Am Mittwochmittag war bekannt geworden, dass bei der Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen mehr Deutsche ums Leben gekommen sind, als noch am Dienstag angenommen. Wie Germanwings-Chef Thomas Winkelmann mitteilte, waren 72 Bundesbürger an Bord, als der Airbus A320 am Dienstagmorgen an einem Hochgebirgsmassiv in Südfrankreich zerschellte. Zunächst hatte die Fluglinie von 67 Deutschen gesprochen, aber betont, dass sich die Zahl noch ändern könne.
Die Staatsanwaltschaft von Marseille hat mittlerweile Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung aufgenommen. Die Flugüberwachung habe kurz vor dem Unglück vergeblich versucht, Kontakt zu dem Airbus herzustellen, sagte Staatsanwalt Brice Robin.
Düsseldorfer Staatsanwälte übernahmen die deutschen Ermittlungen. Auch Experten der Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung sind in Frankreich im Einsatz. Das Bundeskriminalamt bereitet sich darauf vor, bei der Identifizierung der Opfer mitzuhelfen.
Minutenprotokoll des Germanwings-Unglücksflugs
Der Morgen beginnt mit einem Flug von Düsseldorf nach Barcelona. An Bord der Maschine reisen 122 Passagiere nach Spanien. Nach der Landung an der Mittelmeerküste werden keine Probleme bekannt.
Die Maschine startet auf dem Flughafen in Barcelona 26 Minuten später als geplant zurück in Richtung Deutschland.
Der Airbus A320 hat nach Angaben von Germanwings seine reguläre Flughöhe erreicht. Französische Medien berichten später, das Wetter sei gut gewesen.
Die Maschine geht nach Angaben der Fluggesellschaft für 8 Minuten in einen Sinkflug, der nicht mit der Flugsicherung abgesprochen ist. Dem Online-Dienst Flightradar24 zufolge sank die Maschine dabei mit einer Geschwindigkeit von 3000 bis 4000 Fuß - etwa 900 bis 1200 Meter - pro Minute, vergleichbar mit einem Landeanflug.
Aus dem Flugzeug wird nach ersten Angaben des französischen Verkehrsstaatssekretärs ein Notsignal gesendet, weil sich die Maschine in einer „unnormalen Situation“ befunden habe. Die französische Flugkontrolle teilt später aber mit, es habe keinen Notruf gegeben.
Die Radarverbindung bricht auf 6000 Fuß Höhe (ca. 1800 Metern) ab. Die Maschine ist im Estrop-Massiv rund 100 Kilometer nordwestlich von Nizza abgestürzt.
Nach einer Zwangspause in der Nacht nahmen die Bergungsmannschaften am Mittwoch ihre Arbeit wieder auf. Am Morgen starteten Hubschrauber zu der schwer zugänglichen Unglücksstelle, wo sich die Bergungsteams in das unwegsame Gelände abseilen müssen. Zugleich setzten rund 50 Spezialkräfte, die die Nacht in dem Bergmassiv in Biwaks verbracht hatten, ihren Aufstieg zum Absturzort fort.
Die Bergung der Opfer wird nach Einschätzung der Experten extrem schwierig werden. Für die Angehörigen wurde in Seyne-les-Alpes ein Ort der Stille eingerichtet, Dolmetscher waren vor Ort. Die Lufthansa will am Donnerstag weitere Hinterbliebene mit Sonderflügen nach Südfrankreich bringen.
So streng werden Flugzeuge auf Sicherheit geprüft
Verkehrsflugzeuge werden regelmäßig intensiv auf ihre technische Sicherheit überprüft, gewartet und überholt. Grundlage dafür sind gesetzliche Bestimmungen, Vorschriften der Behörden für Flugsicherheit, Garantiebedingungen der Flugzeughersteller und interne Regelungen der Fluggesellschaften selbst. Die Flugzeuge von Germanwings werden von Lufthansa Technik gewartet, einer der weltweit führenden Gesellschaften für technische Dienstleistungen an Flugzeugen. Es bestehe ein umfassender Wartungsvertrag.
Quelle: dpa
Alle 350 bis 750 Flugstunden muss ein Flugzeug zum A-Check. Er umfasst neben den allgemeinen Kontrollen im Inneren und an der Flugzeughülle weitere Service-Checks sowie Triebwerks- und Funktionskontrollen.
Detaillierter ist die Wartung des Flugzeuges beim C-Check. Er umfasst gründliche Kontrollen innen und außen sowie eine intensive Überprüfung von Strukturen (tragende Bauteile an Rumpf und Tragflächen) und Funktionen. Dabei suchen die Techniker zum Beispiel mit Ultraschallverfahren Risse in kritischen Bauteilen. Für den C-Check bleibt ein Flugzeug bis zu fünf Tage in der Wartungshalle. Der letzte C-Check für das Unfallflugzeug war im Sommer 2013.
Zwei bis vier Wochen dauert der IL-Check (Intermediate Layover Check) alle drei bis fünf Jahre. Dazu werden Großbauteile wie Landeklappen demontiert, um einen einfacheren Zugang zur Kontrolle der Rumpf- und Flügelstruktur zu erhalten. Parallel testen die Techniker zahlreiche Geräte und Systeme und reparieren sie bei Bedarf. Die Kabinenbauteile wie beispielsweise Sitze, Küchen oder Toiletten werden zudem komplett überholt und das Flugzeug gegebenenfalls neu lackiert.
Beim D-Check wird die Maschine ungefähr alle zehn Jahre völlig auseinandergenommen und Teil für Teil gründlich untersucht. Dabei werden Ultraschall- und Wirbelstromsonden eingesetzt. Diese Prüfungen decken Materialermüdung, Haarrisse oder sonstige Schäden auf. Wenn das Flugzeug nach rund vier Wochen das Dock wieder verlässt, ist nicht nur alles repariert oder ausgetauscht, was abnutzen kann. Vielmehr werden auch die vom Hersteller in den vergangenen Jahren herausgebrachten Produktverbesserungen bei Technik und Passagierkomfort eingebaut. Ein D-Check bedeutet 30.000 bis 50.000 Arbeitsstunden.
Der Airbus A320 war am Dienstag auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf mit 150 Menschen an Bord in der schwer zugänglichen Bergregion abgestürzt. Es handelt sich um eine der schwersten Katastrophen in der deutschen Luftfahrtgeschichte. Die internationale Anteilnahme ist groß; US-Präsident Barack Obama und Papst Franziskus sprachen den Angehörigen ihr Beileid aus.
Schülergruppe in der Unglücksmaschine
Die beim Absturz getöteten Schüler aus dem westfälischen Haltern waren für die verhängnisvolle Spanien-Reise ausgelost worden - weil es für die Teilnahme an dem Austauschtrip in die Nähe von Barcelona nach Angaben der Bezirksregierung mehr Bewerber als Plätze gegeben hatte. Mindestens einer der Schüler sei über die Nachrückliste zur Reisegruppe dazugestoßen.
Vor dem Joseph-König-Gymnasium im westfälischen Haltern erinnerte am Mittwochmorgen ein Lichtermeer an die 16 Schüler und zwei Lehrerinnen. „An unserer Schule wird nichts mehr so sein, wie es vorher war“, sagte Schulleiter Ulrich Wessel. „Gestern waren wir viele. Heute sind wir allein“, stand auf einem Schild auf dem Schulhof.
Das Bundesinnenministerium ordnete Trauerbeflaggung an allen Bundesbehörden an. Auch in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern wehen die Fahnen an Dienstgebäuden auf halbmast. Im Bundestag soll am Donnerstag der Opfer des Unglücks gedacht werden. Neben den deutschen waren auch Passagiere aus Spanien, Australien, Argentinien, Iran, Venezuela, den USA, Großbritannien, Niederlande, Kolumbien, Mexiko, Japan, Dänemark, Belgien und Israel an Bord.
24 Stunden nach dem Absturz wurde am Mittwoch um 10.53 Uhr mit einer Gedenkminute auf deutschen Flughäfen an die Opfer erinnert. Weltweit beteiligten sich Mitarbeiter von Germanwings, Lufthansa und anderen Fluggesellschaften. Auch das Bundeskabinett in Berlin legte eine Schweigeminute ein.
Germanwings strich am Dienstagabend zahlreiche Flüge. Etliche Besatzungen waren nicht zum Dienst gekommen. Auch am Mittwoch erklärten sich mehrere Crews für nicht einsatzbereit. Grund sei „der Schockzustand sowohl beim Kabinen- wie beim Cockpitpersonal“, sagte ein Sprecher der Fluggesellschaft. Am Mittwoch strich die Fluglinie nur einen einzigen Flug, ihren Flugbetrieb stemmte sie mit Hilfe der Konkurrenz.
Dass ein Teil des Germanwings-Personals es vorerst ablehne, mit einer Maschine des verunglückten Typs zu fliegen, „darauf haben wir keine Hinweise“, sagte der Sprecher der Fluglinie. Schon am Dienstagabend hatte der Lufthansa-Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr versichert, der verunglückte Airbus der Tochter Germanwings sei „in hervorragendem technischen Zustand“ gewesen. Einen Zusammenhang zwischen dem Absturz und einer Reparatur der Maschine am Tag zuvor schloss Spohr aus.
Mit Material von dpa