Flugbranche Die brüchige Erholung der Luftfahrt

Nach 15 Monaten Krise wirkt die Branche wieder in guter Form. Nach langer Flaute buchen Urlauber und sogar die besonders lukrativen Geschäftsreisenden wieder. Quelle: dpa

Trotz guter Zahlen fordert die Flugbranche auf der nationalen Luftfahrtkonferenz eine spürbare Entlastung. Denn auch wenn das Geschäft in Teilen wieder das Vorkrisenniveau erreicht: ein Blick in die Zahlen zeigt, dass die Branche den anstehenden Belastungen noch nicht gewachsen ist.

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Wer die Einladung zur heutigen Nationalen Luftfahrtkonferenz am neuen Berliner Flughafen liest, könnte das Verhältnis zwischen der deutschen Flugbranche und der Bundesregierung für entspannt halten. „Take off für die Luftfahrt der Zukunft - innovativ, nachhaltig und resilient“, so das Motto im deutsch-englischen Sprachybrid.“ Zudem sind die ranghöchsten Vertreter beider Seiten präsent mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Verkehrsminister Andreas Scheuer und Wirtschaftsminister Peter Altmaier, sowie den Chefs von Lufthansa, Fraport, der Flugsicherung, MTU und Mitgliedern des Airbusvorstands.

Tatsächlich ist das Verhältnis eher kompliziert. „Wenn die Branche die Ziele innovativ, nachhaltig und resilient nicht erreicht, liegt das aus Sicht der Berliner Politik daran, dass sich die Unternehmen angesichts der wieder besseren Zahlen nicht genug anstrengen“, so ein Kenner der Flugindustrie, „und aus Sicht der Unternehmen ist der Grund, dass die Politik ihr beim Umbau immer neue Knüppel zwischen die Beine wirft.“

Darum brauchen Airlines und Airports mehr Hilfen, fordert Peter Gerber, Präsident der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) genannten Vereinigung Bundes aus Fluglinien, Flughäfen und Flugsicherung – und im Hauptjob Chef der belgischen Lufthansatochter Brussels Airlines.

„Für eine nachhaltige Erholung der Luftfahrt müssen nun vor allem folgende Punkte von der Politik vorangebracht werden: die Aufhebung von Einreiseverboten für Reisende aus Drittstaaten, die Übernahme von pandemiebedingten Einnahmeausfällen bei Flugsicherung und Luftsicherheit durch den Bund und eine klare Entscheidung auf europäischer Ebene, dass die Schärfung der Klimaschutzinstrumente mit einem Schutz vor Carbon Leakage und Wettbewerbsverzerrungen verbunden wird“, schreibt er der scheidenden Kanzlerin und ihren Ministern in die Agenda. „Die wirtschaftliche Erholung des Luftverkehrs und weitere Fortschritte beim Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen – nur wirtschaftlich gesunde Luftfahrtunternehmen können auch die notwendigen Investitionen für den Klimaschutz stemmen.“

Auf den ersten Blick erscheint der Katalog überzogen. Denn nach 15 Monaten Krise wirkt die Branche wieder in guter Form. Nach langer Flaute buchen Urlauber und sogar die besonders lukrativen Geschäftsreisenden wieder. Auch darum will Branchenführer Lufthansa im wichtigsten Verkehrsgebiet USA-Verkehr ab August wieder alle Ziele anbieten und 2022 sogar Gewinn schreiben.

Wer jedoch tiefer hineinschaut in die Zahlen der Branche und der europäischen Luftraumüberwachung Eurocontrol, der entdeckt ein anderes Bild. Die Branche ist noch weit hinter ihrer Bestform. Sie hat einen beispiellosen Einbruch hinter sich und ist noch weit von einer Normalität entfernt.



Das Problem beginnt bei der Zahl der Flüge (Grafik 1). Die lagen nun gut fünf Quartale um bis zu 84 Prozent unter dem bisherigen Rekordjahr 2019. So startete etwa im Juni 2020 nur etwa ein Sechstel der Flüge, die im Vorjahr abgehoben hatten. Bis heute verlor allein der deutsche Markt laut einer Statistik von Eurocontrol seit Beginn der Pandemie nicht weniger als 1,7 Millionen Flüge – inklusive der Einnahmen.

Zwar wollen die Linien des Lufthansakonzerns im Sommer wieder bis zu 60 Prozent ihres Angebots aus dem letzten normalen Jahr 2019 einsetzen. Und auch Ryanair möchte monatlich wieder mehr als 1000 Flüge in Deutschland anbieten Doch ein Blick auf die Eurocontrol-Statistik zeigt eine deutlich größere Lücke. Selbst aktuell im Juni 2021 ist mit 2500 Flügen nur 43 Prozent des Vorkrisenangebots unterwegs. Das rührt vor allem daher, dass derzeit neben Ryanair vor allem die Lufthansa ihr Netz hochgefahren hat, um mit möglichst vielen Zubringern ihr Langstreckennetz zu füttern. Dagegen haben viele kleinere Linien wie TAP aus Portugal oder SAS aus Skandinavien ihren Flugplan erstmal noch kleingehalten. Doch selbst diese Zahlen zeigen noch nicht das ganze Problem.



Das komplette Ausmaß des Rückgangs enthüllt erst ein Blick auf die Passagierzahlen. Laut den Angaben der Branchenverbände DRV für den Tourismus und des BDL für die Flugbranche lag der tatsächliche Einbruch der Kunden bei bis zu 96 Prozent. Denn besonders am Anfang und am Ende der bislang drei Lockdowns in Deutschland sank die Zahl der Passagiere noch deutlich stärker als die der Flüge.

Zu dem Zeitpunkt hoben viele Maschinen fast leer ab. Um einen stabileren Betrieb zu erreichen, haben die Airlines die Verbindungen oft erst später gestrichen beziehungsweise früher hochgefahren als dies die Nachfrage hergab. Dazu hat etwa die Lufthansa wegen der hohen Frachtnachfrage auf vielen Strecken die Passagiermaschinen eingesetzt, selbst wenn in den Sessel in der Kabine fast kein Kunde saß.



Das wirkt bis heute. Laut BDL und DRV liegt die angebotene Kapazität in Deutschland noch immer deutlich stärker unter dem Jahr 2019 als in anderen Ländern. So sind trotz der bereits nach Ostern begonnene Lockerungen bei den Reiseauflagen in der Sommersaison von Mai bis August 56 Prozent weniger Sitze zu haben als vor zwei Jahren. Damit bildet Deutschland zusammen mit Schweden das Schlusslicht in Europa. Nicht nur Urlaubsziele wie Spanien, die Türkei oder Griechenland haben ein im Verhältnis ein größeres Angebot. Auch in den Niederlanden oder Österreich ist das Angebot höher.

Das liegt aus Sicht Experten vor allem daran , dass die deutschen Reisenden vermehrt ihre Sommerfrische zur Sicherheit im eigenen Land gebucht haben. Zudem tun sie sich mit den schwer ausrechenbaren Auflagen für Reiserückkehrer aus Risikogebieten oft schwerer als andere.



Ein weiterer Faktor für das verhältnismäßig langsame Anlaufen des deutschen Flugmarktes ist das immer noch recht dünne Angebot an Flügen. Zwar sind derzeit mit 332 Orten bereits wieder relativ viele Ziele verfügbar. Rein rechnerisch sind für die Kunden innerhalb von Europa mit 217 Zielen nur neun Städte weniger direkt und ohne Umsteigen erreichbar als im Jahr 2019.

Sogar Langstrecken-Flüge nehmen zu

Und auch wenn die aktuellen Beschränkungen Reisen in Länder außerhalb Europas extrem erschweren, gibt es auf der Langstrecke wieder 115 Destinationen. Laut den aktuellen Planungen der Airlines könnten es im August sogar wieder fast 130 Flugziele werden. Dann blieben verglichen mit der Zeit vor der Pandemie fast nur noch in Afrika oder Lateinamerika Ziele, für die Passagiere anders als in 2019 umsteigen müssen.



Doch unterm Strich ist das Angebot weniger attraktiv als es scheint. Denn fast alle Routen werden deutlich seltener beflogen als in der Boomzeit der Flugverkehrs. Laut einer Statistik des Flugverbands BDL liegt die Zahl der angebotenen Europaflüge in Juli und August in diesem Jahr mit rund 80400 um 34 Prozent unter der Zahl von 2019, wo es 121600 waren. Auf der Langstrecke sind es mit 9400 in Juli und August sogar 44 Prozent weniger als vor zwei Jahren. Damit finden Reisefreudige nicht nur schwerer ein passendes Angebot und müssen längere Wartezeiten und mehr Umsteigeaufenthalte in Kauf nehmen als früher. Weil auf mehr Routen als früher nur noch eine Linie unterwegs ist, leidet der Wettbewerb. Besonders zu Spitzenzeiten sind darum die Preise derzeit stellenweise höher als vor der Krise.



Insgesamt ist Branche optimistisch, die Coronakrise in absehbarer Zeit hinter sich zu lassen. Wenn wie geplant bis Jahresende fast alle Deutschen geimpft sind, könnte der Flugverkehr im nächsten Jahr wieder bei gut 80 Prozent des Vorkrisenniveaus. 2024 könnten es gar mehr Passagiere sein als vor der Krise.

Doch sicherheitshalber hat Eurocontrol auch zwei weniger optimistische Szenarien durchgerechnet. Denn trotz aller Fortschritte beim Impfen gegen den Coronavirus, sind erneute Rückschläge wie eine vierte Welle durch eine neue Variante des Erregers nicht auszuschließen. Verzögern sich die Impfungen bis ins nächste Jahr, würde sich die Reisebranche in Deutschland erst 2025 normalisieren. Bleiben die Infektionen dagegen gar ein Teil des Alltags, gäbe es auch 2024 immer noch nur zwei Drittel des Geschäfts von 2019.

Mehr zum Thema: Mit dem nahenden Sommer schalten die Airlines wieder auf Expansion und holen ihre Maschinen von den Abstellplätzen. Exklusive Satellitenbilder zeigen jedoch, dass nicht auf allen Parkplätzen die Zahl der Jets abnimmt.

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