Harter Lockdown „Die Corona-Maßnahmen verstärken die Zombifizierung der Wirtschaft“

Wird der harte Lockdown zu einer Pleitewelle in den Innenstädten führen? Quelle: imago images

Der Winterlockdown hat die Wirtschaft ins Mark getroffen, sagt Insolvenzverwalter Lucas Flöther. Staatliche Hilfen überdecken, dass Tausende Unternehmen faktisch pleite sind und nur noch künstlich am Leben erhalten werden.

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Dieses Interview mit Lucas Flöther, einem der bekanntesten Insolvenzverwalter Deutschlands, wurde im Dezember 2020 geführt. Flöhter wird seit 1999 regelmäßig als Insolvenzverwalter oder Sachwalter im Einsatz, etwa bei den Fluggesellschaft Air Berlin und Condor, der Unister-Gruppe, dem Fahrradhersteller Mifa und der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig-West. Er ist Partner der Kanzlei Flöther & Wissing und Sprecher des Gravenbrucher Kreises, einer Vereinigung der führenden Insolvenzverwalter Deutschlands.  

WirtschaftsWoche: Herr Flöther, mitten im Weihnachtsgeschäft müssen die meisten Läden schließen, Restaurants und Cafés sind ohnehin seit Wochen dicht. Wird der harte Lockdown zu einer Pleitewelle in den Innenstädten führen?
Lucas Flöther: Alles andere würde mich wundern. Die Einzelhändler treffen die angeordneten Schließungen ihrer Geschäfte ins Mark, zumal die Branche schon vorher mit Gegenwind kämpfen musste. Der Strukturwandel und die damit einhergehende Abwanderung der Kunden ins Netz ist für Modehändler, Warenhäuser oder Elektronikketten eine gewaltige Herausforderung. Die Pandemie und Weihnachtslockdown könnten jetzt vielen Händlern den Rest geben, denn ausgerechnet die beiden wichtigsten Wochen des Jahres brechen ihnen weg.

Was müsste getan werden, um Händler und Gastronomen zu unterstützen?
Auch wenn es an der ein oder anderen Stelle hakt und Hilfsleistungen nicht immer schnell genug ausgezahlt werden, wird von der Politik viel getan und versucht. Aber klar muss auch sein, dass auf Dauer nicht immer neue milliardenschwere Rettungspakete geschnürt werden können, um Unternehmen künstlich am Leben zu halten.

Insolvenzverwalter Lucas Flöther Quelle: dpa

Schon seit Beginn der Pandemie müssen viele Unternehmen kämpfen. Trotzdem ist die Zahl der Insolvenzen gesunken. Woran liegt das?
Die Bundesregierung hat versucht, die Folgen der Krise mit einer Art Kunstgriff aufzufangen. Im Frühjahr wurde den Chefs pandemiegeschädigter Firmen vorübergehend erlaubt, auf einen Insolvenzantrag zu verzichten, sofern Aussicht auf Sanierung besteht. Seit dem 1. Oktober ist ein Insolvenzantrag bei Zahlungsunfähigkeit zwar wieder verpflichtend, für ausschließlich überschuldete Unternehmen gilt die Befreiung wegen der Coronapandemie aber weiterhin und könnte jetzt sogar nochmal verlängert werden. Die Details sind noch nicht klar, aber offenbar sollen Unternehmen, wenn sie die sogenannten November- beziehungsweise Dezemberhilfen erst mit Verzögerung ausgezahlt bekommen, auch im Januar keinen Insolvenzantrag stellen müssen, falls sie in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Und im Februar kommt dann die große Pleitewelle?
Ich rechne ab Frühjahr eher mit einem kontinuierlichen Anstieg des Wasserstands und nicht sofort mit der großen Pleitewelle. Schon für den vergangenen Herbst haben die meisten Experten deutlich mehr Insolvenzen prognostiziert. Das Gegenteil ist eingetreten, obwohl die Antragspflichten zumindest teilweise wieder gelten. Ich vermute, dass viele Geschäftsführer angeschlagener Firmen aktuell einfach den Überblick verloren haben, welche Regeln für sie gelten. Oder sie setzen schlicht auf das Motto: ‚die Hoffnung stirbt zuletzt‘.

Welche Folgen hat das? 
Zum einen ist es für den Firmenchef sehr riskant. Geschäftsführer haften mit ihrem privaten Vermögen, wenn sie zu spät Insolvenz anmelden. Zum anderen sinken schlicht die Chancen einer Sanierung. Je früher sich Unternehmer oder Manager Hilfe suchen, desto besser sind in der Regel die Möglichkeiten, die Firma zu erhalten. Zudem wird durch solche Verschleppungen auch viel Vertrauen innerhalb der Wirtschaft zerstört. In normalen Zeiten sorgt das Insolvenzrecht dafür, dass Unternehmen vom Markt verschwinden, die über kein tragfähiges Geschäftsmodell verfügen.

Das ist in der Coronakrise nicht mehr der Fall? 
Schon vorher haben die niedrigen Zinsen dazu geführt, dass sich selbst Firmen noch Geld beschaffen konnten, die eigentlich insolvenzreif waren. Deshalb gab es bereits vor der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht viele so genannte Zombieunternehmen. Die Corona-Maßnahmen verstärken die Zombifizierung der Wirtschaft noch. Das kann zu erheblichen Folgeschäden führen. Teilweise verkaufen Unternehmen ihre Waren zum Beispiel nicht mehr zu kostendeckenden Preisen, um kurzfristig an Liquidität zu gelangen. Dadurch können selbst gesunde Wettbewerber in den Strudel der Krise gezogen werden. Und schließlich hat das auch Folgen für Lieferanten, Kunden und andere Vertragspartner, die zum Beispiel auf unbezahlten Rechnungen sitzen bleiben.

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