Germanwings Flug 4U9525 Schwierige Suche nach Opfern der Flugzeugtragödie

Bei einem der schwersten Abstürze in der deutschen Luftfahrtgeschichte sind wahrscheinlich alle 150 Menschen an Bord gestorben. Die Bergungsaktion nach dem verheerenden Airbus-Absturz könnte zur Geduldsprobe werden.

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Nach dem Airbus-Absturz in den französischen Alpen müssen sich die Einsatzkräfte auf eine langwierige Sache nach den Opfern einstellen. Wegen der Abgelegenheit und Unwegsamkeit des Unglücksorts dürften die Bergungsarbeiten eine Woche andauern, sagte der Leiter des örtlichen Rettungsdiensts, Jean-Marc Meninchini. Seit dem Morgen sind Rettungskräfte und Experten wieder vor Ort im Einsatz. In der Nacht waren die Bergungsarbeiten unterbrochen worden.

Die Bundeswehr hat den französischen Behörden inzwischen ihre Unterstützung angeboten, falls Hilfe an der Absturzstelle der Germanwings-Maschine benötigt wird. Sie könnte beispielsweise Hubschrauber oder Gebirgstruppen beisteuern. "Wir sind hier im Hochgebirge“, sagt Polizeichef David Galtier über den Unfallort. Er koordiniert die mehr als 500 Einsatzkräfte - und bleibt kurz angebunden. Der Einsatz hat Priorität. In der Nacht hatte es geschneit, was die Suche zusätzlich erschweret. Am Unfallort gab es am Vorabend noch rauchende Trümmerteile. „Man muss mit äußerster Vorsicht vorgehen“, sagt Galtier.

Alle 150 Menschen an Bord sind bei dem Absturz am Dienstag wohl ums Leben gekommen, unter ihnen vermutlich 67 Deutsche. Es ist einer der schwersten Unfälle in der deutschen Luftfahrtgeschichte. „Das Wichtigste ist, das Gebiet abzusichern und die Körper zu bergen“, sagt Galtier.

Es gibt jedoch keine Hoffnung mehr, Überlebende zu finden. Die Wucht des Aufpralls des Flugzeugs des Typs A320 gebe dazu nach Ansicht des französischen Innenministers Bernard Cazeneuve kaum Anlass, dass noch einer der 150 Menschen an Bord am Leben sei. „Es gibt keinen Überlebenden“, zitierte die Zeitung „Le Figaro“ den französischen Verkehrsstaatssekretär Alain Vidalies. Der Präsident des Generalrats des Départments Haute Alpes-de-Haute-Provence, Gilbert Sauvan, sagte: „Alles ist pulverisiert. Das größte Trümmerteil hat die Größe eines Kleinwagens. Niemand kann die Absturzstelle vom Boden aus erreichen.“

Die verschneite Absturzstelle nahe dem Dorf Meolans-Revel am Fuße der französischen Alpen ist schwer zugänglich. Die Bergung der Leichen wird daher nach Angaben der Polizei voraussichtlich mehrere Tage dauern. Am Dienstagabend waren rund 50 Spezialkräfte zu Fuß von Seyne-les-Alpes gestartet, um zur Unglücksstelle vorzudringen. Sie hätten über Nacht biwakiert - bei Temperaturen um oder unter dem Gefrierpunkt.

Inzwischen werden Angehörige der Opfer in dem 1500-Seelen-Ort erwartet. Sie werden psychologisch betreut, sagte Innenministeriumssprecher Pierre-Henri Bardet. Für sie wurde eine Art Kapelle eingerichtet - ein Ort zum Trauern. Gegen Mittag wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy und Frankreichs Präsident François Hollande vor Ort erwartet.

An Board waren auch 67 Deutsche

Der geborgene Stimmenrekorder des Flugzeugs ist beschädigt. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve sagte am Mittwoch dem Radiosender RTL, das Gerät, das Gespräche in der Pilotenkanzel aufzeichnet, sei aber noch benutzbar. Experten versuchen, die Daten auszuwerten. Der Stimmrekorder war wenige Stunden nach dem Absturz am Dienstag geborgen worden. Nach dem zweiten Teil der sogenannten Blackbox, dem Flugdatenschreiber, wird noch gesucht.

Das Flugzeug war auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf abgestürzt. An Bord waren vermutlich 67 Deutsche, zahlreiche Spanier sowie Passagiere aus Australien, Japan, Dänemark, der Türkei und den Niederlanden.Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich nach der Ankunft am Ort des Flugzeugabsturzes erschüttert: "Vor Ort zeigt sich ein Bild des Grauens. ... Die Trauer der Familien und Angehörigen ist unermesslich." Alle müssten den Hinterbliebenen jetzt gemeinsam beistehen.

An Bord der verunglückten Maschine waren 144 Passagiere, darunter zwei Babys, zwei Piloten und vier Flugbegleiter, wie der Sprecher der Germanwings-Geschäftsführung, Thomas Winkelmann, auf einer Pressekonferenz erklärte. Unter den Passagieren befanden sich vermutlich insgesamt 67 deutsche Staatsbürger und 45 Spanier. Die Angaben zur Herkunft der Passagiere stehen laut Germanwings jedoch noch nicht endgültig fest. Derzeit könne man keine endgültigen Zahlen zu den Nationalitäten bekanntgeben, sagte Germanwings-Chef Thomas Winkelmann in einer zweiten Pressekonferenz am Abend in Köln. Zur Absturz-Ursache äußerte sich Winkelmann weiter nicht.

Das ist die Unglücksmaschine A320

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geht davon aus, dass zahlreiche Opfer des Germanwings-Absturzes aus ihrem Bundesland kommen. "Noch ist die Herkunft von allen Passagieren nicht geklärt. Aber es steht zu vermuten, dass eine größere Zahl aus Nordrhein-Westfalen stammt", sagte sie in Düsseldorf. "Wir trauern um alle Opfer."

Der Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Haltern am See, Bodo Klimpel, bestätigte, dass 16 Schülerinnen und Schüler eines Spanischkurses des zehnten Jahrgangs sowie zwei Lehrerinnen des Gymnasiums im Flugzeug saßen. Sie hätten sich auf dem Rückweg von einem Schüleraustausch befunden. Der mit den Tränen ringende Bürgermeister spricht vom "schwärzesten Tag" in der 725-jährigen Geschichte der Stadt. Die Bewohner befänden sich im Schockzustand.

Der Kontakt zu dem abgestürzten Flugzeug soll um 10.53 Uhr abgerissen sein - auf einer Höhe von 6000 Fuß. Der Airbus mit der Flugnummer 4U9525 ist um 10.01 Uhr in Barcelona gestartet. Die Maschine sei mit einer Geschwindigkeit von 3000 bis 4000 Fuß - etwa 900 bis 1200 Meter - pro Minute heruntergegangen. Das sei vergleichbar mit dem Standard bei Landeanflügen. Der Sinkflug dauerte ungefähr acht Minuten. Bisher gibt es allerdings keine Erkenntnisse dazu, warum die Maschine in den Sinkflug gegangen ist, ohne die Flugüberwachung vorher zu informieren. Die französische Flugaufsicht erklärt, dass von dem Flugzeug kein Notruf abgesetzt worden sei. Stattdessen hätten dann die Fluglotsen eine Notsituation erklärt.

Nach dem Absturz hatte Germanwings am Dienstag zahlreiche Flüge gestrichen. Etliche Besatzungen hatten ihren Dienst nach Angaben der Muttergesellschaft Lufthansa nicht angetreten.

Minutenprotokoll des Germanwings-Unglücksflugs

„Einige haben ihren Dienst aus persönlichen Gründen nicht angetreten, aber nicht aus Sorge, dass da was im Argen liegt“, sagte die Lufthansa-Sprecherin. In der Folge hätten sieben Flüge in Düsseldorf gestrichen werden müssen, sagte Chef des Mutterkonzerns Lufthansa, Carsten Spohr. Er zeigte Verständnis für die Sorgen der Angestellten. Man dürfe nicht vergessen, dass viele Germanwings-Crewmitglieder Kollegen gekannt hätten, die an Bord der Unglücksmaschine gewesen seien.

Maschine planmäßig durch alle Checks gegangen

Eine Lufthansa-Sprecherin in Frankfurt bestätigte am Dienstag, dass der abgestürzte Airbus A320 am Tag vor der Katastrophe wegen eines technischen Problems repariert worden sei. Der letzte Routinecheck der Maschine war laut Germanwings erst am Montag in Düsseldorf. Der letzte große reguläre Check sei plangemäß im Sommer 2013 durchgeführt worden. Der Pilot der Unglücksmaschine war seit zehn Jahren bei Lufthansa und Germanwings beschäftigt und hatte mehr als 6000 Flugstunden Erfahrung auf diesem Modell des Airbus, berichtete Germanwings und von Airbus hieß es, die A320-Maschine habe insgesamt fast 58.300 Flugstunden absolviert auf rund 46.700 Flügen.

Suche nach der Absturzursache

Lufthansa-Chef Carsten Spohr rechnet mit schnellen Erkenntnissen über die Ursache des Absturzes der Germanwings-Maschine in Südfrankreich. Er sei froh, dass der erste Flugschreiber bereits gefunden worden sei, sagte er in den ARD-"Tagesthemen" am Dienstagabend. "Ich gehe davon aus, dass wir sicherlich relativ schnell erste Informationen bekommen werden, was die Absturzursache war", ergänzte der Lufthansa-Chef. Die detaillierte Auswertung werde dann sicherlich länger dauern. Für Äußerungen über eine mögliche Ursache des Absturzes sei es derzeit aber noch zu früh.

Schlechtes Wetter war wohl nicht die Ursache für den Absturz, so französische Medien. Das Wetter sei ruhig gewesen, berichtete die Zeitung „Le Monde“ unter Berufung auf die Wetterdienste „La Chaîne Météo“ und „Météo France“. „Die Bedingungen waren sogar optimal mit trockenem Wetter und komplett freiem Himmel am ganzen Vormittag“, hieß es am Dienstagnachmittag auf der Webseite von „La Chaîne Météo“. Der Wind sei schwach gewesen und es habe keine gefährlichen Wolken gegeben.

Schwere Flugunglücke der vergangenen Jahre

Steinmeier und Dobrindt auf dem Weg zur Unglücksstelle

Bundespräsident Joachim Gauck hat wegen des Flugzeugabsturzes seine Südamerikareise abgebrochen. Der für Mittwoch und Donnerstag geplante Staatsbesuch in Uruguay wurde abgesagt, wie eine Sprecherin in Peru erklärte. Dort hielt sich Gauck seit vergangenem Freitag auf. Für den Abend war ursprünglich der Weiteflug nach Montevideo geplant.

Vor Journalisten sagte Gauck: „Ich bin bestürzt, wie unendlich viele Menschen bei uns zuhause, und ich stelle mir vor, welche Trauer, welches Entsetzen und welches Leid in den Familien herrschen, die betroffen sind. Ich bin bei Ihnen mit meinen Gedanken und meinen Gefühlen.“

Im Auswärtigen Amt wurde ein Krisenstab eingerichtet. Dort laufen die Fäden zusammen. Beteiligt sind unter anderem das Verkehrsministerium, das Luftfahrtbundesamt, das Bundeskriminalamt und die Lufthansa. Unter der Rufnummer 030 5000 3000 können sich besorgte Angehörige informieren. Der Flughafen Düsseldorf hat eine Hotline unter der Rufnummer 0800-7766350 eingerichtet, an die sich die Angehörigen wenden können. Germanwings hat die Hotline-Nummer 00800-11 33 55 77.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, das Auswärtige Amt stehe „in engstem Kontakt“ zu den französischen Behörden. „In diesen schweren Stunden sind unsere Gedanken bei all denjenigen, die darum fürchten müssen, dass ihre Angehörigen unter den Passagieren oder Besatzungsmitgliedern sind“, so Steinmeier. Steinmeier und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) machten sich mit einem Regierungsflugzeug auf den Weg nach Marseille. Von dort ging es mit einem Hubschrauber weiter zur Unglücksstelle.

Unglücke mit Airbus-Maschinen in den vergangenen Jahren

Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte sowohl mit dem französischen Präsidenten François Hollande als auch mit dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy - und zeigte sich tief erschüttert. Die Kanzlerin habe alle Termine abgesagt, teilte die Bundesregierung mit. "Meine Gedanken, meine Anteilnahme, auch die der ganzen Bundesregierung sind jetzt bei den Menschen, die so jäh ihr Leben verloren haben, unter ihnen viele Landsleute. Das Leiden ihrer Familien ist jetzt unermesslich", sagte die Kanzlerin. Sie will Mittwoch gemeinsam mit der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zur Absturzstelle reisen, wo dann auch Hollande und Rajoy erwartet werden.

Das spanische Königspaar Felipe VI. und Letizia sagte seinen gerade begonnenen Staatsbesuch in Frankreich ab. Die spanische Regierung hat eine offizielle Trauer von drei Tagen angeordnet. Die Trauer solle in der Nacht zum Mittwoch beginnen. Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel teilte im sozialen Netzwerk Facebook mit: "Das sind fürchterliche Nachrichten, die uns in diesen Stunden aus Frankreich erreichen. Wir alle sind fassungslos angesichts dieser schrecklichen Katastrophe, die so viele Menschen aus dem Leben gerissen hat. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und den Angehörigen. Ihnen gilt unser Mitgefühl. Sie brauchen jetzt jede mögliche Unterstützung. Ganz persönlich und im Namen der deutschen Sozialdemokratie drücke ich meine tiefe Trauer aus."


"Ein schwarzer Tag für die Lufthansa"

Auch der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, äußerte sich tiefbetroffen und sprach Familien und Freunden der Opfer im Namen des Europäischen Parlaments seine aufrichtige Anteilnahme aus: "Diese Tragödie und der Verlust an Menschenleben machen uns alle tief betroffen", sagte Schulz. Bei der Eröffnung der Plenarsitzung werde das Europäische Parlament am Mittwoch den Opfer mit einer Schweigeminute gedenken.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, reagierte „mit großer Bestürzung und tiefem Schmerz“ auf die Nachricht des Absturzes. „Die unfassbare Tragödie lässt Worte versagen. Deshalb rufe ich zum Gebet für Opfer und Angehörige auf. Erbitten wir für sie Gottes Beistand und Trost“, sagte er am Dienstag. „Wir gedenken der Opfer dieses Unglücks, das Menschen plötzlich und unerwartet mitten aus dem Leben gerissen hat.“

Lufthansa, Air Berlin und die Ferienfluggesellschaft Condor wollen ihre A320-Maschinen nach eigenen Angaben vorerst weiter starten lassen. Zunächst müsse die Absturz-Ursache geklärt sein, hieß es am Dienstag auf Anfrage. „Im Moment ist nichts anderes geplant“, sagte auch eine Sprecherin der Lufthansa-Tochter Swiss Air. Der Ferienflieger Tuifly hat keine A320-Maschine im Betrieb.
Die Maschine vom Typ A320 hat in der Basisausstattung 180 Sitze. Germanwings ist eine Tochtergesellschaft der Deutschen Lufthansa AG. Gemeinsam mit der Flotte der Lufthansa-Tochter Eurowings soll sie künftig Direktverkehre in ganz Europa anbieten.

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