Peter Bellerby wirkt müde, aber zufrieden. Er sitzt auf einem Sofa, eingemummelt in eine flauschige Sweatjacke und einen dicken Schal, in der Hand eine Tasse Tee mit Milch. „Wir haben so viel zu tun“, sagt er, „bis zum April 2016 sind wir schon ausgebucht.“ In ihrer kleinen Werkstatt in der Bouverie Mews im Londoner Stadtteil Stoke Newington stellen Bellerby und seine sieben Mitarbeiter Globen her.
Erstaunlich: In Zeiten, in denen die Menschen bei Google Maps nach der richtigen Route suchen und sich im Straßenverkehr auf die Ansagen ihrer Navigationsgeräte verlassen, gibt es eine achtmonatige Warteliste für handgefertigte, kugelförmige Modelle der Erde, von denen manche so teuer sind wie eine Luxuslimousine. Noch dazu mit Namen, die eher antiquiert wirken – „Galileo“, „Churchill“ oder „Britannia“.
Ein Grund für den Erfolg ist der Perfektionismus des Gründers: Die Landkarten auf Bellerbys Globen müssen bis ins kleinste Detail korrekt sein. Die mit Pinseln aufgetragene Wasserfarbe, mit der die Ozeane blau gefärbt werden, darf nicht tropfen oder verschwimmen; die Umrisse der Kontinente müssen dunkel schattiert sein; Städte und Gewässer müssen akkurat eingezeichnet, die Oberflächen anschließend mit einer Schutzschicht lackiert werden. Ein zeitraubendes und aufwendiges Verfahren. Je größer der Globus, desto länger dauert es. Pro Jahr fertigt das Team 200 bis 300 Exemplare an, maximal 1000 könnten es werden. Doch dann ist Schluss, findet der 50-jährige Firmengründer. Weder die Qualität der Produkte noch der Spaß an der Arbeit soll sinken.
Die Kunstfertigkeit des familiären Studios hat sich inzwischen weit über die Londoner Stadtgrenzen herumgesprochen. Kürzlich meldete sich sogar der Pariser Louvre bei Bellerby. Das Museum wollte einen Coronelli-Globus bestellen, bei dem die Landkarten noch auf alten Kupferplatten gedruckt werden. Als Geschenk für den französischen König Ludwig XIV. hatte der italienische Kartograf Vincenzo Coronelli im 17. Jahrhundert zwei Globen mit einem Durchmesser von vier Metern gebaut. Da allerdings musste Bellerby ausnahmsweise passen. Denn das kartografische Material für seine Globen stammt von modernen Computerdruckern.
Woher aber kommt – 300 Jahre nach dem Tod des Sonnenkönigs und angesichts der Verfügbarkeit digitaler Landkarten – die anhaltende Faszination für Globen, die weit über die Seefahrernation Großbritannien hinausgeht?
Weltreise per Handstreich
Vielleicht daher, weil alleine ihr Anblick inspiriert. Sie setzen die Länder anschaulich zueinander in Beziehung, eine Weltreise ist immer nur einen Handstreich entfernt – und erzeugt ein völlig anderes Gefühl als die digitale Navigation via Google Earth. „Man kann sich als Individuum mit der eigenen Lebensgeschichte selbst verorten“, sagt Bellerby, „auf einem Computerbildschirm, der immer nur einen Ausschnitt zeigt, geht das nicht.“ Selbst ein Atlas biete nicht jene umfassende, winkel- und längengetreue Perspektive.
"Ein Kontrapunkt zur seelenlosen Massenware "
Einigen Auftraggebern reicht das nicht. Sie lassen sich auf ihren maßgefertigten Erdkugeln zusätzlich ihre Geburtsstadt einzeichnen. Andere wählen einen Ort, der in ihrem Leben wichtig war, und lassen ihn grafisch hervorheben. In der Werkstatt schweben auf einem Globus zwei filigran gezeichnete Engel über der Stadt Madeira – dort hatte der Kunde einst seine Verlobung gefeiert.
Solche unverwechselbaren, analogen Einzelstücke sind wie ein Kontrapunkt zur vermeintlich seelenlosen Massenware des digitalen Zeitalters. Auch die Qualität trägt zu ihrer Beliebtheit bei. Ein Bellerby-Globus lässt sich mühelos drehen, die Finger des Betrachters gleiten beim Spaziergang über die Kontinente ungehindert über die glatte Oberfläche. Das mechanische Geheimnis dieser Leichtigkeit ist für das Auge unsichtbar: Die Kugeln ruhen unter der Oberfläche, in Schalen mit unsichtbaren Kugellagern.
In der Manufaktur herrscht konzentrierte, stille Arbeitsatmosphäre. In den Regalen, auf Tischen und am Boden stehen Erd- und Himmelsgloben in fünf Größen und unterschiedlichen Farben. Quer durch das Atelier sind Wäscheleinen gespannt. Dort trocknen an Klammern jene Papierkeile mit kartografischen Details, die später auf die Erdkugeln aufgeklebt werden: 24 sind es bei den kleineren, 48 bei den größeren Globen.
Das klingt einfach, ist aber kompliziert. Die feuchten Papierzungen müssen glatt gespannt und dann präzise aneinandergefügt werden – und dabei können sie schnell reißen. Außerdem dürfen sie nicht überlappen. Wer schlampt, lässt ganze Länder von der Erdkugel verschwinden: „Grönland und Alaska sind besonders oft betroffen“, sagt Bellerby. Tüftelarbeit erfordert auch die Abbildung der Längen- und Breitengrade.
Der größte Bellerby-Globus hat einen Durchmesser von 1,27 Metern, der kleinste von 23 Zentimetern. Jenes Modell ist aktuell der Bestseller, es passt auf einen Schreibtisch und kostet umgerechnet 1535 bis 3070 Euro – je nach Design, Grundierung und der Menge an Farbe, die für Meere und Kontinente aufgetragen werden muss. Knapp 74 000 Euro ließ sich dagegen ein Russe seinen Globus kosten, der trotz vieler Extras in knapp zwei Monaten fertig werden musste. „Ich habe meinen Mitarbeitern Überstunden und einen Bonus gezahlt“, sagt Bellerby.
Alle haben ihr Handwerk von ihm gelernt. Der Autodidakt bastelte erst im Jahr 2008 seinen ersten eigenen Globus – als Geschenk zum 80. Geburtstag seines Vaters. Der hatte einst als Schiffsbauer gearbeitet. Sechs bis zwölf Monate benötigt heute ein Lehrling in Bellerbys Werkstatt, bis er den Herstellungsprozess meistert. Bei dem Firmengründer selbst vergingen rund 18 Monate, bis er sein erstes Modell zustande brachte.
Bellerby hat sie schon oft erzählt, trotzdem klingt die Geschichte immer wieder gut: wie er 2008 auf der Suche nach einem Geschenk für seinen Vater entweder nur billige Massenware oder teure Antiquitäten fand – aber keinen korrekt gezeichneten, ästhetisch ansprechenden und qualitativ hochwertigen modernen Globus; wie er daraufhin zu Hause selbst Experimente begann. Bis ihm schließlich ein Stück gelang, das seinen perfektionistischen Ansprüchen genügte. „Die Dinge gerieten außer Kontrolle“, sagt er, wenn er sich an seine Obsession von damals erinnert.
Zufällige Marktlücke
Qualifiziert war er dafür nicht, denn als Abiturient hatte er sich zuletzt mit Erdkunde und Physik beschäftigt. Danach hatte er verschiedene Berufe ausgeübt. Mal verkaufte er Filmrechte für Videos an Fernsehstationen, dann führte er einen Nachtclub und eine Kegelbahn, renovierte ein Londoner Haus und verkaufte es mit Profit weiter. Letzteres finanzierte ihm seine Lehrzeit als erster Globusbauer des 21. Jahrhunderts. Sogar die Gipskugel für sein erstes Exemplar hat er einst selbst gebastelt. Immerhin: Diese Tätigkeit erledigen heute meist externe Zulieferer.
Jeder Produktionsschritt war zunächst mit neuen Herausforderungen verbunden: Die Anschaffung der Werkzeuge und das Drucken des Kartenmaterials war teuer, die Kartografie oft fehlerhaft, Ortsnamen falsch übersetzt. Frustriert machte sich der Novize daran, die kommerziell erhältlichen Landkarten mithilfe von Google Maps zu korrigieren. Eine ebenso teure wie langwierige Methode. Insgesamt investierte Bellerby eigenen Angaben zufolge umgerechnet mehr als 200 000 Euro in das Geburtstagsgeschenk seines Vaters. Erst später dämmerte ihm, dass er damit ganz nebenbei eine Marktlücke entdeckt haben könnte. 2010 verkaufte er seinen ersten Globus an einen Australier, inzwischen floriert das Geschäft.
Denn die Luxusgloben sprechen keineswegs nur pensionierte Nostalgiker an, was der Erfolg in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram beweist. Wichtigste Absatzmärkte sind die USA und Großbritannien, an dritter Stelle steht Deutschland mit knapp 40 Kunden.
Berühmte Käufer
Darunter auch Prominente: Der Regisseur Martin Scorsese kaufte vier Globen als Requisiten für seinen 3-D-Film „Hugo Cabret“, der nigerianische Künstler Yinka Shonibare nahm gleich elf Stück. 75 Prozent der Kunden sind jedoch Privatleute.
Den individuellen Gestaltungswünschen seiner Käufer kommt Bellerby normalerweise gerne nach, selbst wenn ein Unternehmen einen Globus mit lilafarbenen Kontinenten und silbernen Ozeanen bestellt – was der Engländer für eine vulgäre Geschmacksverirrung hält. Anders sieht es bei politisch motivierten Sonderwünschen aus: Als ein Kunde einen Globus ohne den Staat Israel haben wollte, lehnte Bellerby ab. Aus Territorialkonflikten will er sich heraushalten.
Allerdings achte er bei Globen für indische Kunden darauf, dass die Grenze zu Kaschmir korrekt verläuft. „Wer da einen Fehler macht, dem drohen bis zu sechs Monate Gefängnis“, sagt Bellerby, „und das darf mir bei meiner nächsten Indien-Reise nun wirklich nicht passieren.“