Schwere Störung – das ist mit die dramatischste Beschreibung für einen Flug-Zwischenfall, der nicht mit einem Absturz endete. Und genau mit diesen Worten beschreibt die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) jenes Ende eines Flugs der Lufthansa-Tochter Germanwings, der im Dezember 2010 laut einem Bericht des obersten Ermittlers in Sachen Flugsicherheit in Deutschland offenbar fast in einer Katastrophe geendet hätte.
Denn wegen eines Giftes in der Atemluft war von den beiden Piloten einer quasi außer Gefecht gesetzt – oder, wie es die BFU ausdrückt: "spürte, dass er die anfallenden Informationen nicht mehr verarbeiten konnte" – und der andere bereits "am Ende seiner Leistungsfähigkeit". Obwohl die Piloten Atemmasken trugen, hatten sie deutlich zu wenig Sauerstoff im Blut. Mit anderen Worten: Noch ein paar Minuten länger, und das Flugzeug wäre führerlos gewesen.
Doch da fangen die Fragen erst an. Und sie richten sich sowohl an den Lufthansa-Konzern, als auch an die Aufsichtsbehörde.
Verharmlosender Bericht
Dass Germanwings den Vorfall nicht an die große Glocke gehängt hat, ist nachvollziehbar. Wenn die Behörde kein Problem sieht, dann muss auch die Fluglinie nicht unbedingt nachlegen. Doch am Ende hat die Linie zumindest in Teilen merkwürdig reagiert. Sie hat zwar den Flieger nach dem Vorfall gecheckt und einen Bericht an die Aufsichtsbehörde geschickt. Doch der liest sich wesentlich weniger dramatisch als die Berichte der Piloten. Da wurde aus dem Beinahe-Zusammenbruch ein "starkes Unwohlsein" und eine "Beeinträchtigung der Wahrnehmung".
Dass beide Piloten deutlich zu wenig Sauerstoff im Blut hatten, alarmierte offenbar ebenso wenig, wie die Tatsache, dass der außergewöhnliche Geruch im Cockpit auch 15 Minuten nach der Landung trotz geöffneter Fenster noch deutlich wahrnehmbar war. Und auch heute sieht die Linie merkwürdigerweise noch "keine Einschränkung der Flugtauglichkeit". Da bleibt die Frage: Hat der Pilot damals gegenüber seinem Arbeitsgeber die Sache nicht ganz richtig dargestellt – oder später gegenüber der Behörde.
Reaktion der BFU ist fragwürdig
Aber auch bei der BFU bleiben Fragen offen. Zwar hat sie sich Nachfragen bereits vorab durch die Mitteilung entzogen, "aufgrund des Umfangs des Zwischenberichts werden keine ergänzenden Erläuterungen ... abgegeben." Doch ein paar Antworten wären sicher nicht schlecht gewesen. Denn ihr hätte aus Sicht von Experten auffallen können: Ein "Geruch elektrisch verbrannt" – so die Unfallmeldung der Fluglinie – passt nicht so recht zu der Erklärung, es sei nur etwas Enteisungsmittel ins Triebwerk geraten. Stattdessen hat sich die BFU quasi die Sichtweise Germanwings' zu Eigen gemacht und abgehakt.
Späte Untersuchung
Aber nicht für ewig. Denn ein Jahr nach dem Vorfall hat die Behörde dann doch eine Untersuchung gestartet. Hier wäre es doch interessant zu wissen, warum? Hat der Behörde da jemand Beine gemacht und ein paar Befunde nachgereicht? Etwa, dass einer der Piloten ein halbes Jahr lang krankgeschrieben war?
Nun ist die Sache schwer zu klären. Denn die Aufzeichnungen, die jedes Flugzeug von seinem Betrieb und den Gesprächen der Piloten macht, wurden bereits beim nächsten Flug überschrieben, weil sie keiner aufgehoben hat. Sicher, das hätte für Germanwings einen gewissen Aufwand bedeutet. Denn die Piloten mögen es in der Regel nicht, wenn ihre Flugdaten aufgehoben werden. Aber nach diesem fast schon Nahtod-Erlebnis, hätten die Flugzeugführer sicher wenig einzuwenden gehabt.
Keine Beweise für die Ursache
So bleibt die Frage, wie ein ähnlicher Vorfall künftig verhindert werden kann. Der erste Verdacht fällt nun darauf, dass eben nicht das Enteisungsmittel, ein Art Alkohol, ins Triebwerk geraten ist, sondern Öl, das mit giftigen Rückständen verdampft. Aber dafür gibt es ebenso wenig einen Beweis wie dafür, dass es diese Gifte nicht waren.
An diesem Problem arbeitet sich die Branche schon seit Jahren ab. Auch einige Gewerkschaften und Politiker wie der grüne Bundestagsabgeordnete Markus Tressel weisen seit Jahren auf das Problem hin. Doch obwohl es bereits mehrere verdächtige Vorfälle mit diesen Giften gab, waren die Vorfälle im Einzelnen bislang kaum zu reproduzieren. Zudem gibt es bislang offenbar auch keine echte Gegenmaßnahme, weil während des Flugs die Luft für die Kabinen mit Hilfe der Triebwerke von den lebensfeindlichen bis zu minus 60 Grad auf angenehmere Werte erhitzt wird.
Aber vielleicht entschließen sich nun Politik und Hersteller allmählich doch, dem Problem etwas mehr Bedeutung beizumessen.