Und dann die Bahn-Comfort-Plätze. Das sind für Vielfahrer freigehaltene Sitzplätze. Sie sind stets leer, wenn der Zug leer ist, und gerammelt voll, wenn der Zug gerammelt voll ist. Mit diesem System hat die Bahn ihre Kunden massenhaft zu notorischen Verbrechern erzogen. Denn: Wer ist privilegierter Vielfahrer und für wen ist der ICE-Sitz nur eine soziale Hängematte auf Rädern? Leider sieht man den Menschen ihre Niedertracht nicht an. Also fragte ich anfangs stets laut in die Runde: „Hat hier jemand keine BahnCard mit Comfort-Status?“ Doch plötzlich schliefen alle, mussten dringend telefonieren, waren taubstumm etc. Deshalb schwenkte ich auf eine andere Taktik um. Ich konzentrierte mich auf Personen, die unmöglich Vielfahrer sein konnten: Teenager, japanische Liebespärchen mit großen Trolleys über den Köpfen oder beschwipste Hausfrauengruppen. Die überrumpelte ich mit sonorer Stimme und mit scharfem Blick: „Haben Sie eine BahnComfort-Karte?“ Sie glauben nicht, wie unverfroren Japaner und Hausfrauen lügen können!
Aber soll ich etwa durch die Reihen gehen und die Fahrkarten kontrollieren? So weit kommt´s noch. Ich meine, ich würde es ja machen. Allein es fehlt mir die Zange.
So folgte ich jüngst einer Schaffnerin bei ihrem Kontrollgang und lugte von hinten über ihre Schulter auf die gezückten BahnCards. Die Fahrgäste staunten nicht schlecht, als sie plötzlich von hinten ein lautes „AHA!“ hörten. Ich durfte mir dann einen Platz aussuchen. Aber die meisten Vielfahrer trauen sich das ja nicht.
Übrigens: Für internet-affine Fahrgäste, die keinen Sitzplatz mehr ergattern konnten, hat sich die Bahn ein besonderes Schmunzel-Schmankerl überlegt: die Online-Reservierung bis kurz vor Abfahrt. Reservieren Sie einfach mit ein paar Klicks einen Sitzplatz im fahrenden Zug ab dem kommenden Bahnhof und beeindrucken sie den anderen mit folgendem Satz: „Ich sage es Ihnen schon jetzt, damit Sie Zeit haben, in Ruhe zusammenzupacken: Ab Göttingen hätte ich gerne Ihren Platz.“
Mehr geht für 4,50 Euro nun wirklich nicht.