GDL-Streik Die Lokführer haben Recht - und verrennen sich

Über den Megastreik der Lokführer empört sich ganz Deutschland. Doch kann es sein, dass die GDL aus dem Konflikt am Ende sogar als strahlender Sieger heraus geht? Sie hat gute Argumente.

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Was will die GDL?

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) will künftig nicht mehr nur noch für Lokführer, sondern für das gesamte Zugpersonal Tarifverträge aushandeln können. Ihr geht es nicht darum, für alle Schaffner und Mitarbeiter der Bordgastronomie exklusiv zu verhandeln, sondern nur für ihre Mitglieder.


Was ist der Knackpunkt?

Die Deutsche Bahn lehnt es ab, dass für ein und dieselbe Berufsgruppe zwei Tarifverträge gelten können. Das Horror-Szenario der Bahn: Ein Zugbegleiter mit GDL-Parteibuch arbeitet 38 Stunde pro Woche und sein Kollege mit EVG-Mitgliedschaft eine Stunde mehr oder weniger. Das würde sämtliche Dienstpläne durcheinander bringen. Das Chaos droht auch bei Lokführern, denn für diese Berufsgruppe will nun auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG tarifieren.

Was die GDL erreichen will

Wer ist im Recht?

Die GDL. Sie beruft sich auf einen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom Januar 2010, der vorsieht, dass auch innerhalb eines Betriebes verschiedene Tarifabschlüsse gelten dürfen. Da seit August dieses Jahres ein Burgfrieden zwischen GDL und EVG endete, der bis dahin der GDL die Verantwortung für die Lokführer und der EVG die Verantwortung für alle anderen Berufsgruppen übertragen hatte, kann jede Gewerkschaft in jeder Berufsgruppe wildern. Das nennt man Wettbewerb.


Ist das Verhalten der Deutschen Bahn angemessen?

Man muss dem Unternehmen zu Gute halten, dass es sich um Befriedung des Konflikts bemüht. Personalvorstand Ulrich Weber hat der GDL mehrfach Gespräche und Verhandlungen angeboten. Weber ist ein Mann der leisen Töne, dem die Sozialpartnerschaft zu den Gewerkschaften wichtig ist. Mit ihm kann man reden. Aber auch er kann stur sein: zwei Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe in einem Betrieb wird es mit ihm nicht geben. Das hat er klipp und klar deutlich gemacht. Damit liegt die Bahn zumindest voll auf der Linie der sozialdemokratischen Bundesarbeitsministerin, die konkurrierende Tarifverträge in einem Betrieb per Gesetz verhindern will.

Ist das jüngste Angebot der Bahn für die Lokführer akzeptabel?

Nein. Vergangenen Freitag hat die Bahn der GDL einen Entwurf für einen Tarifvertrag zugesandt, der das Verfahren regeln soll, wie in Zukunft zwischen Bahn, EVG und GDL über die eigentlichen Tarifthemen wie Lohn, Überstunden und Arbeitsbedingungen gestritten wird. Paragraf 5 sieht eine Regelung in drei Stufen vor: Der Arbeitgeber Deutsche Bahn spricht sowohl mit den Tarifverantwortlichen der EVG als auch der GDL über die Tarifbedingungen für Lokführer und Zugbegleiter – in verschiedenen Räumen. Scheitern die Gespräche, kommt es zu einem gemeinsamen Spitzengespräch mit den Gewerkschaftsvorsitzenden. Gibt es dann immer noch keine Einigung, darf die Bahn laut Vertragswerk getrennt weiterverhandeln: und zwar mit der GDL über die Lokführer und mit der EVG über die Zugbegleiter. Das lehnt die GDL ab, die ja unbedingt auch für ihre Zugbegleiter sprechen will. Der Vorschlag läuft also dem obersten Ziel der GDL entgegen. Allerdings funktioniert so ein Verfahren in anderen Branchen ganz gut. Weber hatte auch vorgeschlagen, so einen Weg mal für ein Jahr auszuprobieren. Doch da stellte die GDL auf stur.


Worin liegt nach Ansicht der GDL das Tarifdiktat?

Mit dem Papier, dass die Bahn der GDL vorgelegt hat, habe der Konzern seine wahre „Maske vom Gesicht gerissen“, tobt Weselsky. Der Gewerkschafter bezieht sich auf Paragraf 6 des Entwurfs. Dieser sieht vor, dass ein Tarifvertrag, der zwischen Bahn und EVG auf Grundlage des oben genannten Stufenverfahrens geschlossen wurde, der GDL zur Annahme angeboten wird. Nach Ablauf einer Frist, gelte sowohl für EVG als auch für GDL die Friedenspflicht. Mit anderen Worten: Die GDL dürfte nicht mehr für die Belange ihrer Mitglieder streiken, wenn die EVG zufrieden ist. Nach Ansicht der GDL kommt das einem Streikverbot gleich.

Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG


Warum lehnt die GDL eine Schlichtung ab?

Das jüngste Angebot der Bahn sieht vor, dass der Konflikt von zwei Schlichtern moderiert wird. Sowohl Bahn als auch GDL bestimmen einen Schlichter, dem die jeweils andere Partei zustimmen muss. Die GDL lehnte das Bahn-Angebot am Mittwoch ab. Argument: Eine Schlichtung mache nur Sinn, wenn man über Inhalte wie Lohn und Arbeitszeiten verhandeln würde. Doch in dem Konflikt gehe es ja aktuell nicht darum, sondern um das Recht zu streiken, das im Grundgesetz verankert sei. „Über das Grundgesetz gibt es nichts zu schlichten“, sagt Weselsky. Wenn er aber der Meinung ist, dass die Kernfrage des Konflikts nicht mit den gängigen Mitteln eines Tarifkonflikts zu lösen ist, muss sich der GDL-Chef die Frage gefallen lassen, warum denn dann ausgerechnet der Streik für ihn ein probates Mittel ist. Hier betreibt Weselsky Rosinenpickerei. Die GDL mag ein sachlich nachvollziehbares Anliegen haben. Aber mit ihrer Art und Weise, wie sie die deutsche Bahn, die deutsche Wirtschaft und die deutsche Bevölkerung zu Geiseln ihrer Interessen macht, lässt jedes Augenmaß vermissen. Auch ein noch so hehres Ziel rechtfertigt nicht alle Mittel.


Warum klagt die Deutsche Bahn nicht?

Das Unternehmen könnte als Ultima Ratio versuchen, den 100-Stunden-Streik mit einer Klage beim Arbeitsgericht zu unterbinden. Warum tut sie das nicht? Ganz offenbar sieht der Vorstand keine großen Erfolgsaussichten. Personalvorstand Weber bewertete so ein Verfahren als „außerordentlich schwierig“.

Wie geht es nun weiter?

Die Bahn wartet darauf, dass das Tarifeinheitsgesetz von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles schnell umgesetzt wird. Der Entwurf liegt vor. Ab Mitte 2015 könnte dann in Deutschland folgendes Szenario gelten: Im Konfliktfall gilt in einem Betrieb der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. Die Deutsche Bahn hat 330 Betriebe. Die EVG befürchtet daher einen „Häuserkampf um jeden Betrieb“. Für EVG und GDL könnte nun jedes Mittel recht sein, sich selbst als die bessere Gewerkschaft zu positionieren, um möglichst viele Mitglieder zu gewinnen. Der 100-Stunden-Streik der GDL ist möglicherweise erst der Anfang eines Gewerkschaftskriegs. Nach Ansicht des Großteils der Kunden der Deutschen Bahn hat die GDL den Krieg moralisch aber sicherlich schon verloren.

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