GDL versus Deutsche Bahn Steht Deutschland vor dem härtesten Bahnstreik aller Zeiten?

GDL-Chef Claus Weselsky beim letzten Streik 2015 Quelle: dpa

Am 6. August endete eine Urabstimmung bei der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Die Zeichen stehen auf Streik – auch, weil die Organisation vor deutschen Arbeitsgerichten eine empfindliche Niederlagenserie einstecken musste.

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„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Die Verfügungsklage wird abgewiesen.“ So nüchtern und unmissverständlich hat das Arbeitsgericht Berlin vor Kurzem den Versuch der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) abgeschmettert, ihre Tarifverträge im gesamten Bahnkonzern durchzusetzen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung werde „zurückgewiesen“, heißt es in der Berliner Urteilsbegründung – und nicht nur dort. 

Das Bestreben der GDL, die Deutsche Bahn im Tarifstreit juristisch niederzuringen, endet für GDL-Chef Claus Weselsky mit einer herben Niederlagenserie. Die GDL hatte die Bahn seit Frühjahr bundesweit mit 29 Klagen überzogen. Die Richter wiesen in allen 29 Fällen die Anträge der GDL auf einstweilige Verfügung ab. Damit stehen die Zeichen auf Streik. Es könnte ein extrem langer und harter Arbeitskampf werden. Offiziell geht es Weselsky um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Bahnmitarbeiter. Inoffiziell dürfte er vor allem daran interessiert sein, einen Machtkampf zweier verfeindeter Gewerkschaften zu gewinnen.

Dabei gibt es zwei Konfliktlinien. Zum einen fordert die GDL übliche Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Zuletzt hatte die GDL rund drei Prozent für das Zugpersonal gefordert, angelehnt an einen Tarifabschluss des öffentlichen Dienste. Zum anderen ist die GDL überzeugt, dass ihre Tarifverträge auch trotz des seit April 2021 geltenden Tarifeinheitsgesetzes Gültigkeit haben sollten.

In der Klageserie wollte sich die GDL das Recht erstreiten, dass ihr Tarifvertrag auch dann in einem Betrieb der Bahn gültig sei, wenn die GDL dort weniger Mitglieder stellt als die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Beide Gewerkschaften vertreten unter anderem Lokführer und Zugbegleiter. Seit April 2021 verbietet das Tarifeinheitsgesetz konkurrierende Tarifverträge innerhalb eines Betriebs.

Das Arbeitsgericht in Berlin urteilte nun aber, dass die „vorgesehene Verdrängung des Minderheitstarifvertrages kraft Gesetzes“ rechtens sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass die GDL im Hauptsacheverfahren gewinnen würde, „sei hier nicht gegeben“. Die GDL könnte in allen Einzelfällen in Berufung gehen. Ob sie das tut, ist unklar. Eine Anfrage dazu ließ sie unbeantwortet.

Die juristische Niederlagenserie erhöht nun der Druck auf die GDL, die Option Streik in aller Härte zu verfolgen. Am Freitag läuft eine Urabstimmung ab, ob die Mitglieder der GDL für ihre tarifpolitischen Forderungen streiken wollen. Am Montag wird ausgezählt. Beobachter rechnen mit einer klaren Zustimmung. Arbeitsniederlegungen könnten ab Mitte August folgen. Der Vertrieb der Streikzeitung ist für den 16. August geplant, erfuhr die WirtschaftsWoche aus Bahnkreisen.

An und für sich liegt eine Annäherung der Parteien durchaus in greifbarer Nähe, doch der Wille zur Einigung scheint bei der GDL nicht sehr ausgeprägt. Es sei „bedauerlich, dass die GDL nicht an den Verhandlungstisch zurückkehrt“, sagt Bahn-Personalvorstand Martin Seiler. „Sollte die Gewerkschaft zum Streik aufrufen, wäre das eine unverhältnismäßige und unzumutbare Konfrontation zulasten der Kunden.“ Seiler weiter: „Wir haben zwei Angebote vorgelegt, aber nicht eine Minute lang hat die GDL versucht, ein ernsthaftes Gespräch mit uns zu führen.“

Im reinen Tarifkonflikt geht es tatsächlich mehr oder weniger nur um Details, etwa darum, ob ein Tarifvertrag 28 oder 42 Monate dauert. Selbst für die Entgeltforderung der GDL von insgesamt 3,2 Prozent scheint ein Kompromiss möglich. Angelehnt sind die Forderungen an den Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes 2020. Ein Moderator könnte schlichten, die GDL müsste nur einschlagen.



Auch die Tarifpluralität, also die Existenz von zwei Tarifverträgen für eine Berufsgruppe – was das Tarifeinheitsgesetz an sich ausschließt – wäre möglich.  „Wir sind gesetzlich verpflichtet, das Tarifeinheitsgesetz umzusetzen“, sagt Seiler. Die Bahn hat rund 300 unterschiedliche Betriebe, also juristische Einheiten wie GmbHs im Fern-, Regio- oder Güterverkehr, in denen nur ein Tarifvertrag gelten darf. In 16 Betrieben vertritt die GDL die Mehrheit der Beschäftigten – dort wäre ihr Tarifvertrag maßgeblich, sonst nirgends. Aber es gäbe die Möglichkeit auf eine Ausnahme, wenn alle Parteien mitspielen. „Wir haben jederzeit gesagt, dass wir mit GDL und EVG gemeinsam über Möglichkeiten diskutieren würden, wie wir eine Tarifpluralität in den Betrieben mittels einer Vereinbarung ausgestalten können“, erläutert Seiler. Eine geordnete Koexistenz beider Gewerkschaften sei möglich. „Man muss nur bereit sein, nach Wegen zu suchen. Die GDL verweigert sich.“

Tatsächlich fragen sich Beobachter, was GDL-Chef Weselsky wirklich vorhat. Viele glauben, dass es ihm allein um einen Machtkampf mit der verfeindeten EVG geht. Ein Streik wäre für ihn die Möglichkeit, Werbung in eigener Sache zu machen und sich als starker Gewerkschafter zu positionieren. Nach den Sommerferien beginnt in den Betrieben der Wahlkampf für die Betriebsratswahlen 2022.

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Dass es Weselsky ganz offensichtlich auch um andere Motive geht als nur um tarifpolitische Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Die GDL ist Ende 2020 mit 58 Forderungen in den Tarifkonflikt gegangen, die etwa auch die Forderung nach einer Zerschlagung des Konzerns und eine Abkehr vom Tarifeinheitsgesetz beinhaltete. Beide Bedingungen hat Weselsky inzwischen kassiert, der Forderungskatalog schmolz auf 27 Forderungen ab – wohl wissend, dass Gerichte den Arbeitskampf unter dem alten Forderungskatalog als politischen Streik hätten einordnen und verbieten können.

Mehr zum Thema: Paradiesische Zustände bei der Bahn? Die Arbeitsregelungen für Lokführer wirken großzügig. Ein Lokführer bei der Güterbahn DB Cargo widerspricht.  

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