Als Michael Behrendt sein Amt als Chef von Hapag-Lloyd vor beinahe zwei Jahren an seinen Nachfolger Rolf Habben Jansen abtrat, gab er diesem einen guten Rat: »Size matters«, sagte er. Größe zählt.
Seitdem hat Habben Jansen bei Hapag-Lloyd vieles richtig gemacht: Unter seiner Leitung ist die Hamburger Reederei mit dem chilenischen Konkurrenten CSAV fusioniert. Im November haben die Hamburger endlich ihren Börsengang geschafft, trotz aller Schwierigkeiten.
Habben Jansen hat neue Kooperationen geschlossen. Er hat die Kosten reduziert. Wenn Hapag-Lloyd am Dienstag seine vorläufigen Jahreszahlen veröffentlicht, soll zumindest das operative Ergebnis endlich wieder positiv sein.
Doch auf den Weltmeeren bleibt die Situation für Hapag-Lloyd schwierig. In Deutschland ist Hapag-Lloyd schon lange die größte Reederei. International rutscht das Unternehmen in der Rangliste weiter nach unten. Vor einem Jahr kam Hapag-Lloyd auf Platz vier. Heute ist sie nur sechstgrößte Reederei der Welt. Rolf Habben Jansen muss die Frage beantworten, ob Hapag-Lloyd noch die kritische Masse hat, um beim Kräftemessen auf den Weltmeeren mithalten zu können.
Acht Jahre in der Krise
Im achten Jahr der Schifffahrtskrise ist die See rau wie nie. Es gibt zu viele Schiffe für zu wenig Containern auf den Meeren. Die Transportpreise sind im Keller. Mittlerweile ist die Not so groß, dass viele Reedereien ihre Schiffe an asiatischen Inseln oder norwegischen Fjorden abstellen, statt mit ihnen von Hafen zu Hafen zu pendeln.
Zwischen Asien und Europa, der wichtigsten Schifffahrtsroute, ist die Transportmenge im vergangenen Jahr um vier Prozent gesunken, ermittelte der Analysedienst Container Trades Statistik. Viele Reedereien schreiben Rekordverluste. Der Branchendienst Drewry prognostiziert, dass die Branche in diesem Jahr einen Verlust von fünf Milliarden Dollar anhäuft.
Die Unternehmen suchen deshalb nach Partnern, um sicher durch die schwierigen Zeiten kommen. Eine Übernahmewelle rollt über die Weltmeere. Und Hapag-Lloyd droht immer weiter zurückzufallen.
Neue Riesen-Reedereien entstehen
Gerade erst fusionierten die beiden größten Chinesischen Reedereien. Aus Cosco und China Shipping wird China Cosco Shipping Cooperation (Coscocs). An den Marktanteilen gemessen, belegt das neue Unternehmen auf Rang vier der größten Reedereien.
Wenige Wochen vorher gab die französische Reederei CMA CGM bekannt, dass sie für umgerechnet 2,2 Milliarden Euro die kriselnde Neptune Orient Lines (NOL) übernehmen werde.
»Größe ist wichtiger denn je«, erklärte Rodolphe Saadé, die Nummer zwei bei der französischen CMA CGM. Damit stärken die Franzosen ihre Position als Dritter in der Weltrangliste.
Für Hapag-Lloyd ist das schon deshalb ärgerlich, weil die Hamburger eine Vergangenheit mit der singapurischen NOL haben. 2008, im ersten Jahr der Krise, wollten die Asiaten den deutschen Konkurrenten aufkaufen. Die Stadt Hamburg und der Großspediteur Klaus-Michael Kühne verhinderten das, weil sie sich selbst für Milliardenbeträge bei Hapag-Lloyd einkauften.
Einflussreiche Großaktionäre
Klaus-Michael Kühne hat seine Milliarden mit seinem Speditionsriesen Kühne und Nagel verdient. Der gebürtige Hamburger ist in der Finanzkrise als Retter bei Hapag-Lloyd eingestiegen, vor dem Börsengang hielt er 20,8 Prozent. Beim Börsengang kaufte er noch mal Aktien im Wert von 27,5 Millionen Euro. Kühne hat sich mit der Stadt Hamburg und CSAV zu einem Aktionärspool zusammengeschlossen. Die drei Großaktionäre haben sich verpflichtet, in den nächsten Jahren gemeinsam die Mehrheit an Hapag-Lloyd zu halten.
Andronico Luksic Craig wurde durch die Fusion der chilenischen Reederei CSAV mit Hapag-Lloyd zum größten Aktionär der Reederei. Der Chilene stammt aus einer der reichsten Familien Südamerikas. Über seine Holding Quienco kontrolliert er CSAV, denen vor dem Börsengang 34 Prozent der Hamburger Reederei gehörten. CSAV hat im Rahmen des Börsengangs weitere Aktien für 27,5 Millionen Euro gekauft.
Die Stadt Hamburg hielt vor dem Börsengang 23,2 Prozent der Anteile an Hapag-Lloyd. Die Stadt sprang der traditionsreichen Reederei in der Krise bei und hat sich verpflichtet, einer der Ankeraktionäre zu bleiben.
Das Reiseunternehmen Tui war bis 2008 Alleineigentümer von Hapag-Lloyd. Der Reiseriese will sich aber von seinen Anteilen an der Reederei trennen und hat deshalb auch auf den Börsengang gedrängt. Vorher gehörten dem Unternehmen rund 14 Prozent der Anteile, von denen sich Tui aber nun zum Teil trennen will. Tui ist außerdem Eigentümer der Kreuzfahrtlinie Hapag-Lloyd, die mittlerweile aber nichts mehr mit der Reederei zu tun hat.
Zumindest Klaus-Michael Kühne hätte es den Asiaten gerne heimgezahlt und die nun kriselnde NOL selbst gekauft. Doch damit kam Kühne bei den anderen Aktionären nicht durch. Die Übernahme hätte eine erhebliche finanzielle Belastung dargestellt - vor allem nach der gerade erst erfolgten Übernahme der chilenischen CSAV.
Der Zeitpunkt stimmte nicht. Doch der Druck, sich weiter zu vergrößern, bleibt. »Es wäre für uns hilfreich, noch größer zu sein«, sagte Habben Jansen selbst bei einem Journalisten-Gespräch im Januar. »Wir sind offen für Möglichkeiten.«
Er weiß, in der Schifffahrt gilt: Die Größten haben die größten Vorteile. Die Branchenriesen haben Skalenvorteile beim Spriteinkauf, bei der Wartungen und dem Einsatz ihrer Schiffe. Während sie ihre Flotten weltweit flexibel einsetzen können, müssen Reedereien mit weniger Schiffen genauer überlegen, welches sie wohin schicken.
Chaos um Reeder-Allianzen
Auch deshalb haben sich die Reedereien in den vergangenen Jahren zu Allianzen zusammengeschlossen, in denen sie ihre Schiffe und Routen gemeinsam planen und verteilen. Diese Konstrukte geraten durch die Fusionen ins Wanken.
Die Allianzen der Reedereien
Der Name der Allianz "CKYHE" setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Namen der Mitglieder zusammen: Das ist die Cosco Shipping Line aus China, die japanische K-Line, Yang Ming aus Taiwan, die koreanische Hanjin und die taiwanische Reederei Evergreen, fünftgrößte Reederei der Welt.
In der Allianz "2M" haben sich die beiden größten Reedereien der Welt zusammengeschlossen, die dänische Maersk Line und die Schweizer MSC. Damit hat 2M nicht nur die meisten Marktanteile, sondern auch die größten Schiffe. Die Allianz verfügt alleine über 25 Mega-Containerschiffe mit einer Kapazität von mehr als 18.000 Standardcontainern.
Eigentlich wollten die beiden Reedereien gemeinsam mit der drittgrößten Reederei, der französischen CMA CGM, die Mega-Allianz "P3" gründen. Doch die chinesischen Kartellbehörden legten ihr Veto gegen dieses Bündnis ein.
Einer der Partner der Allianz G6 ist Hapag-Lloyd, die größte deutsche Reederei. Sie kooperiert mit den japanischen Reedereien MOL und NYK, der Orient Overseas Container Line (OOCL) aus HongKong, der Hyundai Merchant Marine (HMM) mit Sitz in Südkorea und der singapurischen NOL. Ein Mitglied wird das Netzwerk aber wahrscheinlich bald verlieren: NOL soll vom französischen Konkurrenten CMA CGM übernommen werden. Aus G6 wird dann vielleicht G5.
Nach dem die geplante Mega-Allianz P3 am Widerstand der Chinesen platzte, schuf sich CMA CGM ein neues Netzwerk: Die Franzosen, drittgrößte Reederei der Welt, kooperiert mit China Shipping (CSCL) und der arabischen Reederei United Arab Shipping Agency Company (UASC). Gemeinsam besitzen die Reedereien aktuell sieben Mega-Schiffe, sieben weitere sind geordert. Auch die Schiffe der singapurischen NOL will CMA CGM nach der Übernahme in die Allianz integrieren.
Hapag-Lloyd bildet mit fünf weiteren Reedereien die Allianz G6, zu der bisher NOL gehörte. Mit der Übernahme durch CMA CGM scheidet NOL wohl bald aus der Kooperation aus.
Schon kursieren Gerüchte, dass die Franzosen von CMA CGM gerne eine völlig neue Kooperation gründen würde, die in ihren Ausmaßen alle anderen Kooperationen übertreffen soll. Dazu wolle sich CMA CGM mit der neuen chinesischen Coscocs und deren Landsmännern Evergreen und OOCL zusammentun, berichtet der Branchendienst Alphaliner. Die neue Allianz wäre damit noch größer als die Kooperation 2M der Branchenführer Maersk und MSC.
Wetteifern um Rang 5
Vor allem würde dadurch auch die Reederei Evergreen gestärkt, mit der Hapag-Lloyd nun schon seit Jahren um den fünften Rang in der Weltrangliste wetteifern muss. Kurzzeitig konnte Hapag-Lloyd Evergreen durch die Fusion mit CSAV überholen.
Mittlerweile haben die Chinesen wieder mehr Marktanteile und ein wesentlich volleres Orderbuch. Mehr 40 neue Schiffe haben die Chinesen nach Daten des Analysedienstes Alphaliner bestellt, darunter elf Schiffe der höchsten Größenklasse mit einer Kapazität von mehr als 20.000 Standardcontainern.
Hapag-Lloyd hingegen hat seine Überlegungen, in den Markt der Mega-Containterschiffe einzusteigen, aufgegeben. Stattdessen haben die Hamburger gerade verkündet, dass sie zwei neue Schiffe für den Südamerika-Verkehr gekauft haben. Mit einer Kapazität von 3500 Standardcontainern zählen die eher zu den Zwergen der Branche.
Immerhin ist das Geschäft mit den Warenströmen innerhalb Südamerikas wesentlich profitabler als das Wettrennen auf den großen Weltmeeren. Damit »stärken wir auch unsere Position in einem attraktiven Nischenmarkt«, sagte Hapag-Lloyd-Vorstand Anthony Firmin.
Fokus auf die Nischen statt Wettstreit um die Rennstrecken: Habben Jansen scheint das für die kommenden Jahre als richtige Strategie für Hapag-Lloyd zu sehen. Er bleibt optimistisch.
2016 soll Hapag-Lloyd die Wende ganz geschafft haben, dann will Habben Jansen auch unter dem Strich endlich wieder schwarze Zahlen schreiben - und den Aktionären vielleicht sogar endlich ihre langersehnte Dividende zahlen. Auch, wenn das heißt, auf der Weltrangliste womöglich noch weiter zurückzufallen.