Großstreik Wieso Deutschland an diesem Montag stillsteht

Die Bahnen bleiben an diesem Montag weitestgehend leer. Quelle: imago images

Deutschland stürzt an diesem Montag in eine beispiellose Eskalation. Bahnen, Flugzeuge und Schiffe stehen still. Der Streik hat weitaus mehr Dimensionen als nur die Forderung nach höheren Löhnen.

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Monika Schnitzer hat Glück: Anders als viele andere Menschen in Deutschland habe sie am Montag keine Reisepläne. Dafür ging es für sie vergangene Woche schon quer durch Deutschland: Von München nach Wiesbaden, Frankfurt, Berlin und zurück, erzählt die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen im WirtschaftsWoche-Podcast Chefgespräch.

Wer am Montag beruflich oder privat auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, dürfte so schnell nicht an sein Ziel kommen: Mit einem doppelten Warnstreik legen die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und Verdi den Verkehr weitgehend lahm und stürzen Deutschland in ein Verkehrschaos. Der beispiellose Warnstreik der beiden Gewerkschaften umfasst den Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr auf der Schiene, den kommunalen Nahverkehr, viele deutsche Flughäfen, die Wasserstraßen und Häfen sowie Autobahnen. Millionen Reisende und Pendlerinnen sind betroffen.

In den vergangenen Wochen hatten Verdi und Beamtenbund bereits etliche Warnstreiks organisiert, vor allem im Nahverkehr und im Kitabereich. Die Gewerkschaften sehen in mehreren Tarifrunden zu wenig Bewegung, so kommt der Großstreik pünktlich zur dritten Verhandlungsrunde.

Bislang liegen die Positionen weit auseinander: Verdi und der Beamtenbund dbb fordern 10,5 Prozent und mindestens 500 Euro mehr Geld für die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen. Die Arbeitgeber bieten fünf Prozent und eine Einmal-Prämie von 2500 Euro. Die EVG kämpft derweil mit mehreren Unternehmen um mehr Geld – besonders im Blick: die Deutsche Bahn.

Monika Schnitzer zeigt sich verständnisvoll: „Man muss harte Forderungen stellen, damit am Ende überhaupt was rauskommt“. Der Konflikt bei den neuen Tarifverhandlungen sei absehbar gewesen.

Seit letztem Jahr ist die Inflation hoch, die Wirtschaftsweisen rechnen auch für das laufende Jahr mit einer Inflation von 6,6 Prozent, wie sie bei ihrem jüngsten Konjunkturupdate mitteilten. Erst 2024 sei ein Rückgang auf drei Prozent zu erwarten. Gleichzeitig seien die Löhne zwar gestiegen, aber eben nicht im selben Verhältnis wie die Inflation. Die Reallöhne sanken im letzten Jahr um 3,1 Prozent – laut Statistischem Bundesamt führt die hohe Inflation zu dem stärksten Reallohnverlust seit Beginn der Zeitreihe 2008. „Die Menschen haben einen realen Kaufkraftverlust in Kauf nehmen müssen“, kommentiert Schnitzer im WiWo-Podcast, „insofern kann man verstehen, dass die Menschen nach höheren Löhnen fragen“.

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So habe auch die Politik mit Energiepreisbremsen versucht, bei Preissteigerungen zu helfen, damit sich die Inflation nicht in Lohnverhandlungen niederschlägt. „Denn man hat natürlich auch die Sorge: Steigen die Löhne zu stark, dann heizt das die Inflation weiter an.“

Die hohen Löhne könnten Bund und Länder teuer zu stehen kommen: Die 10,5 Prozent mehr für die Angestellten im öffentlichen Dienst würden die Kommunen pro Jahr etwa 15,4 Milliarden Euro und den Bund 1,4 Milliarden mehr kosten. Gerade die Kommunen erwidern, dass sie das nicht stemmen können.

Monika Schnitzer hält dagegen. „Hier muss das Gesamtbild betrachtet werden“, kommentiert sie, „durch die Inflation sind auch die Einnahmen gestiegen, durch höhere Steuern und Güterpreise“. Würden die 10,5 Prozent durchgesetzt werden, wovon sie nicht ausgehe, „wäre man immer noch gerade mal da, wo man ohne Reallohnverlust ist“.



Verglichen mit Fachkräften in exportorientierten Unternehmen verdienen Personen im öffentlichen Dienst zwar weniger, gehören aber im deutschen Gesamtvergleich eher zu den Gutverdienern. 2018 lag der Median-Bruttojahresverdienst von Angestellten im öffentlichen Dienst laut Destatis bei 3841 Euro, bei allen anderen Beschäftigten bei 3406 Euro.

Arbeitgeber kritisieren Streiks

Auch von der Arbeitgeberseite kommt harte Kritik. Sie werfen den Gewerkschaften überzogenes Handeln vor. „Wer so handelt, handelt unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für das Streikrecht“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, der Nachrichtenagentur dpa. Der Kampf um Mitglieder dürfe die Tarifautonomie in Deutschland nicht radikalisieren. „Ein Blick nach Frankreich zeigt, wohin es führt, wenn man sich auf die schiefe Ebene begibt“, mahnt Kampeter.

Denn in diesem Tarifkonflikt geht es auch um gewerkschaftliche Organisationspolitik. Verdi hat 2022 mehr als 36.000 Mitglieder verloren und hofft nun, durch kompromissloses Auftreten neue Kundschaft anzulocken.

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Zusätzlich wollen die Gewerkschaften mit den steigenden Löhnen gegen den Fachkräftemangel ankämpfen: Im öffentlichen Dienst fehlt es in Bereichen wie IT, Bauplanung aber auch im Gesundheitswesen an Personal. Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach beziffert die Lücke auf 360.000 Personen. In den kommenden zehn Jahren gehen zudem 1,3 Millionen Beschäftigte in den Ruhestand.

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