Was will die GDL?
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) will künftig nicht mehr nur noch für Lokführer, sondern für das gesamte Zugpersonal Tarifverträge aushandeln können. Ihr geht es nicht darum, für alle Schaffner und Mitarbeiter der Bordgastronomie exklusiv zu verhandeln, sondern nur für ihre Mitglieder.
Was ist der Knackpunkt?
Die Deutsche Bahn lehnt es ab, dass für ein und dieselbe Berufsgruppe zwei Tarifverträge gelten können. Das Horror-Szenario der Bahn: Ein Zugbegleiter mit GDL-Parteibuch arbeitet 38 Stunde pro Woche und sein Kollege mit EVG-Mitgliedschaft eine Stunde mehr oder weniger. Das würde sämtliche Dienstpläne durcheinander bringen. Das Chaos droht auch bei Lokführern, denn für diese Berufsgruppe will nun auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG tarifieren.
Was die GDL erreichen will
Wie immer geht es zwischen Arbeitgeber und den Gewerkschaften um Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Das Besondere an diesem Tarifkonflikt ist jedoch, dass zusätzlich die GDL (34 000 Mitglieder) mit der viel größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG (210 000 Mitglieder) um die Vertretungsmacht bei einem Teil der Belegschaft konkurriert. Die Bahn wiederum will Tarifkonkurrenz vermeiden. Für eine Berufsgruppe soll ihrer Meinung nach nur ein Tarifvertrag gelten.
Die GDL will die Verhandlungsmacht auch für rund 8800 Zubegleiter, 2500 Gastronomen in den Speisewagen, 3100 Lokrangierführer sowie 2700 Instruktoren, Trainer und Zugdisponenten. Das macht zusammen 17 100 Mitarbeiter. Mit den rund 20 000 Lokführern bildet die GDL daraus die Gruppe „Zugpersonal“ mit 37 000 Mitarbeitern. In dieser Gruppe habe sie die Mehrheit der Mitglieder. Die EVG hält von der GDL vorgenommene Zusammenführung für willkürlich und bezweifelt deren Zahlenangaben.
Das ist der heikle Punkt, weil die Gewerkschaften aus dem Organisationsgrad ihr Verhandlungsmandat für die jeweiligen Berufsgruppen ableiten. Wer stärker ist, soll in Tarifverhandlungen das Sagen haben. Die Frage ist jedoch, welche Organisationseinheit man dabei betrachtet: Einen Betrieb, ein Unternehmen im Konzern, eine Berufsgruppe? Je nach dem kann die Mehrheit mal bei der einen, mal bei der anderen Gewerkschaft liegen.
Bei den Lokführern ist die Sache klar: 20.000 sind bei der Bahn beschäftigt. Die GDL reklamiert 78 Prozent von ihnen als ihre Mitglieder, das wären etwa 15.500. Die EVG gibt ihre Mitgliederzahl unter den Lokführern mit 5000 an, davon seien 2000 Beamte. Das geht nicht ganz auf, selbst wenn alle Lokführer gewerkschaftlich organisiert wären. Aber: Das Kräfteverhältnis ist eindeutig, drei zu eins für die GDL. Schwieriger und umstritten ist es bei den übrigen rund 17.000 Mitarbeitern, die nach GDL-Definition zum Zugpersonal zählen. Die EVG sagt, 65 Prozent der Zugbegleiter und 75 Prozent der Lokrangierführer seien bei ihr organisiert. Das wären zusammen allein bei diesen beiden Berufsgruppen 9860 Beschäftigte. Die GDL macht eine andere Rechnung auf: 37.000 Beschäftigte (inklusive Lokführer) gehörten zum Zugpersonal. Davon seien 19.000 GDL-Mitglieder, das sei eine Mehrheit von 51 Prozent.
Für die GDL ist das sehr bedeutsam. Denn ein solches Gesetz könnte ihre Handlungsmöglichkeit einschränken. Möglicherweise verlöre sie in bestimmten Ausgangslagen das Streikrecht. Damit wäre die GDL wie andere Berufsgewerkschaften in ihrer Existenz bedroht. Die GDL hat bereits angekündigt, dass sie ein solches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen würde.
Streiks in rascher Folge, Lähmung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft sollen erschwert werden. Die Diskussion hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes schon vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten die Tarifvertrags-Vielfalt und die Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Der Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wurde damals hinfällig.
Wer ist im Recht?
Die GDL. Sie beruft sich auf einen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom Januar 2010, der vorsieht, dass auch innerhalb eines Betriebes verschiedene Tarifabschlüsse gelten dürfen. Da seit August dieses Jahres ein Burgfrieden zwischen GDL und EVG endete, der bis dahin der GDL die Verantwortung für die Lokführer und der EVG die Verantwortung für alle anderen Berufsgruppen übertragen hatte, kann jede Gewerkschaft in jeder Berufsgruppe wildern. Das nennt man Wettbewerb.
Ist das Verhalten der Deutschen Bahn angemessen?
Man muss dem Unternehmen zu Gute halten, dass es sich um Befriedung des Konflikts bemüht. Personalvorstand Ulrich Weber hat der GDL mehrfach Gespräche und Verhandlungen angeboten. Weber ist ein Mann der leisen Töne, dem die Sozialpartnerschaft zu den Gewerkschaften wichtig ist. Mit ihm kann man reden. Aber auch er kann stur sein: zwei Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe in einem Betrieb wird es mit ihm nicht geben. Das hat er klipp und klar deutlich gemacht. Damit liegt die Bahn zumindest voll auf der Linie der sozialdemokratischen Bundesarbeitsministerin, die konkurrierende Tarifverträge in einem Betrieb per Gesetz verhindern will.
Ist das jüngste Angebot der Bahn für die Lokführer akzeptabel?
Nein. Vergangenen Freitag hat die Bahn der GDL einen Entwurf für einen Tarifvertrag zugesandt, der das Verfahren regeln soll, wie in Zukunft zwischen Bahn, EVG und GDL über die eigentlichen Tarifthemen wie Lohn, Überstunden und Arbeitsbedingungen gestritten wird. Paragraf 5 sieht eine Regelung in drei Stufen vor: Der Arbeitgeber Deutsche Bahn spricht sowohl mit den Tarifverantwortlichen der EVG als auch der GDL über die Tarifbedingungen für Lokführer und Zugbegleiter – in verschiedenen Räumen. Scheitern die Gespräche, kommt es zu einem gemeinsamen Spitzengespräch mit den Gewerkschaftsvorsitzenden. Gibt es dann immer noch keine Einigung, darf die Bahn laut Vertragswerk getrennt weiterverhandeln: und zwar mit der GDL über die Lokführer und mit der EVG über die Zugbegleiter. Das lehnt die GDL ab, die ja unbedingt auch für ihre Zugbegleiter sprechen will. Der Vorschlag läuft also dem obersten Ziel der GDL entgegen. Allerdings funktioniert so ein Verfahren in anderen Branchen ganz gut. Weber hatte auch vorgeschlagen, so einen Weg mal für ein Jahr auszuprobieren. Doch da stellte die GDL auf stur.
Worin liegt nach Ansicht der GDL das Tarifdiktat?
Mit dem Papier, dass die Bahn der GDL vorgelegt hat, habe der Konzern seine wahre „Maske vom Gesicht gerissen“, tobt Weselsky. Der Gewerkschafter bezieht sich auf Paragraf 6 des Entwurfs. Dieser sieht vor, dass ein Tarifvertrag, der zwischen Bahn und EVG auf Grundlage des oben genannten Stufenverfahrens geschlossen wurde, der GDL zur Annahme angeboten wird. Nach Ablauf einer Frist, gelte sowohl für EVG als auch für GDL die Friedenspflicht. Mit anderen Worten: Die GDL dürfte nicht mehr für die Belange ihrer Mitglieder streiken, wenn die EVG zufrieden ist. Nach Ansicht der GDL kommt das einem Streikverbot gleich.
Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG
Die 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer gegründete GDL hat rund 34.000 Mitglieder. In ihr sind nach Gewerkschaftsangaben rund 80 Prozent der Lokführer bei der Deutschen Bahn und zahlreiche Zugbegleiter organisiert. Die GDL gehört dem Deutschen Beamtenbund an.
Die EVG entstand 2010 aus der Fusion von Transnet und GDBA und hat rund 210.000 Mitglieder. Die Vorgängerin Transnet wurde 1896 gegründet und gehörte zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Die 1948 gegründete Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter und Anwärter (GDBA) hatte Mitglieder aus allen Sparten von Bahn bis Bus. Sie gehörte dem Deutschen Beamtenbund an, kooperierte zuletzt aber in einer Tarifgemeinschaft mit Transnet.
Warum lehnt die GDL eine Schlichtung ab?
Das jüngste Angebot der Bahn sieht vor, dass der Konflikt von zwei Schlichtern moderiert wird. Sowohl Bahn als auch GDL bestimmen einen Schlichter, dem die jeweils andere Partei zustimmen muss. Die GDL lehnte das Bahn-Angebot am Mittwoch ab. Argument: Eine Schlichtung mache nur Sinn, wenn man über Inhalte wie Lohn und Arbeitszeiten verhandeln würde. Doch in dem Konflikt gehe es ja aktuell nicht darum, sondern um das Recht zu streiken, das im Grundgesetz verankert sei. „Über das Grundgesetz gibt es nichts zu schlichten“, sagt Weselsky. Wenn er aber der Meinung ist, dass die Kernfrage des Konflikts nicht mit den gängigen Mitteln eines Tarifkonflikts zu lösen ist, muss sich der GDL-Chef die Frage gefallen lassen, warum denn dann ausgerechnet der Streik für ihn ein probates Mittel ist. Hier betreibt Weselsky Rosinenpickerei. Die GDL mag ein sachlich nachvollziehbares Anliegen haben. Aber mit ihrer Art und Weise, wie sie die deutsche Bahn, die deutsche Wirtschaft und die deutsche Bevölkerung zu Geiseln ihrer Interessen macht, lässt jedes Augenmaß vermissen. Auch ein noch so hehres Ziel rechtfertigt nicht alle Mittel.
Warum klagt die Deutsche Bahn nicht?
Das Unternehmen könnte als Ultima Ratio versuchen, den 100-Stunden-Streik mit einer Klage beim Arbeitsgericht zu unterbinden. Warum tut sie das nicht? Ganz offenbar sieht der Vorstand keine großen Erfolgsaussichten. Personalvorstand Weber bewertete so ein Verfahren als „außerordentlich schwierig“.
Wie geht es nun weiter?
Die Bahn wartet darauf, dass das Tarifeinheitsgesetz von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles schnell umgesetzt wird. Der Entwurf liegt vor. Ab Mitte 2015 könnte dann in Deutschland folgendes Szenario gelten: Im Konfliktfall gilt in einem Betrieb der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. Die Deutsche Bahn hat 330 Betriebe. Die EVG befürchtet daher einen „Häuserkampf um jeden Betrieb“. Für EVG und GDL könnte nun jedes Mittel recht sein, sich selbst als die bessere Gewerkschaft zu positionieren, um möglichst viele Mitglieder zu gewinnen. Der 100-Stunden-Streik der GDL ist möglicherweise erst der Anfang eines Gewerkschaftskriegs. Nach Ansicht des Großteils der Kunden der Deutschen Bahn hat die GDL den Krieg moralisch aber sicherlich schon verloren.