Fliegt der Springer-Chef aus dem Netflix-Verwaltungsrat? „Döpfner verkörpert eine Art Männlichkeit, die heute nicht mehr gelebt werden sollte“

Quelle: imago images

Schon Ende 2021 fürchtete Mathias Döpfner um seinen Sitz im Netflix-Board. Nun steht der Springer-Chef erneut zur Wiederwahl. Aktionärsvertreter sehen in der Personalie ein Geschäftsrisiko für den Streamingdienst – und fordern die Absetzung des deutschen Managers.

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Als die amerikanische Tageszeitung „New York Times“ im Oktober 2021 über „Vorwürfe von Sex, Lügen und geheimen Zahlungen“ bei Axel Springer berichtet, ist der Aufruhr in der Führungsriege des deutschen Medienkonzerns groß. „Die Story hat das Potential, uns in den USA zu killen“, schreibt Springer-Chef Mathias Döpfner damals mutmaßlich an seine Vorstandskollegen. Zunächst aber ist es eine andere, persönlichere Sorge, die den Medienmanager umtreibt: „Meinen board seat bei Netflix werde ich als erstes verlieren“, fürchtet der Springer-Chef.

Passiert ist das nicht. Auch eineinhalb Jahre später ist Döpfner noch Mitglied des Netflix-Verwaltungsrates, inzwischen im fünften Jahr. Auf der am Donnerstag (deutsche Zeit freitagmorgens) stattfindenden Hauptversammlung des US-Streamingdienstes steht der Springer-Chef nun erneut zur Wiederwahl.

Das Fintech Inyova, das mehr als 600 Netflix-Aktionäre vertritt, hat die Empfehlung abgegeben, gegen Döpfner als Board-Mitglied von Netflix zu stimmen – aufgrund von „Bedenken wegen seines angeblichen Verhaltens und seiner möglichen Auswirkungen auf den Ruf von Netflix“. Demnach gab es nie eine Untersuchung bezüglich der potenziellen Nicht-Eignung von Mathias Döpfner als Board Director. Auf eine Anfrage der WirtschaftsWoche hierzu hat Netflix bislang nicht reagiert.

Im Interview erklären Inyova-Vorstand Tillmann Lang und Andreas von Anger, Head of Impact des Unternehmens, was sie antreibt – und warum ihr Vorstoß auf der diesjährigen Netflix-Hauptversammlung nur „ein erster Schritt für einen längeren Weg“ sein soll.

WirtschaftsWoche: Herr Lang, Herr Angerer, bei der Hauptversammlung von Netflix steht Mathias Döpfner als Mitglied des Board of Directors zur Wiederwahl. Sie wollen dagegen stimmen – und werben bei anderen Anlegern dafür, es Ihnen gleichzutun. Warum?
Tillmann Lang: Als Investorenplattform geht es uns darum, den Wert der Unternehmen, deren Aktien unsere Kunden halten, langfristig zu erhöhen. Und Döpfner ist aus unserer Sicht ein Geschäftsrisiko für Netflix.

Inwiefern?
Andreas von Angerer: Netflix ist eine Plattform, die auch mit Diversität, Equity und Inklusion wirbt – und in dieser Hinsicht auch tatsächlich besser performt als viele andere Filmstudios und Streaminganbieter. Gleichzeitig sitzt da jemand im Verwaltungsrat, dem vorgeworfen wird, Machtmissbrauch gegenüber Frauen mindestens nicht unterbunden, schlimmstenfalls sogar unterstützt zu haben. Und jemand, der sich bei Mitarbeitern und Freunden abfällig über Minderheiten äußert. Wie soll das zusammenpassen?

Lang: Döpfners Sitz im Board of Directors stellt die Glaubwürdigkeit des gesamten Unternehmens in Frage. Das ist gefährlich – ganz besonders, weil Netflix in einer Branche unterwegs ist, in der kreative Mitarbeiter und Partner der wichtigste Wert eines Unternehmens sind. Wenn sich die von Netflix abwenden, wäre es vorbei mit attraktiven neuen Inhalten. Und das PR-Risiko, das jemand wie Döpfner im Aufsichtsrat birgt, ist einfach nicht zu übersehen. Beim Thema Axel Springer geht es um Dinge, in denen sich Unternehmen klar positionieren müssen – gerade in den USA, wo Diversity und Inklusion noch viel lauter diskutiert wird als bei uns.

Tillmann Lang (links), Andreas von Angerer Quelle: Inyova, Stephan Vogel

Ganz konkret: Was werfen Sie Döpfner vor?
Angerer: Hypothetisch, diese Vorwürfe sind noch nicht bestätigt, aber: Wir haben hier mutmaßlich einen sexuellen Machtmissbrauch – so kann man zusammenfassen, was Julian Reichelt vorgeworfen wird. Döpfner hat womöglich den Täter geschützt und die Opfer zumindest nicht entsprechend angehört. Das wäre ein Männer-schützen-Männer-Verhalten, das im Konflikt mit guter Governance steht: Für ein Unternehmen wie Netflix, das progressiv sein will, wäre das nicht tragbar.

Nun sind all das erst einmal nur Vorwürfe und Vermutungen, wie Sie sagen. Reicht das wirklich aus, um Döpfners Absetzung zu fordern?
Angerer: Selbst wenn es nicht gelingt, Döpfner direkt abzusetzen: Wir erwarten von Netflix, dass das Unternehmen den Vorwürfen, die in den Zeitungsberichten formuliert wurden, intern nachgeht, Untersuchungen anstellt.

Und das ist bislang tatsächlich nicht passiert?
Angerer: Von dem, was wir als Aktionärsvertreter mitbekommen: Nein. Wir haben mehrmals konkret nachgefragt, schon als es im vorletzten Jahr die Enthüllungen in der „New York Times“ gab: Gibt es hier eine Untersuchung? Schaut ihr euch an, inwieweit er noch geeignet ist? Von Netflix gab es dazu keine Antwort. (Auf eine diesbezügliche Nachfrage seitens der WirtschaftsWoche hat Netflix bislang nicht reagiert, Anm. d. Red.) Generell war der Aufschrei in den USA zu dem Thema erstaunlich gering.

Dabei lautete mutmaßlich sogar die erste Befürchtung von Döpfner selbst nach dem „New York Times“-Bericht im November 2021: „Meinen board seat bei Netflix werde ich als erstes verlieren.“ So steht es zumindest in den kürzlich in der „Zeit“ geleakten Privatnachrichten, die von Döpfner stammen sollen.
Lang: So ist es. Döpfner wundert sich vermutlich selbst, dass er bei Netflix nicht mehr im Kreuzfeuer steht.

Was sagen die anderen Aktionäre dazu? Anders gefragt: Wie aussichtsreich schätzen Sie Ihren Vorstoß auf der Hauptversammlung ein?
Angerer: Grundsätzlich gehen wir nicht davon aus, dass wir direkt eine Mehrheit für unseren Vorstoß bekommen werden, Döpfner aus dem Verwaltungsrat abzuwählen. Aber: Uns geht es jetzt erst einmal um eine Signalwirkung.

Lang: Wir sind optimistisch, dass wir hier etwas erreichen können auf lange Sicht. Das ist ja immer eine Schrittfolge. Auch so ein erster Schritt für einen längeren Weg ist wichtig.

Sollte Ihr Vorschlag kein Gehör finden: Wie sähen Ihre weiteren Schritte aus?
Angerer: Wenn man sich die Verhaltensrichtlinien bei Netflix ansieht: Darin fehlt bislang das Thema sexuelle Belästigung, es fehlt auch ein ausgiebiger Schutz für Whistleblower. Und wir würden gerne fordern, dass diese Themen ergänzt werden und entsprechende Mechanismen zur Überprüfung aller Board-Mitglieder in all ihren Rollen fordern. Das würde dann auch über die Person von Mathias Döpfner hinaus gehen. Das Grundproblem ist jetzt in diesem Fall einfach sehr stark verkörpert in Mathias Döpfner, aber wir glauben, dass es womöglich auch tiefer liegt.

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Von welchem Grundproblem reden wir da? Was genau sehen Sie in Döpfner verkörpert?
Angerer: Döpfner verkörpert eine Art von Männlichkeit, die heute nicht mehr gelebt werden sollte – eigentlich in keinem Unternehmen, aber insbesondere nicht in einem Unternehmen wie Netflix, das sich ganz andere Werte auf die Fahnen schreibt.

Lang: Zuvor hat es dazu nur öffentliche Hinweise gegeben, beispielsweise eben, dass er mutmaßlich nicht bereit war, Whistleblower in der Reichelt-Affäre zu schützen, sondern sich auf die Seite des Täters gestellt hat. Die jüngsten Leaks aus seiner privaten Kommunikation aber haben all das dann felsenfest untermauert. Und alles, was man über Döpfner in den vergangenen Jahren gelesen hat, ergibt letztlich ein konsistentes Bild: Mathias Döpfner ist von seinem Wertekanon her heutzutage nicht mehr geeignet für die Art von Verantwortung, die ein Verwaltungsratsposten bei Netflix mitbringt. Er verkörpert einen Wertekanon, der den Ansprüchen der modernen Welt einfach nicht mehr gewachsen ist – weder auf sozialer Seite noch auf ökologischer.

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