Grüner Punkt Wie sich die Müll-Branche selbst zerfleischt

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Beide Entsorgungswege missbraucht

Das machen Händler und Hersteller jedoch nicht selbst. Stattdessen lassen sie ihre Tüten, Dosen und Becher bei einem der Dualen Systeme lizenzieren, etwa bei Reclay oder beim Pionier DSD, der die Verpackungen dann mit dem Grünen Punkt kennzeichnet. Dafür bezahlen die Hersteller und Händler die Dualen Systeme. Im Gegenzug beauftragen diese Entsorgungsunternehmen, den Abfall aus der gelben Tonne oder Glascontainern einzusammeln, sortieren, recyceln oder verbrennen zu lassen.

Fast 13 Jahre lang beherrschte DSD als Monopolist den Markt. Dann verordnete die EU-Kommission die Liberalisierung, und 2003 trat mit der Firma Landbell in Mainz der erste Wettbewerber an. Obwohl es mittlerweile neun Anbieter gibt, kommt DSD aber noch immer auf einen Marktanteil von rund 50 Prozent.

Und der dürfte, so die Angst der Wettbewerber, durch die Gesetzesnovelle wieder steigen. Denn die neuen Vorschriften machen Schluss mit den Sonderlösungen und Schlupflöchern. So dürfen Händler und Hersteller vom kommenden Jahr an keine Verpackungen mehr über sogenannte Eigenrücknahmen selbst entsorgen, etwa durch Müllbehälter hinter den Supermarkt- und Drogeriekassen. Und auch sogenannte Branchenlösungen für Großverbraucher wie Hotels oder Tankstellen schränkt das neue Gesetz stark ein. Bisher konnten zum Beispiel Hersteller medizinischer Produkte ihre Verpackungen, derer sich Krankenhäuser entledigen, gesondert entsorgen lassen und damit bis zu 75 Prozent gegenüber dem aufwendigen System der gelben Tonnen sparen.

Streit um 100 Millionen Euro

Doch in der Praxis missbrauchten Handel, Hersteller und auch die Dualen Systeme diese beiden Entsorgungswege allzu oft, um Lizenzgebühren für die Entsorgung ihres Mülls über die gelbe Tonne zu sparen. In Wirklichkeit landeten etwa die Verpackungen von Zahnbürsten nur selten im Container des Drogeriemarktes, sondern in den gelben Tonnen vor der Haustür, ohne dass die Hersteller für deren Leerung die höheren Lizenzgebühren entrichteten. So stieg bei den Eigenrücknahmen die Müllmenge im ersten Quartal dieses Jahres um 166 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, berichtet das Branchenmagazin Euwid. Entsprechend viel Geld ging den Dualen Systemen verloren, die mit ihren Lizenzeinnahmen die Leerung der gelben Tonnen bezahlen müssen.

Von der Schummelei profitierten nicht nur die Hersteller und Händler, sondern auch die Dualen Systeme selbst. Denn je weniger lizenzierte Mengen ein Systembetreiber der gemeinsamen Clearingstelle der Branche meldet, umso weniger muss er zur Finanzierung der Entsorger des gesamten Verpackungsmülls in Deutschland beitragen. Bei rund 800 Millionen Euro, die dazu in diesem Jahr nötig sind, bedeutet jedes Prozent weniger Marktanteil acht Millionen Euro weniger Überweisung an die Entsorgungsbranche. Also rechneten die Dualen Systeme ihre Müllmengen klein, indem sie der gemeinsamen Clearingstelle weniger Tüten, Becher und Konservendosen meldeten, als letztlich in den gelben Tonnen landeten und teuer abtransportiert werden mussten. „Die gemeldeten Mengen waren absolut wirklichkeitsfremd“, sagt Axel Schweitzer, Vorstandsvorsitzender der Berliner Alba-Gruppe, die hinter dem Dualen System Interseroh steht.

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