Gastronomen in der gesamten Republik bestreiten gerade die vierte Woche in Folge, in der ihre Restaurants, Cafés und Bars geschlossen sind. Stühle sind hochgestellt, Türen verschlossen. In manchen Küchen herrscht zwar Betrieb: Der Außerhausverkauf ist immerhin möglich und die Essenslieferung „boomt“ – notgedrungen. Ausgleichen können diese Verkäufe das Geschäft mit Kunden vor Ort allerdings nicht im Ansatz. Die Liquiditätsengpässe der Betriebe seien „akut“, heißt es etwa beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband.
Womöglich hatten noch einige Gastronomen Anfang November gehofft, in der kommenden Woche wieder öffnen zu dürfen. Bis Ende November hatten Bund und Länder die Einschränkungen nämlich beschlossen. Ursprünglich. Denn jetzt könnte es noch dicker kommen: Aus einer Beschlussvorlage des Landes Berlin für die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am Mittwoch geht hervor, dass der Teil-Lockdown mit seinen Regelungen bis zum 20. Dezember verlängert werden soll. Immerhin seien die Infektionszahlen „vielerorts viel zu hoch“. Das würde noch drei zusätzliche Wochen bedeuten, in denen die Betriebe dicht blieben – mindestens. Berlin hat aktuell den Vorsitz der MPK inne. Am Mittwoch beraten die Länder über eine gemeinsame Beschlussvorlage mit der Bundeskanzlerin.
Die Gastronomie gibt sich vor der Konferenz besorgt: „Die anhaltende Unsicherheit bricht unserer Branche das Genick“, sagt Michael Kuriat, Präsident des Gastronomie-Netzwerks „Leaders Club“ und selbst Gastronom. Kuriat hat in Leipzig mehrere gastronomische Betriebe. Er fordert: „Wir brauchen jetzt einen Fahrplan, wie es in der Gastronomie weitergehen soll“. Das ständige Hoch- und Runterfahren halte die Gastronomie nicht durch. Statt allerdings gegen die Schließungen Sturm zu laufen, betont Kuriat: „Wenn solche Schritte unumgänglich sind, dann tragen wir das mit und betrachten uns als Teil der Lösung. Aber das wirtschaftliche Überleben muss gesichert sein.“ Die Verbandsmitglieder seien keine Wutgastronomen, die nun darauf pochten, endlich wieder zu öffnen. „Wir sind uns der Thematik und der Verantwortung bewusst“, sagt Kuriat.
Zu den 160 Mitgliedsunternehmen des „Leaders Club“ zählen Branchengrößen wie die Steakhauskette „Block House“, die Burgergriller von „Hans im Glück“, das Hofbräuhaus in München und die Bullerei GmbH von Starkoch Tim Mälzer.
Aktuell bereitet Michael Kuriat vor allem die finanzielle Situation vieler Unternehmen Sorgen. Für die Schließungen im November sollen die Betriebe zwar entschädigt werden. 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat sollen sie erhalten. Allerdings nicht im November. Erst in der letzten Novemberwoche startet die Beantragung, dann folgt die Prüfung. Damit trotzdem schon etwas Geld ankommt, sollen die Betriebe Abschlagszahlungen erhalten. Erste Auszahlungen der Abschläge „erfolgen ab Ende November 2020“, heißt es beim Bundeswirtschaftsministerium. Solo-Selbständige erhalten 5000 Euro, andere Unternehmen 10.000 Euro. Klar ist: Kleinen Restaurants mit wenig Umsatz dürften die Zahlungen durchaus helfen. Doch für viele größere Unternehmen sei die Abschlagszahlung „ein Witz“, sagt Kuriat. „Die Novemberhilfen sind eigentlich keine Novemberhilfen mehr, sondern höchstens Dezemberhilfen. Das könnte einige Gastronomen, die sich auf Hilfe im November verlassen haben, die Existenz kosten“, urteilt der Gastronom.
Im nächsten Jahr sollen betroffene Betriebe dann die Überbrückungshilfe III für die Monate Januar bis Juni erhalten. Zuschüsse, die sie nicht zurückzahlen müssen, wenn sie „besonders stark“ von den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung betroffen sind. Diese Hilfe sei die Überlebensgrundlage für viele Gastronomen, sagt auch Kuriat. Allerdings: „Sollte es 2021 zu weiteren Lockdowns und Schließungen kommen, reicht sie bei vielen Betrieben nicht annähernd aus“.
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Das Netzwerk legt nun ein Strategiepapier vor, das skizziert, wie der Gastronomiebetrieb im kommenden Jahr geregelt werden könnte. Es liegt der WirtschaftsWoche vorab vor. Die Gastronomen schlagen vor, die Regularien eng an die Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen zu knüpfen. Und den Betrieb auf der Ebene von kreisfreien Städten, Bezirken und Landkreisen bzw. der Landes- oder Bundesebene zu regeln. So hätten die Unternehmen zumindest einen klaren Fahrplan zur Orientierung.
Demnach dürften Betriebe bei mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner nicht öffnen. Die Auslieferung und Abholung wäre weiterhin erlaubt. Doch so gut wie kein Gastronom verdient mit der Essensauslieferung Geld, verrät Kuriat. „Sie hält nur die Mitarbeiter bei der Stange und sorgt für Präsenz bei den Gästen – mehr ist es bei den meisten Betrieben aber auch nicht.“ Stattdessen bräuchte es in diesem Szenario umfassende Liquiditätshilfen.
Bei mehr als 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner schlagen die Gastronomen unter anderem einen Betrieb mit fünf Personen aus maximal zwei Haushalten an einem Tisch vor. Für Mitarbeiter gelte eine Maskenpflicht und es bedürfe technischen Einrichtungen zur Überwachung der Luftqualität und für die Be- und Entlüftung. Immerhin spielt die Verteilung von Aerosolen in der Luft eine große Rolle beim Ansteckungsgeschehen. Besonders brisant: Das Netzwerk schlägt vor, die Gästeerfassung einheitlich zu digitalisieren. Statt Zettel auszufüllen, könnten sich Besucher in der Corona-Warnapp oder einem anderen zentralen Dienst registrieren. Dafür könnte eine Lösung in der Corona-App implementiert werden. Das dürfte angesichts anhaltender Debatten über den Datenschutz für Aufsehen sorgen.
Im dritten Szenario, bei weniger als 35 Neuinfektionen, je 100.000 Einwohner in sieben Tagen, sollen gar zehn Personen aus verschiedenen Haushalten an einem Tisch Platz finden dürfen. Eine ziemlich ausgeprägte Lockerung, die sicherlich nicht ohne Gegenwehr der Behörden durchsetzbar wäre. Für die Mitarbeiter gelte dann wie in allen Szenarien eine Maskenpflicht. Auch aus der Beschlussvorlage für die MPK am Mittwoch geht hervor, dass Länder mit weniger als 35 Neuinfektionen schon vor dem 20. Dezember von den Regelungen abweichen könnten. Nach dem Plan des „Leaders Club“ wäre das ständige „Hoch und Runterfahren“ zwar nicht vorbei. Allerdings wäre es für die Betriebe nachvollziehbar, wann sie öffnen dürfen oder schließen müssten, so das Netzwerk.
Der „Leaders Club“ schickt allerdings voraus, dass einzelne Landkreise nicht aus der Reihe tanzen dürften, wenn das gesamte Bundesland oder die Republik im Schnitt den Schwellenwert von 50 Neuinfektionen übertreffen. „Bei bundesweiten bzw. landesweiten Überschreitungen von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen sind bundesweite bzw. landesweite schwerwiegende Maßnahmen anzustreben“, heißt es in dem Papier. Das würde bedeuten: Alle Betriebe müssen schließen.