Geldanlage Für den Traum von Disneyland das Ersparte opfern

Der Münchner Unternehmer Jürgen Freisler investierte fast eine Million Euro in Disneyland-Aktien. Rund 90 Prozent des Werts sind vernichtet. Nun streitet er mit dem Mutterkonzern Walt Disney.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Disneyland-Aktien: Jürgen Freisler investierte fast eine Million Euro. Quelle: REUTERS

Jürgen Freislers Liebling ist der Rock’n’Roller Coaster. Die Achterbahn im Walt Disney Studios Park in Paris schießt ihre Passagiere zum Start ins Dunkle und beschleunigt dabei in unter drei Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer. An diesem Sonntag ist sie die beliebteste Attraktion des Parks. Die Wartezeit beträgt 30 Minuten. Auf Schildern warnt der Betreiber, dass niemand mit Herz-, Nacken- oder Rückenproblemen oder mit hohem Blutdruck sich auf das Abenteuer einlassen sollte. Die Geschwindigkeit und die nahezu völlige Dunkelheit rauben sofort den Orientierungssinn. Schreie, nichts als gellende Schreie, dann ist nach einer Minute alles vorbei.

Jürgen-Freisler Quelle: Stefan Nimmesgern für WirtschaftsWoche

Der passionierte Rallyefahrer Freisler liebt diesen Rausch der Geschwindigkeit. Nach Paris fuhr er zuletzt dennoch mit gemischten Gefühlen, wie er sagt. Denn der Münchner ist nicht nur Disney- und Achterbahnfan, sondern auch langjähriger Aktionär von Euro Disney, der Betreibergesellschaft vom Pariser Disneyland und dem benachbarten Walt Disney Studios Park. Eine richtig wilde Fahrt bekam er auch an der Börse geboten. Nur hat sie ihm keinen Spaß gemacht. Vom Kurs zur Eröffnung des Disneylands vor 25 Jahren ist der Wert eines Anteils um sagenhafte 99 Prozent gesunken. Über die Jahre hat der Mann aus München rund eine Million Euro in die Aktie gesteckt und damit nahezu sein gesamtes Vermögen verloren.

Dafür wirkt er erstaunlich gefasst, als er an einem Frühlingstag in seiner Münchner Wohnung sitzt. Er trägt seine rubinrote Lesebrille, vor ihm liegt ein Ordner mit Briefwechseln, Geschäftsberichten und anderen Unterlagen zur Sache Euro Disney. Freisler durchforstet Material, um Briefe an die anderen Aktionäre und das Management zu schreiben. Die Zeit drängt. Er will verhindern, dass der amerikanische Mutterkonzern Walt Disney die Tochter komplett übernimmt. Zwei Euro je Aktie haben die Amerikaner den Minderheitsaktionären um Freisler geboten. Das Übernahmeangebot könnte der finale Akt einer desaströsen Börsengeschichte werden.

Jahrelang schrieb Euro Disney Verluste, die Aktionäre wie Freisler immer wieder mit frischem Geld ausglichen. Doch statt eines Dankeschöns bekommen sie nun von Walt Disney den Stuhl vor die Tür gestellt. Schon in den vergangenen Jahren haben die Amerikaner einen Großteil der Aktien eingesammelt, jetzt wollen sie auch noch den letzten bei Kleinaktionären verbliebenen Rest. Bis zum 23. Mai müssen die über das Angebot entscheiden. Für Freisler ist das alles ein schlechter Witz. Er sagt: „Ich kämpfe dagegen bis an mein Lebensende.“

Gutes Geld für einen schlechten Wert

Der Bayer macht sich Ende der Sechziger mit einem Fotolabor selbstständig. Das Labor läuft rund, der gelernte Fotograf hat zwischenzeitlich fünf Mitarbeiter und verdient gutes Geld. Er investiert in Immobilien, kauft sich ein Haus südlich von Berlin, eine Wohnung im Münchner Stadtteil Sendling sowie fünf Wohnungen im Pharao-Haus in München-Oberföhring. Heute fungiert er in dem dreiflügligen und steil zulaufenden Betonklotz mit 400 Wohnungen als Verwalter. Nebenbei steht der 70-Jährige immer noch regelmäßig im Fotolabor. Es ist im Erdgeschoss seines Wohnhauses untergebracht, nicht weit vom Pharao-Haus entfernt.

An der Wand hat der Tüftler handgeschriebene Notizzettel angebracht, die inzwischen angegilbt sind. So gut wie noch in den Siebziger- oder Achtzigerjahren läuft das Labor längst nicht mehr. Eine Kundin aus London ruft an diesem Vormittag trotzdem an. „Nein“, sagt Freisler in bayrisch angehauchtem Englisch, „heute entwickele ich nicht mehr, über die Ostertage haben wir offiziell geschlossen.“ Dann beeilt er sich aber zu sagen, dass er es trotzdem rechtzeitig schafft. Noch zehn Jahre müsse er im Labor stehen, dann könne er sich zur Ruhe setzen. Wäre er nicht irgendwann auf die Idee gekommen, in Euro-Disney-Aktien zu investieren – Freisler könnte in Rente sein.

Vergebliche Aussicht auf Dividenden

Zu der Aktie führt ihn der Zufall. Angestaubte Pokale auf einem Sideboard im Flur seines Hauses weisen ihn unter anderem als Gewinner der 4. ADAC Allgäu Rallye 1979 aus. Anfang der Neunziger ist sein Rallyeauto ein roter Toyota Corolla, den er bei einem Händler im niederbayrischen Falkenberg warten lässt. Jener Händler veranstaltet damals als Werbegag einen Benzinsparwettbewerb. Freisler macht mit und gewinnt als Prämie eine Reise ins noch junge Disneyland. Mit Nichte und Neffe macht er sich auf nach Paris. „Ich sah den Park und dachte: Wahnsinn, wie gut das funktioniert.“ Freisler fasziniert die Liebe zum Detail, mit der der Park gestaltet ist, er erkennt reichlich wirtschaftliches Potenzial. „Ich dachte, das sei eine Aktie, die mal eine gute Dividende bringen würde.“

Kursverlauf-und-ausstehende-Aktien-von-Euro-Disney

Zurück in München, macht er sich über die Aktie schlau. Die ist von der Eröffnung des Parks 1992 bis zu Freislers erstem Besuch schon kräftig gefallen – und passt deswegen in sein Beuteschema. „Ich bin bei Aktien nie eingestiegen, bevor sie nicht 50 bis 70 Prozent unter Höchstwert notierten.“ Mit anderen Papieren, etwa der Chase Manhattan Bank, hatte er auf diese Weise einige Erfolge erzielt, die er nun mit Euro Disney wiederholen will. Der Park braucht damals frisches Geld, als Retter steigt der saudische Prinz al-Walid bin Talal ein, Nummer 45 der „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt. Vertrauen in die Euro-Disney-Aktie schafft zudem, dass der damalige Kaufhof-Chef und Aktionärsschützer Jens Odewald im Aufsichtsrat sitzt. Einige Zeit nach seinem Besuch ordert Freisler Euro-Disney-Aktien für rund 10.000 D-Mark. Das karierte Blatt Papier, auf dem er die Käufe handschriftlich notiert, hat er noch heute.

Doch Euro Disney verbrennt Geld, auf die erhofften Dividenden wartet Freisler vergeblich. Zu schaffen machen dem Park vor allem Lizenzgebühren, die er an die Mutter Walt Disney abführen muss: fünf Prozent des Umsatzes mit Speisen, Getränken und Fanartikeln. Von den Eintrittsgeldern will die Muttergesellschaft sogar zehn Prozent sehen. Zum Vergleich: Der Betreiber der Legoland-Parks, Merlin Entertainments, führte im Geschäftsjahr 2015 nur gut zwei Prozent der Legoland-Umsätze als Lizenzgebühr an Lego ab.

Aktie: Walt Disney

Das Geld für Walt Disney fließt steuergünstig an eine Tochter in den Niederlanden. Doch es fließt nicht so üppig wie geplant. Von Mitte bis Ende der Neunziger muss Walt Disney auf die Lizenzgebühren der finanzschwachen Tochter verzichten. Es ist die einzige Zeit, in der der Park schwarze Zahlen schreibt. Weil die aber kleiner ausfallen als gedacht, bröckelt der Aktienkurs weiter. Freisler wittert gute Einstiegskurse. Er tut das, wovor jeder vernünftige Anlageberater warnt; er verkauft all seine anderen Aktien und investiert in noch mehr Euro-Disney-Papiere. „Irgendwann“, ist er sicher, „muss der Kurs ja mal drehen.“ Weitere Käufe finanziert er über Kredit. Wie im Rallyeauto gibt Freisler auch beim Investieren Vollgas. Die Aktie wird zur Herzensangelegenheit für den Disney-Fan, dessen Nutzername für die private Mailadresse „Happy Micky“ lautet.

Anfang des neuen Jahrtausends kehren bei Euro Disney die Gebühren an die Mutter zurück und damit die Verluste. Die Aktie sinkt, die Angst der Banken, mit deren Krediten Freisler die Käufe finanziert hatte, steigt. Sie stellen die Kredite fällig. Um die Insolvenz abzuwenden, verkauft Freisler Immobilien in München und Berlin, seine Altersvorsorge. Wobei: Das Wort „verkaufen“ kommt in seinem Wortschatz nicht vor. Freisler sagt stattdessen „hergeben“.

Ein Mann gegen einen Weltkonzern

Vor allem seine Frau Erke belastet der Verlust der Wohnungen. „Es gab sicher Spannungen zwischen uns, aber ich habe gut verdient und konnte mir trotzdem alles Nötige leisten“, sagt er. Seiner Frau verspricht er damals ein Klavier, wenn die Euro-Disney-Aktie wieder steigt. Sie sagt: „Ich habe das Klavier dann irgendwann selbst gekauft, es wäre sonst nie was geworden.“

Mit Euro Disney geht es weiter abwärts. Immer wieder geht dem Park das Geld aus, Restrukturierungen und Kapitalerhöhungen müssen her. Sie sind es, weswegen Freisler sich heute von Walt Disney belogen und bestohlen fühlt. Denn der Mutterkonzern verleibt sich im Zuge der Kapitalerhöhungen große Teile „seiner“ Euro Disney ein. Hielt die Mutter im Jahr 2004 noch rund 40 Prozent am Unternehmen, sind es heute über komplizierte Konstruktionen fast 90. Als Gegenleistung für die zusätzlichen 50 Prozentpunkte hat Walt Disney der Tochter vor allem Schulden erlassen: 800 Millionen Euro. Für Freisler ist das viel zu wenig.

Allein der Bau der Attraktionen und Gebäude sowie die Ausstattung der Parks haben mehr als vier Milliarden Euro verschlungen. Dem Unternehmen gehören heute 82 Prozent der Parks, dazu kommen sieben Hotels mit 5800 Zimmern und das Recht, auch die Umgebung des Disneylands zu erschließen. Wie viel dieses Vermögen abzüglich der Unternehmensschulden wert ist, ist die große Frage im Streit zwischen Weltkonzern Walt Disney und Kleinaktionär Freisler.

Schon vor zehn Jahren, nachdem Walt Disney Kleinaktionären zum ersten Mal Anteile abgejagt hat, wehrt sich Freisler mit Briefen ans Management. Das reagiert auf die detaillierte Kritik des Kleinaktionärs ungewöhnlich: Euro Disney schickt Freisler den damaligen Chef Karl Holz vorbei. Man trifft sich im Saal Sankt Moritz des Münchner Sheraton Hotels. Holz hat seinen Finanzvorstand und einen Dolmetscher im Schlepptau. Schon damals ahnt Freisler, dass Walt Disney die französische Tochter komplett übernehmen will, die Topmanager wiegeln jedoch ab.

2015 greift sich Walt Disney das nächste Stück vom Park, wieder gibt es Streit um den Preis. Ein von Euro Disney in Auftrag gegebenes Gutachten bescheinigt, die Attraktionen seien eng mit der Marke Disney verwoben, ein fairer Marktpreis des Parks deshalb nicht bestimmbar. Freisler hingegen schätzt den Wert auf drei Milliarden Euro. Auch der aktivistische Fonds Charity Investment Merger Arbitrage (Cima) geht davon aus, dass Walt Disney den Euro-Disney-Aktionären bei der Kapitalerhöhung 2015 nur ein Drittel des fairen Werts geboten habe, wie die französische Finanzzeitung „L’Agefi“ berichtet. Der Fonds legte Beschwerde ein, verlor jedoch in erster Instanz. Aktuell läuft der Einspruch dagegen vor dem obersten französischen Gericht – Ausgang offen.

Euro Disney selbst beziffert den Wert seiner Anlagen nur noch auf knapp 1,2 Milliarden Euro. Jüngst schrieb das Unternehmen noch mal satte 565 Millionen Euro auf Attraktionen, Gebäude und andere Vermögensgegenstände ab. Ungewöhnlich, sind die Hotels und Attraktionen doch ausweislich einer Unternehmensmitteilung „neu renoviert“. Beim letzten Werthaltigkeitstest 2014 hatte Euro Disney noch festgestellt, dass dieses Vermögen mehr wert war als in den Büchern ausgewiesen. Nun also soll es ein Drittel an Wert verloren haben.

Das sind die Analysten-Lieblinge 2017

Euro Disney begründet die Abschreibung mit den „schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Tourismusindustrie in Paris“ und dürfte damit vor allem die Terrorgefahr meinen. Im Disneyland war allerdings von Terrorangst 2016 bei Besucherzahlen von über 13 Millionen nicht viel zu spüren. Aktionär Freisler vermutet einen Trick, mit dem sich das Unternehmen künstlich arm rechnet, um den Aktienkurs zu drücken. Bei Kursen von etwas über einem Euro vor dem Bekanntwerden des Angebots scheint der von Disney gebotene Preis großzügig. Details zu der Abschreibung will Euro Disney nicht nennen.

Jürgen Freisler wird das Übernahmeangebot auf keinen Fall annehmen und will auch die anderen Aktionäre davon überzeugen. Er schreibt anderen langjährigen Anteilseignern Briefe. Allein um das Porto zu bezahlen, müsse er einen Teil seiner geliebten Aktien hergeben, sagt er. Dieses Opfer wird er bringen, wie so viele vorher schon. Unten in seinem Haus ist ein Zimmer eine Baustelle geblieben, im Garten wächst den Zwergen das Gras bis zum Bauchnabel. In der Einfahrt steht ein alter Renault Laguna Kombi mit 155.000 Kilometern auf dem Tacho.

Vieles hat Freisler dem Kampf gegen den Weltkonzern untergeordnet. Was er tun würde, wenn er all sein Geld nicht bei Euro Disney versenkt hätte? „Nicht viel anderes, ich habe kaum materielle Wünsche“, sagt er. Und dann doch nach kurzem Überlegen: „Ein schönes Rallyeauto würde ich mir vielleicht noch mal kaufen.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%