder virtuellen Studios durch virtuelle, von Coaches geleitete Gruppen oder später, im Jahr 2021, durch ein neu eingeführtes persönliches Einzelcoaching-Angebot.

Ihr Geschäftsmodell lebt vor allem von den Gruppen, in denen die Menschen etwas für ihre Gesundheit tun wollen.
Wir sind ein Technologie Konzern, der durch eine große Community verwurzelt ist. Deshalb waren wir in der Lage, sehr schnell auf die Schließung der Workshops zu reagieren und diese in virtuelle Workshops umzuwandeln, um die Teilnehmer auch in dieser Phase optimal zu unterstützen. Innerhalb von nur sechs Tagen konnten wir die Umstellung umsetzen, tausende von Coaches trainieren und mit 15.000 Workshops loslegen. Heutzutage ist Wellness kein Luxus mehr, sondern eine Notwendigkeit. Wir sind zuversichtlich, dass die Menschen die Erhaltung ihrer Gesundheit und das Abnehmen zu ihrer Priorität machen, wir sind bereit, um sie als Wellness Partner dabei zu begleiten.

Inwiefern sind sie ein Technologie-Konzern?
WW ist ein Technologie Konzern mit einem auf den Menschen ausgerichteten Ansatz. Unsere Technologie entwickelt sich kontinuierlich weiter und liefert unseren Teilnehmern damit neue Möglichkeiten - sie ist die Grundlage unseres Wellness-Ökosystems. Wir bieten ein Umfeld und entsprechende Formate, die unseren Teilnehmern genau die Unterstützung bieten, die sie auf ihrem Abnahmeweg benötigen. Also konkrete Hilfsmittel, die mit dem Abnehmen, aber auch mit Bewegung, Achtsamkeit, Ernährung und Schlaf zu tun haben. Ganz aktuell gibt es einige Neuerungen in unserer App, wie zum Bespiel unsere Partnerschaft mit FitOn, kleine Trainingsmodule unter Anleitung eines Trainers, das Schlaftracking und der Wassertracker sowie neue Filterfunktionen zum Beispiel bei den Lebensmitteln, die persönliche Präferenzen noch stärker berücksichtigen.

„Das, was Netflix für Filme, Spotify für Musik und Amazon fürs Einkaufen sind, möchten wir für Wellness sein“

Warum haben Sie eigentlich den Namen von „Weight Watchers“ in „WW“ geändert?
Es ging nicht um eine Namensänderung, es ging um eine Transformation der Marke. Wir würden nie unsere führende Position als bestes Abnehm-Programm auf diesem Planeten aufgeben. Die Leute wollen aber mehr. Und der Begriff „Gewicht“ hat zunehmend polarisiert. Unser Idee ist, dass wir unsere jahrelange Expertise breiter anwenden und die globale Marke für Wellness werden. Das, was Netflix für Filme, Spotify für Musik und Amazon fürs Einkaufen sind, möchten wir für Wellness sein.

Diesen Ansatz verfolgen auch viele andere. Wie behaupten Sie sich gegen die Konkurrenz, die es da im Internet gibt?
Wir haben mehr als 57 Jahre lang Erfahrung im Aufbau von Communities und umfassende Fachkompetenz in der Verhaltensforschung. Wir sind davon überzeugt, dass wir in der Lage sind, unsere Mission zu erfüllen, das Wohlbefinden zu fördern und es für alle zugänglich zu machen. Nur fünf Prozent der Menschen nehmen an kommerziellen Abnehmprogrammen teil und 95 Prozent der Menschen möchten abnehmen, sind aber der Meinung, sie könnten es alleine schaffen. Dieser DIY-Ansatz ist eigentlich unser größter Wettbewerb und die größte Chance.

Wie wichtig ist Deutschland als Markt für Sie?
Deutschland ist für uns ein wichtiger Markt, einer der größten außerhalb der USA und WW ist dort fast seit der gesamten Zeit des Bestehens der Marke präsent. In Deutschland feiert WW in der Tat gerade sein 50-jähriges Bestehen.

Sie verkaufen ja auch Wellness-Produkte. Welche laufen in Deutschland in Corona Zeiten besonders gut?
Wir verzeichnen ein großes Interesse an unseren Kochbüchern, weil der „Trend zum Kochen zu Hause“ ungebrochen ist. Darüber hinaus verkaufen wir auch erfolgreich unsere Wraps, was einfach zeigt, wie wichtig es immer noch ist, einen Ersatz für eine Mahlzeit mit höherem Kaloriengehalt, gesättigten Fetten oder Zucker anzubieten. Vor allem, wenn sie so vielseitig sind wie der Wrap - Blitzpizza, Wrap, Frühstück. Wir sehen dies auch bei Produkten wie den Linsen-Nudeln. Darüber hinaus sind wir mit unseren WW-loves-Produkten aktuell sehr erfolgreich. WW loves bedeutet: Wir treffen eine Vorauswahl für den Kunden. Absolute WW-Loves-Bestseller im Sommer sind die Grillido-Grillwürstchen..

Sie haben ein ehrgeiziges Ziel ausgerufen: Für dieses Jahr wollten Sie die Zwei-Milliarden-Dollar-Marke beim Umsatz durchbrechen. Schaffen Sie das?
Wir freuen uns über unsere Teilnehmerbasis, die mit 5 Millionen Teilnehmern und einer Kundenbindung von 10 Monaten ein Allzeithoch erreicht hat. Wir sind überzeugt, dass wir die Möglichkeiten haben, noch viel mehr Menschen auf der ganzen Welt zu erreichen.

Wann sind Sie eigentlich selbst zum ersten Mal mit den Weight Watchers in Kontakt gekommen?
Ich kam zum ersten Mal im Alter von 14 Jahren mit WW, damals Weight Watchers, in Kontakt. Meine Mutter hatte ihr ganzes Leben lang mit dem Gewicht und gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und nahm mich zu einem lokalen Treffen in Long Island, NY, mit. Ich habe selbst an dem Programm teilgenommen, etwa 10 Pfund abgenommen und bin dem Cheerleader-Team der High School beigetreten. Es ging aber nicht nur darum abzunehmen, sondern mich wohl zu fühlen und letztlich mehr Selbstvertrauen zu haben.

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