Hamburg-Köln-Express Wie neue Wagen den HKX retten sollen

Die private Bahngesellschaft Hamburg-Köln-Express startet ihren letzten Versuch, der Deutschen Bahn Fahrgäste abzujagen. Eine Nahaufnahme eines bizarren Überlebenskampfes.

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Mit letzter Kraft: Unternehmenschef Carstensen macht den HKX zum Nahverkehrszug. Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

Carsten Carstensen lehnt sich zurück in den Sitz des Zugabteils. Etwas unbeholfen dreht er sich um und zieht den Stoffbezug mit den Buchstaben HKX von der Kopfstütze. „Antimakassar heißt das hier“, sagt Carstensen und erklärt: „Das ist gegen die Fettkrusten auf dem Polster.“ Ob jemand wisse, woher die Bezeichnung stamme, fragt er die Mitreisenden.

Der Chef der Privatbahn Hamburg-Köln-Express (HKX) mit Sitz in Köln muss das Rätsel um das eigentümliche Tuch selber auflösen. Ein „findiger Kerl aus den USA“ habe mit solchen Stoffbezügen Sitze in Clubs überzogen, um sie gegen Haargel aus Makassaröl zu schützen, sagt Carstensen. Eine geniale Erfindung, findet er.

Mehr Wettbewerb auf der Schiene in Europa
GroßbritannienTrotz aller Qualitätsmängel: Großbritannien gilt in Sachen Wettbewerb inzwischen als Vorbild für Europa. Kaum ein Eisenbahnland ist so liberalisiert. Allerdings wird der Fernverkehr auf der Insel meist über so genannte Franchises ausgeschrieben. Unternehmen können sich für den Betrieb der insgesamt 19 Konzessionen bewerben. Wer den Zuschlag erhält, bekommt staatliche Subventionen. So betreibt DB Arriva, eine Tochter der Deutschen Bahn, beispielsweise die Linie CrossCountry von Aberdeen im Norden nach Birmingham. Das System ähnelt dem deutschen Nahverkehrsmodell. Parallel dazu ist auch eine Trassenvergabe möglich, die die Bahnen dann eigenwirtschaftlich betreiben. Allerdings wird dies bislang nur auf zwei Strecken genutzt: von London nach Hull im Nordosten und von London nach Bradford/Sunderland im Norden. Bislang gibt es in Großbritannien nur eine einzige Hochgeschwindigkeitsstrecke. Die „Highspeed 1“ führt von dem Eurotunnel nach London und erlaubt Geschwindigkeiten bis 300 km/h. Quelle: Christian Schröder
ItalienIn keinem anderen Land ist der Wettbewerb auf der Schiene im Fernverkehr so intensiv wie in Italien. Vor einem Jahr machte sich eine Gruppe von Unternehmern auf, die Staatsbahn Trenitalia auf der Rennstrecke von der Industriezone um die Stadt Mailand bis ins politische Zentrum Rom zu attackieren. Die bis zu 300 km/h schnellen "Italo"-Züge des Unternehmens NTV verbinden die Städte in unter drei Stunden - weiter geht es im Norden nach Turin und im Süden nach Neapel. NTV beförderte in den ersten rund acht Monaten seit Betriebsaufnahme mehr als zwei Millionen Passagiere. Der Marktstart gilt als Erfolg. Die Tickets sind für Frühbucher auf unter 30 Euro gefallen. Quelle: dapd
TschechienSeit September 2011 bietet das tschechische Verkehrsunternehmen Student Agency unter der Marke RegioJet Konkurrenzzüge zur tschechischen Staatsbahn CZ. Die Züge des Herstellers Bombardier pendeln zwischen Prag und Ostreva. Teilweise setzt Regiojet modernisierte Gebrauchtzüge der SBB aus der Schweiz ein. RegioJet hat sich zum Ziel gesetzt, Züge nicht nur in Tschechien, sondern auf mitteleuropäischen Strecken anzubieten. Im März 2012 startete RegioJet etwa in der südlichen Slowakei mit dem Betrieb von Zügen auf der 100 km langen Eisenbahnstrecke von der regionalen slowakisch-ungarischen Grenze zur Hauptstadt Bratislava. Student Agency ist seit zwei Jahren auch Kooperationspartner der Deutschen Bahn bei der Busverbindung zwischen Nürnberg und Prag. Quelle: Harold
FrankreichDie französische Staatsbahn SNCF ist Monopolist – und hat sich quasi selbst Konkurrenz geschaffen. Im April dieses Jahres hat das Unternehmen den Billig-TGV („iDTGV “) eingeführt. Insgesamt 62 Hochgeschwindigkeitszüge mit einfachem Komfort und hoher Passagierdichte fahren zwischen den Bahnhöfen Marne-la-Vallée (beim Vergnügungspark Euro Disney nahe Paris) sowie Marseille, Lyon und Montpellier. Die Preise für die rund dreieinhalb Stunden lange Fahrt ans Mittelmeer beginnen für Erwachsene bei 19 Euro je Einfachticket. SNCF will damit vor allem preissensible Studenten und junge Familien überzeugen. Die Bahn verhindert somit auch, dass potenzielle Wettbewerber mit Billigangeboten die TGV-Züge der SNCF angreifen. Quelle: Reuters
ÖsterreichSeit Dezember 2011 gibt es eine Alternative zu den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB): Die Westbahn verbindet die Städte Wien und Salzburg zwölf Mal am Tag. Die Züge benötigen für die 317 Kilometer lange Strecke 2:32 Stunden - nur zehn Minuten länger als Züge der ÖBB. Dafür bietet die Westbahn kostenloses Wlan und Gratiszeitungen in der Businessclass. Die Preise liegen mit 25 Euro um rund die Hälfte niedriger als bei der ÖBB ohne Ermäßigung. Der Einstieg der Westbahn hat teilweise zu einem harten und ruinösen Preiswettbewerb geführt. An der Westbahn ist die französische Staatsbahn SNCF mit 26 Prozent beteiligt.  

Carstensen lebt seinen eigenen amerikanischen Traum, und das mitten in Deutschland. Er ist heute ins sächsische Delitzsch gekommen, um ein letztes Mal nach dem Rechten zu schauen. Hier, im Instandhaltungswerk der schwedischen Firma EuroMaint, ließ er über Monate hinweg ältere Zugwaggons entkernen, die Technik modernisieren und Sitze bepolstern. Jetzt nimmt er sie ab. „Dieser Wagen ist in Ordnung“, sagt Carstensen erleichtert.

Seit fünf Jahren wartet der 44-Jährige auf diesen Moment, diesen Meilenstein: die Fertigstellung der lange herbeigesehnten, endlich komfortablen Waggons für seinen HKX. Sie sollen die Erlösung bringen, die Rettung vor dem drohenden Aus des Unternehmens. Nur wenn die Qualität stimmt, weiß Carstensen, hat HKX überhaupt noch die Chance, in die Annalen einzugehen als erster Fernzug, der der Deutschen Bahn mit vergleichbarem Standard und Service Paroli bietet.

Pflaumenfarbe der Hoffnung

Die pflaumenfarbenen Waggons mit Türen im Fliederton, die Carstensen abschließend checkt, sind seine letzte große Hoffnung, den Überlebenskampf mit der übermächtigen Deutschen Bahn und deren ICEs sowie Intercitys doch noch zu gewinnen. 2009 kaufte er alte Züge der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). So wie Billigflieger in der Luftfahrt sollte HKX ein Jahr später als preiswerte Alternative zum ICE die Spielregeln im Fernverkehr auf den Kopf stellen. Doch die Zulassung verzögerte sich. Mehr als 60 Mal kam Carstensen seit 2012 nach Delitzsch, bis es so weit war.

Zwei Züge mit je drei Waggons kann der Rheinländer bald einsetzen – zugelassen für bis zu Tempo 160, mit WLAN, mehr Platz für die Reisenden als in vergleichbaren Zügen der Deutschen Bahn, kurz: fürs Bahnfahren wie in der ersten Klasse, aber Bezahlen wie in der zweiten. Im Dezember soll der Probebetrieb starten. „Wir haben so lange gewartet, jetzt gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, sagt Carstensen. 30 weitere, unfertige Wagen hat er noch in petto.

Der Einsatz der runderneuerten, aber eigenen Züge könnte HKX auf die Erfolgsspur setzen, nachdem das Unternehmen sein rollendes Material bisher von anderen Bahngesellschaften mieten musste. Deren Fahrzeuge fielen häufig aus und vergrätzten Passagiere so sehr, dass sie von ihrer Buchung absprangen. Das war die erste Nahtoderfahrung für den HKX. „Durch den Einsatz eigener Züge stabilisiert sich unser Fahrbetrieb und sinken unsere Mietkosten“, ist Carstensen jetzt überzeugt.

Ein gewöhnliches Start-up hätte solche Tiefschläge nicht überstanden. Doch hinter HKX steht ein ebenso eigenwilliger wie nervenstarker und langfristig orientierter Investor aus Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania, der es sich nicht nehmen ließ, die Pflaumen-Züge in Delitzsch schon zu begutachten. „Ich bin ein geduldiger Investor, aber ein ungeduldiger Manager“, sagt Henry Posner, Chef der Railroad Development Corporation (RDC), die den HKX mit mehreren Millionen Euro finanziert hat. „Misserfolg gehört zum Geschäft.“

Zarte Erfolge

Der schlaksige Fliegenträger finanzierte mit seiner Beteiligungsfirma bereits weltweite Bahnprojekte, etwa in Estland, Frankreich, Kolumbien und Guatemala. Er macht sich keine Illusion, dass er auch beim HKX „einen langen Atem“ braucht. Wer sich in der Bahnbranche engagiere, „tut dies auch aus Leidenschaft“, so Posner. „Das ist kein Job, sondern eine Berufung.“

Wo öffentlicher Nahverkehr am teuersten ist
Platz 10: San Francisco und Chicago Wer in der berühmten Cable Car von San Francisco (Foto) oder in der Hochbahn von Chicago unterwegs ist, muss zwei US-Dollar für das günstigste Ticket bezahlen. Das macht den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) dieser beiden Städte zum zehntteuersten der Welt, hat die Deutsche Bank ausgerechnet. Dafür hat sie die Preise des jeweils günstigsten Nahverkehr-Tarifs in Städten weltweit in US-Dollar umgerechnet und verglichen. Um einzuordnen, wie teuer oder günstig die Preise sind, hat die Deutsche Bank New York als Bezugspunkt gewählt: Die Preise in Chicago und San Francisco sind beispielsweise 20 Prozent günstiger als im Big Apple. Quelle: dpa
Platz 9: Berlin und ParisBerlin teilt sich den neunten Platz mit Paris. In beiden Städten kostet der günstigste ÖPNV-Tarif umgerechnet 2,06 US-Dollar. Das sind gerade mal 82 Prozent des New Yorker Preises. Quelle: dpa
Platz 8: SydneyWer im australischen Sydney im öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist, zahlt 2,14 US-Dollar für das günstigste Ticket – und damit 15 Prozent weniger als in New York. Quelle: AP
Platz 7: Edinburgh und OttawaDen siebten Platz teilen sich wieder zwei Städte: Im schottischen Edinburgh und im kanadischen Ottawa (Foto) kosten die günstigsten ÖPNV-Tickets jeweils umgerechnet 2,48 US-Dollar. Das ist ein Prozent weniger als in New York. Quelle: AP
Platz 6: New YorkWer einmal in New York ist, muss in den Central Park, ins Empire State Buildung – und eine U-Bahn-Fahrt mitmachen. Ein Ticket des günstigsten Tarifs kostet 2,50 US-Dollar, was die Deutsche Bank als Bezugspunkt für alle anderen weltweiten Preise genommen hat. Quelle: REUTERS
Platz 5: TorontoIn der größten Stadt Kanadas kostet ein ÖPNV-Ticket des kleinsten Tarifs umgerechnet 2,73 US-Dollar. Damit zahlen Menschen in Toronto neun Prozent mehr als in New York. Quelle: dpa
Platz 4: FrankfurtAuch Deutschlands Bankenmetropole hat es ins Ranking geschafft: Wer mit der S-Bahn vom Hauptbahnhof zum Hauptsitz der Deutschen Bank fahren möchte, muss umgerechnet 2,88 US-Dollar zahlen. Das sind 15 Prozent mehr als der niedrigste Tarif in New York und platziert Frankfurt im weltweiten Vergleich auf Platz 4. Quelle: dpa

Mit dieser Einstellung hat Posner den Kern eines kleinen Bahnimperiums aufgebaut. Den Anfang machte die Iowa Interstate Railroad im amerikanischen Norden. Aus der habe er nach zehn schwierigen Anfangsjahren eine „extrem profitable“ Güterbahn gemacht. Das Geld investiere er in „riskante Geschäfte im Ausland“.

Posner verfolgt eine merkwürdige Philosophie. „Mache lieber ein schlechtes Geschäft mit einem guten Partner als ein gutes Geschäft mit einem schlechten Partner“, sagt er. Denn nur mit einem guten Partner gelänge es, ein schlechtes Geschäft langfristig und nachhaltig erfolgreich zu machen. „Auch deshalb bin ich zuversichtlich, in Deutschland langfristig Erfolg zu haben.“ Außerdem zahle sich die „Hartnäckigkeit beim HKX langsam aus“.

Tatsächlich funktioniert der HKX heute anders als beim Betriebsstart 2012. Im Frühjahr änderten Posner und das Unternehmen zum ersten Mal die Strategie. Das Management wurde verkleinert, die bisherige Chefin Eva Kreienkamp verließ HKX, seitdem führt Carstensen die Geschäfte alleine. Er sortierte die anfälligsten Züge aus und strich den Fahrplan zusammen.

Eher etwas schlicht gestrickt

Das brachte zarte Erfolge. Einbrüche bei den Fahrgastzahlen wie im Herbst 2013 blieben aus. Die Zahl der Passagiere hielt sich mit rund 40.000 Fahrgästen pro Monat stabil, dank weniger Zügen sei „die Auslastung hochgegangen“, so Carstensen. Ab Oktober wird der Fahrplan daher auf maximal zwei Hin- und Rückfahrten pro Tag zwischen Köln und Hamburg reduziert.

Konkurrenten der Deutschen Bahn im Schienenpersonenfernverkehr, wann sie starteten und wie lange sie durchhielten. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Die zweite strategische Änderung betraf den Fahrkartenverkauf. HKX bietet seine Tickets etwa über die Web-Seite und im Zug an. Künftig sollen auch Tickets der Deutschen Bahn anerkannt werden. Dann können Reisende im Reisezentrum, über Fahrkartenautomaten und auf bahn.de oder über die Handy-App des Konkurrenten aus Berlin ihre Tickets kaufen.

Um das zu ermöglichen, muss der HKX die Anerkennung als Nahverkehrsbahn erlangen. Die Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen haben dem Antrag bereits zugestimmt. HKX konnte nachweisen, dass die Mehrzahl der Reisenden weniger als eine Stunde im Zug sitzt. So definiert das Gesetz den regionalen Eisenbahnverkehr in Deutschland.

Üblicherweise fahren solche Züge im Auftrag der Bundesländer, die die Strecken ausschreiben und dafür bezahlen. HKX dagegen fährt voll auf eigene Rechnung. Das Unternehmen muss sich jetzt nur noch mit der Deutschen Bahn einigen, wie die Einnahmen verteilt werden, wenn Passagiere mit Zügen beider Unternehmen reisen. Die Verhandlungen laufen noch. Kommen sie zu einem gütlichen Ende, genügt künftig ein einziges Ticket, um etwa von Kiel nach Koblenz zu fahren und dazu sowohl die üblichen Regionalzüge als auch den HKX zu benutzen. „Wir haben uns jetzt das Beste aus zwei Welten ausgesucht“, sagt Carstensen. HKX fahre weiter eigenwirtschaftlich im Fernverkehr und profitiere davon, gleichzeitig als Nahverkehr zu gelten. „Man muss sich halt den Wünschen der Kunden anpassen.“

Das versucht Carstensen mit der Kraft der Verzweiflung, um HKX das Überleben zu sichern. Die Preise passte er den Billigtarifen der stürmischen Konkurrenz durch die Fernbusse an. Beim Catering, so Carstens Erfahrung, habe sich gezeigt, dass die Fahrgäste weder Gurkensticks noch Frischobst wünschten.

Also bietet HKX ein Sortiment aus 20 Klassikern wie Coca-Cola, Snacks und Filterkaffee an. Der durchschnittliche Fahrgast sei eher etwas schlichter gestrickt, meint Carstensen und lächelt.

Die pflaumenfarbenen Züge mit den Türen im Fliederton haben die Stimmung des HKX-Chefs offensichtlich gehoben.

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