
Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in Frankreich suchen die Ermittler weiter nach den Ursachen. Aus dem Stimmenrekorder der Maschine wurden am Mittwoch erste Daten gesichert, deren Analyse aber noch aussteht. Die Ursache für das Unglück bleibt bislang ungeklärt.
Das Wichtigste in Kürze:
- Der Airbus A320 ist am Dienstag um 10.01 Uhr mit 150 Menschen an Bord in Barcelona gestartet. Nach bisherigem Kenntnisstand waren 72 Deutsche an Bord. Kurz nach dem Erreichen der regulären Reiseflughöhe ging die Maschine ohne Hinweis an die französische Flugkontrolle oder ein Notsignal in einen Sinkflug über.
- Das Flugzeug zerschellt am Dienstagvormittag in den französischen Alpen bei Seyne-les-Alpes, es gibt keine Überlebenden.
- Ermittler haben am Mittwoch auswertbare Daten aus dem ersten Flugschreiber, dem Stimmrekorder aus dem Cockpit, sicherstellen können. Die Audiodatei ist laut BEA-Direktor Remi Jouty verwertbar, muss aber noch analysiert werden.
Derweil gibt es übereinstimmende Medienberichte der "New York Times" und der Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf nicht näher genannte Ermittler, dass zum Zeitpunkt des Absturzes der Germanwings-Maschine nur ein Pilot im Cockpit gewesen sei. Dies soll aus den Aufnahmen des bereits gefundenen Sprachrekorders hervorgehen.
Die Fakten zum Germanwings-Absturz
Der Airbus A320 ist am Dienstag um 10.01 Uhr mit 150 Menschen an Bord in Barcelona gestartet. Kurz nach dem Erreichen der regulären Reiseflughöhe von 38.000 Fuß (11,5 Kilometer) ging die Maschine ohne Hinweis an die französische Flugkontrolle oder ein Notsignal in einen schnellen Sinkflug über. Das Flugzeug zerschellte in den französischen Alpen. Die Maschine flog bis zum Aufprall, ohne dass es eine Explosion gab, wie die französische Untersuchungsbehörde BEA mitteilte.
An Bord der Maschine waren 150 Menschen, darunter nach jüngsten Informationen 72 Deutsche und 50 Spanier. Weitere Opfer stammen nach Angaben von Regierungen und Germanwings offenbar aus den USA, Großbritannien, Kasachstan, Argentinien, Australien, Kolumbien, Mexiko, Venezuela, Japan, den Niederlanden, Dänemark, Belgien und Israel.
Die Germanwings-Maschine verunglückte in den französischen Alpen nahe der kleinen Ortschaft Seyne-les-Alpes. Die Bergung der Wrackteile ist schwierig. Das Gelände an der Unglücksstelle ist zerklüftet und nur schwer zugänglich. Weil die Maschine mit hoher Geschwindigkeit auftraf, sind die Trümmerteile sehr klein und weit verstreut.
Die Bergung der Opfer wurde am 31. März abgeschlossen. Das Kriminalinstitut der französischen Gendarmerie erklärte, die eigentliche Identifizierung, also die Zuordnung zu den Vergleichsdaten der Angehörigen, könne zwei bis vier Monate dauern.
Die Ermittler haben bereits auswertbare Daten aus dem ersten Flugschreiber, dem Stimmrekorder, sichergestellt und ausgewertet. Laut der französischen Staatsanwaltschaft war zum Zeitpunkt des Absturzes nur der Co-Pilot im Cockpit. Der Stimmrekorder hat bis zuletzt Atemgeräusche im Cockpit aufgezeichnet, der Co-Pilot war also am Leben. In den letzten Minuten, bevor der A320 an einer Felswand zerschellte, zeichnete der Rekorder auf, wie der ausgesperrte Kapitän und die Crew von außen gegen die Cockpit-Tür hämmern. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass der Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz brachte.
Der zweite Flugschreiber, der detaillierte Flugdaten aufzeichnet, wurde bislang nicht gefunden.
Der Mittelstreckenflieger A320 hatte seinen Jungfernflug 1987 und wurde ein Jahr später erstmals von Airbus an Kunden ausgeliefert. Seither hat er sich in verschiedenen Varianten zum meistverkauften Passagierjet von Airbus entwickelt. Bis Ende Februar hatte der Hersteller von seiner absatzstärksten Modellfamilie knapp 6500 Maschinen an die Kunden überstellt.
Die Unglücksmaschine war seit mehr als 24 Jahren im Einsatz, verfügte laut Auskunft der Lufthansa jedoch über neueste Technik und habe alle Sicherheitsanforderungen erfüllt. Noch einen Tag vor der Katastrophe sei der Flieger einem Routinecheck unterzogen worden.
Der Kapitän des abgestürzten Flugzeugs galt als erfahren. Er hatte seit mehr als zehn Jahren für Germanwings und Lufthansa gearbeitet. Auf dem Modell Airbus hatte er mehr als 6000 Flugstunden absolviert.
Zu den Geschehnissen im Cockpit der Germanwings-Maschine sagte der Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Es gab ein technisches Briefing zum weiteren Flugverlauf. Dann hat der Pilot dem Co-Piloten das Steuer überlassen.“ Zum Verlassen des Cockpits durch den Kapitän sagte Spohr: „Der Kollege (Pilot) hat vorbildlich gehandelt, er hat das Cockpit verlassen, als die Reiseflughöhe erreicht war.“
Der Co-Pilot der Unglücksmaschine war seit 2013 bei der Lufthansa-Tochter beschäftigt. Zuvor hatte er seit etlichen Jahren für den Konzern gearbeitet, auch als Flugbegleiter. Vor sechs Jahren gab es eine mehrmonatige Unterbrechung der Pilotenausbildung, danach wurde die Eignung des Mannes nach allen Standards überprüft. „Er war 100 Prozent flugtauglich. Ohne jede Auffälligkeit“, sagte Spohr.
Ermittler durchsuchten auf Bitte der französischen Justiz zwei Wohnungen des Co-Piloten. Dort wurde eine zerrissene Krankschreibung gefunden, die auch den Tag des Absturzes umfasste. Der 27-Jährige war vor mehreren Jahren - vor Erlangung des Pilotenscheines - über einen längeren Zeitraum wegen Depressionen und Selbstmordgefährdung in psychotherapeutischer Behandlung.
Quellen: dpa, reuters, sha, jre
Jedoch konnten bis zum frühen Donnerstagmorgen weder die Lufthansa, noch Germanwings, noch die französische Ermittlerbehörde BEA diese Berichte bestätigen: „Wir haben derzeit keine Informationen vorliegen, die den Bericht der „New York Times“ bestätigen“, sagte ein Lufthansa-Sprecher am Donnerstagmorgen. Man werde sich bemühen, weitere Informationen zu bekommen und „sich nicht an Spekulationen beteiligen“. Nahezu wortgleich äußerte sich auch Germanwings in einer schriftlichen Erklärung. „Die Ermittlung der Unfallursache obliegt den zuständigen Behörden“, hieß es zudem. Auch von der französischen Untersuchungsbehörde BEA war in der Nacht zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. BEA-Direktor Jouty mahnte am Mittwochabend, es sei zu früh, Schlussfolgerungen zu ziehen, und lehnte Mutmaßungen über eine Absturzursache ab.
In den unbestätigten Berichten heißt es unter Berufung auf Angaben der mit den Untersuchungen vertrauten Ermittler, dass einer der Piloten vor dem Sinkflug das Cockpit verlassen und anschließend vergeblich versucht habe, die Tür zu öffnen, um wieder ins Cockpit zu kommen. „Der Mann draußen klopft leicht an die Tür, aber es gibt keine Antwort“, zitiert die "New York Times" einen Ermittler. „Dann klopft er stärker an die Tür, und wieder keine Antwort." Anschließend könne man hören, wie er versuchte, die Tür einzutreten.
Warum ein Pilot das Cockpit verließ und warum das Flugzeug in den Sinkflug ging, ist nach wie vor unklar. Zu Beginn des Fluges soll eine "sehr entspannte" Unterhaltung auf dem Sprachrekorder zu hören sein. „Dann hört man das Geräusch, wie ein Sitz zurückgeschoben wird, eine Tür, die sich öffnet und wieder schließt, Geräusche, die darauf hindeuten, dass jemand gegen die Tür klopft. Und von diesem Moment an bis zum Crash gibt es keine Unterhaltung mehr“, sagt der Ermittler. Zuvor hätten sich die beiden Piloten auf Deutsch unterhalten.
Die Tür zum Cockpit im A320 ist die vielleicht sicherste Barriere im ganzen Flugzeug. Nach den Flugzeugentführungen des 11. September 2001 haben die USA verschärfte Sicherheits-Standards eingeführt, die die Lufthansa übernommen hat. Den Vorschriften zufolge dürfen die Crew-Mitglieder keine Schlüssel für den Zugang zum Cockpit benutzen, die sich Passagiere gewaltsam aneignen könnten. Aus dem Handbuch des Fliegers geht hervor, dass sich die Tür im Notfall eigentlich über die Nummerntastatur von außen öffnen lassen soll. Wie die Türen funktionieren, lesen Sie hier:
Erste Opfer geborgen
Beim Crash der Germanwings-Maschine in einer unwegsamen Bergregion in den französischen Alpen waren am Dienstag alle 150 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Die Maschine war auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf, als sie minutenlang an Flughöhe verlor und schließlich an dem Bergmassiv zerschellte.
Am Mittwoch wurden die ersten Opfer geborgen. Sterbliche Überreste der Getöteten seien am späten Mittwochnachmittag von der Unglücksstelle weggebracht worden, bestätigte ein Polizeisprecher in Digne.
Er ließ offen, wie viele Leichen geborgen wurden. Kleinteilige Trümmer des Airbus A320 lagen weit verteilt in dem abgelegenen Tal bei Seyne-les-Alpes. Die Suche nach den Getöteten war am Abend mit Einbruch der Dunkelheit eingestellt worden und soll am Donnerstag weitergehen. Neben der Suche nach dem zweiten Flugschreiber arbeiten die Bergungskräfte an der Ortung der Opfer.
Zugleich ging die Suche nach dem zweiten Flugschreiber in dem Trümmerfeld weiter. Ohne dessen Daten dürfte die Ermittlung der Absturzursache äußerst schwierig werden. Die Daten werden dringend benötigt, um sie mit denen des Stimmrekorders überein zu bringen und so den genauen Verlauf der letzten Minuten an Bord rekonstruieren zu können.
Warum Flugschreiber so wichtig sind
Der Flugdatenschreiber wird trotzt seiner orangenen Signalfarbe häufig Blackbox genannt. Er wird seit wird seit der Mitte der 50er Jahre in alle Flugzeuge eingebaut und zeichnet die relevante Flugdaten auf – darunter Kurs, Geschwindigkeit, Flughöhe und Neigungswinkel der Maschine. Die GPS-Daten ermöglichen die Rekonstruktion des Unglücks, wenn von der stationären Luftüberwachung am Boden nur unzureichenden oder gar keine Daten gibt.
Der Voice Recorder (CVR) zeichnet während des Flugs Geräusche und Gespräche im Cockpit auf. Die Auswertung dieser Daten kann helfen, die letzten Minuten im Cockpit zu rekonstruieren. Im Falle der abgestürzten Germanwings-Maschine könnten die Informationen wichtige Hinweise liefern. Denn obwohl sich der Flieger minutenlang im Sinkflug befand, meldeten sich die Piloten offenbar nicht bei der Luftüberwachung.
Das Gehäuse der Flugeschreiber ist gebaut, um auch Abstürze aus großer Höhe zu überstehen. Es hält zudem starken Wasserdruck in der Meerestiefe und hohen Temperaturen stand. Damit die Box auch nach langer Zeit geortet werden kann, gibt sie über Monate ein Positionssignal ab.
In Deutschland ist die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig für die Auswertung zuständig. Dort gibt es ein Avionik-Labor, in dem Flugdatenschreiber nach Angaben von BFU-Pressesprecher Germout Freitag zur Auswertung an spezielle Computer angeschlossen werden können.
Auch die Trümmer der Maschine sollen soweit möglich geborgen werden - auch sie könnten Aufschluss über die Ursache des Unglücks geben.
In der Nacht sollten erneut einige Spezialkräfte am Unfallort die Stellung halten und den Ort absichern. Im Laufe des Tages werden Angehörige von Opfern in dem Gebirgsort erwartet.
Nach Angaben von Germanwings-Chef Thomas Winkelmann waren 72 Deutsche an Bord der Unglücksmaschine. Aus Spanien stammten nach Angaben aus Regierungskreisen in Madrid 51 Opfer. Germanwings sprach hingegen zuletzt von 35 spanischen Bürgern. Alle Zahlen seien jedoch vorläufig, betonte Germanwings. Durch doppelte Staatsbürgerschaften wird die Zuordnung der Nationalitäten erschwert.
Das Bundesinnenministerium ordnete Trauerbeflaggung an allen Bundesbehörden an. Im Bundestag soll am Donnerstag der Opfer des Unglücks gedacht werden. Neben den deutschen und spanischen Passagieren waren auch Menschen aus Australien, Argentinien, Iran, Venezuela, den USA, Großbritannien, Niederlande, Kolumbien, Mexiko, Japan, Dänemark, Belgien und Israel an Bord.
Etliche Germanwings-Besatzungen erklärten sich am Mittwoch für nicht einsatzbereit. Winkelmann wies allerdings Berichte zurück, diese hätten aus Sorge um die technische Zuverlässigkeit der Flugzeuge den Dienst verweigert. „Wir haben Crews, die sich aus emotionalen Gründen nicht in der Lage fühlen, zu fliegen, weil sie unter Schock stehen und in tiefer Trauer sind“, sagte Winkelmann. „Aber das hat nichts mit dem technischen Zustand irgendeines Lufthansa oder Germanwings-Flugzeugs zu tun.“