In diesem Jahr freute sich Lufthansa-Chef Carsten Spohr wohl auf keinen Tag so sehr wie auf den vergangenen Montag. Denn seit dem 8. November dürfen Passagiere nach fast 20 Monaten Reiseverbot wieder fast unbeschränkt in die USA reisen. Einzige Voraussetzung: sie müssen vollständig geimpft sein und einen negativen Coronatest vorlegen. „Das lieben wir“, so Spohr als er vorige Woche die Bilanz für die ersten neun Monate des Jahres vorlegte.
Ein Blick in die Zahlen zeigt: der Boom ist gewaltig. „Seit die US-Regierung das Datum für die Aufhebung der Reiserestriktionen bekannt gegeben hat, ist die Zahl der Buchungen für transatlantische Flüge um mehr als 70 Prozent gestiegen“, sagt Wolfgang Schellenberg, Senior Director – Commercial, Central Europe der Geschäftsreisebürokette American Express Global Business Travel.
Vor allem die großen Drehkreuze in Europa verzeichneten in dieser Woche sogar bis zu mehr als drei Mal so viele USA-Reisende wie im vergangenen Sommer. Am ersten Reisetag hoben teilweise sogar mehr Passagiere ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten ab als zum gleichen Zeitpunkt vor der Krise im Jahr 2019. Frankfurt erwartet mit 52.000 US-Reisenden das zweieinhalbfache der rund 20.000 Nordamerika-Kunden aus der Vorwoche. Damit zog der Boom der USA-Flüge sogar den angesichts der steigenden Infektionszahlen zuletzt wieder stagnierenden Verkehr in Europa nach oben.
Und das Plus Richtung Amerika könnte die Branche noch lange beflügeln, prognostiziert die europäische Luftraumüberwachung Eurocontrol. Sie erwarte, dass in Europa dank der USA die Zahl der Passagiere nun dauerhaft bei mehr als 80 Prozent des Vorkrisenniveaus liegt, auch wenn mit den anhaltenden Lücken im Asienflugplan erstmal noch mehr als zehn Prozent des Verkehrs fehlen. Denn das Interesse an den USA nimmt zu. Lag die Zahl der Vorausbuchungen für die kommenden Monate in der vorigen Woche laut Spohr noch bei 80 Prozent des Werts aus 2019, so sind es jetzt laut Konzernkennern sogar 85 Prozent.
Die Freude erfasste die ganze Branche. Auch Air France-KLM, British Airways und US-Linien wie Delta Airlines meldeten gerade Rekordzuwächse über den Nordatlantik. An manchen Flugsteigen gab es gar kleine Feiern. „Die Stimmung war stellenweise fast wie bei Alexander von Humboldt, wenn er im 19. Jahrhundert zu einer großen Expedition aufbrach“, so ein führender Manager der Branche. Am Ende entbrannte gar ein kleiner Wettbewerb. So rühmte sich der Ferienflieger Condor als erster unterwegs gewesen zu sein.
Die Euphorie ist verständlich. Denn für die Airlines ist die USA das wichtigste Zielgebiet, vor allem für dienstliche Trips. „Die USA sind das Mallorca der Geschäftsreise“, so Markus Orth, Chef der Reisebürokette Lufthansa City Center in Anspielung auf Europas größte Ferieninsel. So führte vor der Krise gut ein Drittel aller geschäftlichen Flugreisen in die USA. Bei der Lufthansa sind es laut Insidern sogar fast 40 Prozent.
Das gilt auch für die anderen Konzerngesellschaften wie die Swiss. „Das ist unser Rückgrat“, so Swiss-Finanzchef Markus Binkert und nennt die Flüge „nötig, um dann wieder in die schwarzen Zahlen fliegen zu können im nächsten Jahr.“ Denn auch wenn ein Chinaflug vor der Krise bis zu einer Million Euro an Umsatz und damit bis zu 20 Prozent mehr brachte als eine Amerikaverbindung: Unterm Strich sind die USA wichtiger, weil da ein Vielfaches der Flüge hingeht. „Nach Nordamerika hatten wir jeden Tag so viele Flüge wie nach China in einer Woche“, so Spohr.
Auf den Boom haben sich die Airlines gut vorbereitet. Fast alle Gesellschaften aus Europa und den USA hatten die Öffnung bereits Ende September erwartet. Darum haben sie schon zum Ende des Sommers deutlich mehr Jets entmottet als die Airlines aus Asien. In den USA und Europa aktivierten die Linien im Vergleich zum Vorjahr rund 20 Prozent der abgestellten Maschinen und laut Schätzung fast die Hälfte der damals in die Wüste geschickten Langstreckenjets. Darum sind beiderseits des Nordatlantiks von der Zahl her bereits wieder knapp 90 Prozent jener Flugzeuge aktiv, die im Winter 2019/2020 vor der Krise Dienst taten. In Asien hingegen parken trotz des Aufschwungs im größten Verkehrsgebiet für Flüge innerhalb Chinas mit knapp 20 Prozent der Flotte noch fast doppelt so viele Flieger. „In dem Markt gibt es noch viele Fragezeichen“, so Spohr über Unsicherheit, wenn sich vor allem China und Japan wieder für Ausländer öffnen.
Einen Vorsprung vor der Konkurrenz hat dabei die Lufthansa. Von den großen Fluglinien hatte sie ihre USA-Flüge mit am wenigsten gekürzt – und muss sie jetzt auch entsprechend weniger hochfahren.
Die nach Passagieren größte nordamerikanische Fluglinie Delta Airlines hatte ihr Angebot im vergangenen Winter um fast drei Viertel zusammengestrichen und flog in Europa nur noch sechs statt zuvor 16 Städte an. Für den Sommer ist Delta zwar recht optimistisch und bietet wieder 472 Flüge pro Woche aus 25 Städten an, an manchen Tagen sind es gar 73 Verbindungen und damit bis zu 90 Prozent mehr Flüge aus der alten Welt als im Juli und August 2021.
Bei der aktuellen Öffnung hingegen bleibt Delta erstmal skeptisch und fährt ihr Angebot im ersten Schritt begrenzt hoch. Mit nicht mal der Hälfte der wöchentlichen Flüge aus Europa sind die Amerikaner vorsichtiger als ihr wichtigster europäischer Partner Air France-KLM.
Der französisch-niederländische Konzern gibt ein geteiltes Bild. Während der Krise hatte Air France zwar stärker gekürzt als KLM. Doch in der Öffnung ist die Reaktion genau anders herum. Der französische Teil bietet nicht zuletzt im Vertrauen auf eine hohe Nachfrage bei Geschäftsreisenden auf seinem Hauptflughafen Paris Charles de Gaulle praktisch wieder das Vorkrisenprogramm.
Die für ihre starke Gewinn- und Effizienzorientierung bekannte Konzernschwester in Amsterdam hingegen hält sich zurück. KLM fliegt zwar das Angebot in großen Ziele wie Atlanta oder Los Angeles mehr oder weniger auf Vorkrisenniveau. Doch sie verzichtet auf kleinere Routen wie Memphis und Las Vegas und überlässt Miami der größeren Schwester.
Lufthansa hingegen fährt den Betrieb vergleichsweise bescheiden hoch. Sie nimmt nur vier neue Ziele ins Programm und bietet nur ein Drittel mehr Flüge pro Woche. Das erstaunt auf den ersten Blick. Denn unterm Strich rechnen Unternehmenskenner damit, dass die Linie im November etwa acht bis neunmal mehr Passagiere befördert als im Vorjahreszeitraum.
Doch die Erklärung ist einfach. Zum einen hat Lufthansa das Angebot an ihren beiden Hauptflughäfen Frankfurt und München bereits in den Wochen vor der US-Öffnung hochgefahren. Das diente zum einen der Stabilität. „Die Planer wollten sicher gehen, dass im Betrieb alles eingeschwungen ist und wir nicht durch allzu viele neue Verbindungen in Probleme kommen“, so ein Konzernkenner.
Lufthansa hat anders als Qatar Airways oder Turkish Airlines, die laut Beobachtern oft mit sehr wenigen Passagieren unterwegs waren und wahrscheinlich Verluste in Kauf nahm, trotz weniger Passagieren bei ihren im Konkurrenzvergleich recht vielen Flügen aus zwei Gründen ihren Schnitt gemacht.
Zum einen hat sie dank der bis zum vierfachen angestiegenen Preise im Frachtgeschäft auf vielen Flügen so viel eingenommen, dass die Verbindungen auch dann Geld verdienten, wenn nur ein Fünftel der Sitze belegt waren oder außer der Besatzung fast keiner an Bord war. Zum zweiten gelang es der Lufthansa überdurchschnittlich oft Kunden zu gewinnen, für die das US-Reiseverbot nicht galt. „Mit uns reisten viele Amerikaner, Bürger aus der Türkei oder der Golfregion sowie Geschäftsreisende mit einer Ausnahmegenehmigung“, so Spohr. Und, so ein Insider, weil viele von denen reisen mussten oder unbedingt wollten, buchten sie überdurchschnittlich oft First und Business Class oder zahlten im Schnitt deutlich mehr als den üblichen Ticketpreis.
Das zumindest hat sich auch in dieser Woche kaum geändert. Wie Lufthansa-Chef Spohr stolz erzählt, ist die Nachfrage nach den Tickets für Premiumabteile wie Business oder die Premium Economy immer noch deutlich besser als für die Holzklasse im hinteren Teil der Flieger. In der First Class, wo Tickets schonmal mehr als 10 000 Euro kosten, sind die Buchungen im Schnitt sogar höher als vor der Krise.
Das rührt zum einen von den Geschäftsreisenden. Denn aktuell sind vor allem Mittelständler und dort vor allem die Führungsebene unterwegs. „Und die buchen anders als Konzerne öfter Premium, weil ihre Leute damit angesichts der steigenden Infektionszahlen mehr Abstand zu Mitreisenden haben und ausgeruhter ankommen“, so Geschäftsreisevermittler. „Damit schaffen sie mehr Termine pro Tag und können schneller wieder zurück.“
Aber zu Spohrs Freude buchen auch Privatreisende mehr Premium, um sich nach der langen Reiseabstinenz neben mehr Sicherheitsabstand vor allem mehr Komfort gönnen wollen. „Revenge Travel – Rachereisen“, beschreibt Spohr das „wenn schon, denn schon“ der US-Urlauber.
Wie lange diese Trends anhalten, ist noch unklar. „Wenn die vierte Corona-Welle anhält und die Politiker wieder über Reisebeschränkungen reden, kann das auch wieder etwas nachlassen“, so ein Lufthansainsider. „Aber noch ist der Drang, endlich wieder nach Los Angeles. Miami oder New York zu kommen, einfach stärker.“
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