Wer an heißen Tagen des vergangenen Sommers durch Deutschlands Innenstädte lief, wurde von langen Schlangen vor vereinzelten Läden überrascht. Heraus kamen Menschen, die mit dicken Strohhalmen Eistee aus Plastikbechern schlürften, an dessen Boden sich bunte Kügelchen aufeinander türmten. Das Kultgetränk Bubble Tea hatte das hippe Berlin hinter sich gelassen und auch in Städten wie Münster, Saarbrücken und Freiburg seine meist jugendlichen Fans gefunden.
In dieser Zeit, Anfang Juli, schloss sich auch Katharina Richardson einem Franchise-Unternehmen an und eröffnete einen Bubble-Tea-Shop in Saarbrücken. „Wir haben unser Geschäft direkt an einer Hauptverkehrsstraße nahe einer Schule aufgemacht“, sagt Richardson. Die Voraussetzungen seien ideal gewesen. „Viele Kinder kamen vorbei, und auch Pendler von außerhalb hielten an, um sich einen Bubble Tea zu kaufen“, erzählt sie. Wie in den meisten Shops in Berlin, beschränkte sich auch Richardson in Saarbrücken auf das Kultgetränk. Andere Produkte verkaufte sie zunächst nicht.
„Die ersten zwei Monate haben wir sehr gute Umsätze gemacht“, sagt die gelernte Arzthelferin. Etwa 5000 Euro im Monat landeten in der Kasse. Nach Abzug für die Miete, das Gehalt für die beiden Teilzeitkräfte und die Produktkosten sei eine ordentliche Summe übrig geblieben.
Gesundheitsschädliche Stoffe
Dann, am Nachmittag des 22. August, tauchte eine Nachricht in den deutschen Online-Medien auf, die alles verändern sollte. Danach hatten Wissenschaftler der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen in einem Mönchengladbacher Bubble-Tea-Geschäft neun Proben der bunten Kugeln untersucht. In ihnen hatten die Forscher scheinbar PBC-ähnliche Stoffe nachweisen können, die das Krebs-Risiko stark erhöhen.
"Dabei handelt es sich besonders um die gesundheitsschädlichen Stoffe Styrol, Acetophenon und bromierte Substanzen, die in Lebensmitteln nichts zu suchen haben", sagte damals Manfred Möller vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin am Uniklinikum Aachen, das gemeinsam mit dem Laborinstrumente-Hersteller Leco die Untersuchung durchführte. Dabei gilt Acetophenon gilt als unerwünschtes Nebenprodukt etlicher Herstellungsprozesse und soll Allergien auslösen.
Wie hoch die Konzentration der gesundheitsgefährdenden Stoffe war, konnten die Wissenschaftler jedoch damals schon nicht sofort beantworten, da es sich bei der Analyse um eine qualitative Stichprobe, aber nicht eine quantitative Erhebung handelte. Später stellten sich die Ergebnisse als falsch heraus.
Die Entwarnung kam zu spät
Am 24. September gab das Verbraucherschutzministerium in Nordrhein-Westfalen Entwarnung. In einer Pressemitteilung hieß es: „Die Untersuchungsergebnisse der Schwerpunktuntersuchung durch die amtlichen Untersuchungseinrichtungen in NRW zeigen, dass bromierte Biphenyle in den Bubble-Tea-Kügelchen nicht nachweisbar sind. Außerdem konnten weder Styrol, Acetophenon oder Phthalate in den Kügelchen nachgewiesen werden, noch wurden nennenswerte Gehalte an Schwermetallen oder anderen gegebenenfalls gesundheitsgefährdenden Stoffe nachgewiesen.“
Doch da war die Nachricht vom vermeintlichen Krebsrisiko im Kultgetränk längst mitten im Sommerloch eingeschlagen. Binnen Stunden waren die Informationen herumgereicht, die gleiche Nachricht immer wieder und wieder veröffentlicht und die Kunden verunsichert worden. "Die Kundschaft wurde sofort spürbar weniger", sagt Katharina Richardson. Auch sie selbst war verunsichert: "Ich konnte es nicht glauben. Immerhin hatten doch auch Ketten wie McDonalds Bubble Tea gerade erst ins Sortiment aufgenommen."
Anmerkungen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz zu Bubble Tea
Die in Bubble Tea enthaltenen gelartigen Kügelchen haben bei Kinder- und Jugendärzten Besorgnis hervorgerufen, da diese Zutaten von kleinen Kindern leicht verschluckt werden können. Einen Fall, in dem ein Kind hierdurch zu Schaden gekommen ist, ist nicht bekannt.
Aber weil gerade kleine Kinder ein besonders hohes Risiko für Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Verschlucken haben, fordert das bundesverbraucherschutz-Ministerium entsprechende Warnhinweise beim Verkauf oder bei der Bewerbung. Vor allem durch das Ansaugen der Kügelchen mit einem Trinkhalm wird die Gefahr verstärkt.
Bubble Tea umfasst eine breite Palette unterschiedlicher Getränkevariationen, die je nach Mischung einen hohen Zuckergehalt aufweisen können. Daher sollte Bubble Tea nur in moderaten Mengen konsumiert werden.
Im Zusammenhang mit Bubble Tea treten auch Fragen zur Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen auf. Sie unterliegen in der Europäischen Union einem strengen Zulassungsverfahren und dürfen nicht ohne Zulassung verwendet werden. Eine Zulassung wird nur erteilt, wenn keine gesundheitlichen Bedenken bestehen. Falls erforderlich ist die Verwendung an bestimmte Auflagen gebunden, wie Höchstmengen oder spezifische Kennzeichnungsanforderungen. Werden Zusatzstoffe in Lebensmitteln verwendet, die nicht in Fertigpackungen, sondern als "lose" Ware an Verbraucherinnen und Verbraucher abgegeben werden, muss dies in bestimmten Fällen kenntlich gemacht werden, zum Beispiel "mit Farbstoff" oder "mit Konservierungsstoff". Das kann auf einem Schild auf oder neben dem Lebensmittel oder in Speise- und Getränkekarten erfolgen.
Da Bubble Tea in der Regel auf der Basis von Tee hergestellt wird, ist in diesen Getränken auch Koffein enthalten. Dies stammt aus der Teezutat. Wenn kein Koffein zugesetzt wird, liegen die Koffeingehalte – je nach Mischung des Bubble Teas – in der Regel in Mengenbereichen, wie sie in einer Tasse schwarzem Tee oder Kaffee enthalten sein können. Für genauere Informationen empfiehlt sich auch hier eine Nachfrage beim Verkaufspersonal.
Dass im Vorfeld nicht gründlich kontrolliert worden sein soll, schien ihr unwahrscheinlich. Doch die Kunden blieben nach den Schreckensmeldungen vom Krebserreger und Allergie-Auslöser Bubble Tea weg. "Bei uns haben vor allem Kinder eingekauft. Und die haben nach dieser Nachricht kein Geld mehr von ihren besorgten Eltern bekommen", sagt Richardson.
Die Umsätze gingen drastisch zurück. "Anfangs haben wir angefangen, auch Waffeln und Kaffee zu verkaufen, um gegenzusteuern. Doch das war rausgeschmissenes Geld", sagt die junge Unternehmerin. Nach nicht einmal vier Monaten war der Traum vom eigenen Geschäft geplatzt. Die alleinerziehende Mutter zweier Kinder muss nun 120.000 Euro Schulden zurückzahlen. "Ich stehe vor dem Nichts", sagt sie. Wenn es hart auf hart kommt, wird ihr Haus an die Bank gehen.
Auch die Großhändler waren sofort vom Rückgang der Kunden betroffen. "Innerhalb von zwei Wochen war das Geschäft tot", sagt Sandra Krebs, die mit ihrem Unternehmen San-Tea seit zwei Jahren Bubble-Tea-Shops in ganz Deutschland beliefert. Nachdem die Meldung von den krebserregenden Stoffen bekannt wurde, ließ die Großhändlerin schnellst möglich ihre Produkte testen. Am 19. September stufte ein von der Industrie- und Handelskammer zertifizierter Lebensmittelgutachter ihre Produkte als unbedenklich ein.
Das Gutachten half ihr nur bedingt, die Abnehmer wurden weniger. "Zig kleinere Läden aus meinem Kundenstamm haben seit dem dicht machen müssen", sagt Krebs. Einer davon war der Laden von Katharina Richardson in Saarbrücken. Sandra Krebs versucht nun ihr Geschäft in andere Länder zu verlagern. "Inzwischen beliefern wir auch Läden in Bulgarien, Polen, Holland und der Schweiz", sagt sie.
Der Markt für Bubble-Tea war schon lange dicht
Ebenfalls betroffen ist die Kette Bobo Q, die zwischenzeitlich 80 Shops in Deutschland betrieben hat und seit 2010 nach eigenen Angaben über 1000 Arbeitsplätze im Land geschaffen hat. Bobo Q und der Zulieferer Possmei International GmbH ziehen gerade gemeinsam gegen das Uniklinikum Aachen und den Laborinstrumente-Hersteller Leco vor Gericht. Possmei beliefert etwa 70 Prozent des Marktes in Deutschland und musste ebenfalls starke Verluste im Zuge der Meldung in Kauf nehmen.
"Die Unternehmen nehmen gerichtliche Hilfe in Anspruch hinsichtlich Unterlassung und Schadensersatz", heißt es seitens des Anwalts Carsten J. Diercks. "Die Meldung mit den falschen Bewertungen hat die Unternehmen mitten im gut laufenden Geschäft erwischt. Dass keine krebserregenden Stoffe in den Produkten enthalten sind, ist inzwischen auch durch Untersuchungen der zuständigen Lebensmittelbehörden erwiesen. Styrol und Acetophenon sind außerdem natürliche chemische Stoffe, die zum Beispiel auch in Orchideen, Weintrauben oder Rotwein vorkommen", sagt Diercks. Das Universitätsklinikum Aachen äußert sich zu dem Thema aufgrund des laufenden Gerichtsverfahrens derzeit nicht.
Niedrige Kapitaleinsätze locken
Der Niedergang des Bubble-Tea-Kults ist deshalb so tragisch, weil der Markt mit dem asiatischen Eistee so zersplittert ist. Wie Katharina Richardson sind viele Unternehmer auf Verträge mit Franchise-Unternehmen wie zum Beispiel San-Tea oder Possmei eingegangen. Diese schienen oft attraktiv, da die Kapitaleinsätze verhältnismäßig niedrig waren.
So mancher Existenzgründungsberater hätte im Vorfeld davon abgeraten, das Glück im Bubble-Tea zu suchen. "Natürlich hätte es gut gehen können, das hängt immer von den Zahlen ab", sagt Ralf Antzenberger vom Deutschen Gründerforum in Hanau. "Aber in der Regel sollte man nicht einfach auf einen Trend setzen. Der kann ja auch schnell wieder vorbei sein." Seit zwölf Jahren ist Antzenberger als Berater tätig. Die Negativ-Presse im Sommer schätzt er eher als letzten Todesstoß der Branche ein. "Der Markt war schon total dicht. Es schien als seien kaum Konkurrenzanalysen gemacht worden", sagt er.
Wie viele Läden sich langfristig durchgesetzt hätten, beziehungsweise noch durchsetzen werden, ist im Moment schwer zu beurteilen. Verbindliche Zahlen über Erfolge und Schließungen werden laut Bundesverband der Hotels und Gaststätten in Deutschland (DEHOGA) nicht erfasst. "Für eine genaue Beurteilung ist es im Moment noch zu früh", heißt es seitens der DEHOGA. Meldungen von frustrierten Unternehmern, deren Hoffnung auf Erfolg mit einer Meldung dem Boden gleich gemacht wurde, kommen derweil aus ganz Deutschland: Egal ob aus Saarbrücken, Freiburg oder Berlin. Nur die wenigsten von ihnen können sich mit der Hoffnung auf Schadensersatz einen zeitraubenden und kostspieligen Gang vor Gericht leisten. Sie fühlen sich um ein gutes Geschäft betrogen.