Hartnäckige Engpässe Was Kunden an der Deutschen Bahn so sehr nervt

Verspätung, Überfüllung oder Totalausfall. Aber fehlende ICE- und Regionalzüge sind nur eines von vielen Symptomen der Fehler im hiesigen Eisenbahnsystem, die Fahrgäste zur Weißglut treiben.

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Diese Ziele hat die Deutsche Bahn verfehlt
Ziel nicht erreicht: Pünktlichkeit95 Prozent aller Personenzüge waren laut Bahn-Statistik in diesem Jahr maximal sechs Minuten verspätet. Das ist besser als im Vorjahr, dank des Regionalverkehrs. Doch die Fernzüge waren wie 2011 nur zu 80 Prozent pünktlich, mit der Tendenz zu mehr Verspätung. Von Juli bis Oktober sank die Pünktlichkeit teilweise unter 75 Prozent, Zugausfälle nicht eingerechnet. Als Begründung nennt die Bahn unter anderem „Baugeschehen“. Quelle: dpa
Ziel nicht erreicht: AchsenSeit Sommer 2008 muss die Deutsche Bahn ihre Radsatzwellen etwa zehn Mal häufiger auf Risse kontrollieren als bislang. Für einen ICE 3 bedeutet das einen mehrstündigen Werkstattaufenthalt nach 30.000 statt 300.000 Kilometern. Dadurch sind ständig fünf Prozent der ICE-Flotte weniger unterwegs. Der Einbau neuer Achsen beginnt frühestens 2013. Entspannung ist allenfalls für 2014 zu erwarten. Quelle: dapd
Ziel nicht erreicht: FlotteWeil Hersteller nicht wie bestellt liefern, fehlen der Deutschen Bahn weitere Züge. Siemens wollte bis Ende 2011 neue ICE-Züge bauen, die nach Frankreich und Belgien fahren können – Fehlanzeige. Zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember wollte Siemens acht der bestellten 16 Züge liefern und einen ICE später gratis – die Flitzer erhielten wegen Softwarefehlern keine Zulassung, ein Termin ist offen. Anders ist die Situation bei den ICEVorgängern, den Intercity-Zügen. Einige haben 40 Jahre auf dem Buckel – und wirken entsprechend schäbig. Zwar modernisiert die Deutsche Bahn nun 800 Wagen. Doch weil es keine Ersatzzüge gibt, muss sie ständig rund 150 Wagen aus dem laufenden Betrieb nehmen, die dann dort fehlen. Das verschärft den Mangel an Fahrzeugen weiter. Die aufgemöbelten Waggons ähneln den ICE – Velours in der zweiten, Leder in der ersten Klasse. Bis 2014 soll die 200-Millionen- Euro-Modernisierung laufen. Erste renovierte Züge fahren allerdings zwischen Köln und Hamburg, wo die Bahn neuerdings gegen private Konkurrenz antritt – ein Schelm, der Böses dabei denkt. Quelle: obs
Ziel nicht erreicht: Fernziel London2012 wollte die Deutsche Bahn die britische Hauptstadt anfahren. Daraus wird auf absehbare Zeit nichts, denn der Bahn fehlen geeignete Züge. Selbst die 17 neuen ICE-Züge von Siemens, deren Einsatz sich nun weiter verzögert, fahren maximal bis zum Tunnel unter dem Ärmelkanal. Eine Zulassung für England ist nicht absehbar. Quelle: REUTERS
Ziel teilweise erreicht: Komfort2010 kamen Reisende wegen Überhitzung ins Krankenhaus. Seitdem modernisiert die Bahn die Klimaanlagen ihrer 44 ICE der zweiten Generation. 32 sind fertig und trotzten den Temperaturen an dem heißen Wochenende im September. Im Juli 2013 sollen alle 44 ICE 2 so weit sein. Die Intercity- Züge dagegen bleiben anfällig. Ihre Klimaanlagen laufen weiterhin immer wieder heiß, bei 40 Grad an einem Sonntag im August fielen rund fünf Prozent aus. Besserung ist nur langsam in Sicht. Neue Verdichter, Verflüssigungsaggregate und gereinigte Klimakanäle sollen bis Ende 2014 Abhilfe schaffen. Auch die Bordrestaurants haben Probleme: Im Sommer fielen reihenweise Kühlschränke aus, weil der Temperaturfühler streikte. Die Ursachen sind nur teilweise behoben. Unzuverlässig arbeiten auch die Geräte, die das Essen erhitzen. Sie laufen ab und zu über und setzen ganze Restaurants unter Wasser. Ebenso geben Spülmaschinen in aller Regelmäßigkeit den Geist auf. Die Folge: Benutztes Geschirr wird an Bahnhöfen gegen sauberes ausgetauscht. Die Bahn hat inzwischen den Hersteller gewechselt. Immerhin werden mittlerweile auch Vegetarier satt. Flexibler und kundenfreundlicher sollen die neuen ICx-Züge werden, die ab 2016 einen Teil der Fernverkehrsflotte ablösen. Experten der Nahverkehrsberatung Südwest haben aber gleichzeitig auch weniger Platz für die Reisenden errechnet. Rund 2,5 Sitze pro Quadratmeter quetscht die Bahn in den neuen ICx. Bei den aktuellen ICE-Zügen sind es weniger als zwei. Der neue ICE bekommt beim Komfort von den Consultern daher nur die Note ausreichend. Gut schnitten die ersten ICE-Generationen ab. Quelle: dapd
Ziel nicht erreicht: Internet im ZugErst ein Drittel der Hochgeschwindigkeitsstrecken und ein Drittel der ICE-Flotte sind so ausgerüstet, dass Internet-Empfang über einen Hot-Spot möglich ist. Auch der bloße Mobilfunkempfang ist oft mangelhaft. Erst 2014 sollen alle ICE-Züge mit WLAN ausgerüstet sein. Nahverkehrszüge und die modernisierten Intercitys bleiben empfangsfrei. Der Thalys, ein Gemeinschaftszug der belgischen, niederländischen und französischen Bahn, bietet zwischen Köln und Brüssel WLAN an – die Deutsche Bahn nicht. Quelle: REUTERS
Ziel erreicht: SympathieBahn-Chef Grube sorgte bei den Beschäftigten für bessere Stimmung. Unter den beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands stieg die Bahn bei Wirtschaftswissenschaftler von Rang 57 auf Rang 37 und bei Ingenieuren von Rang 21 auf Rang 19. Bis 2020 soll die Bahn nach Grubes Willen zu den Top Ten gehören. Kunden loben, wie die Bahn über Facebook und Twitter mit den Fahrgästen kommuniziert. Quelle: dapd

Wenn Christian Appelt über seine Fahrten mit dem ICE in den vergangenen Jahren redet, spricht er gerne vom „503er“, „206er“ oder „515er“. Die Nummern, die zu jedem ICE im Fahrplan stehen, sind für den 49-Jährigen Synonyme für die vielen Bahnverbindungen geworden, die er regelmäßig nutzt.

Seit Jahren ist der Unternehmensberater Inhaber einer Bahncard 100 für die erste Klasse, die ihn pro Jahr 6.690 Euro kostet und zum unbegrenzten Zugfahren in Deutschland berechtigt. Mehrmals die Woche reist er quer durch die Republik. Rund eine Million Zugkilometer hat Appelt seit 2001 zurückgelegt. „Die Bahn“, sagt er, „ist eigentlich das beste Fortbewegungsmittel.“

Trotzdem hat Appelt seine Bahncard 100, deren Gültigkeit gerade endete, nun nicht wieder verlängert, sondern gibt sich künftig mit einer Bahncard 50 Erster Klasse für 482 Euro zufrieden.

So denkt das Netz über die Deutsche Bahn

Es war dieser Tag im vergangenen September, der Appelts Liebe zur Deutschen Bahn (DB) zerbrechen ließ. Wieder einmal saß der Westfale im ICE 503 von seinem Wohnort Hagen nach Basel. Laut Fahrplan schafft der Hochgeschwindigkeitszug die rund 550 Kilometer lange Strecke in weniger als fünf Stunden. Doch dieser Tag war wieder einmal kein normaler. Wegen einer Stellwerksstörung in Solingen erreicht der ICE 503 Karlsruhe, wo Appelt nach Basel umsteigen muss, mit 70 Minuten Verspätung. Als Appelt in den Bahnhof einfährt, sieht er den ICE, der ihn und andere Reisende außerplanmäßig aufnehmen und nach Basel befördern sollte, vor der Nase abfahren. Appelt muss den nächsten Zug nehmen und erreicht Basel mit zwei Stunden Verspätung. Sein Geschäftstermin ist geplatzt, die ganze Reise sinnlos.

Darüber kann sich Appelt die nächsten Stunden nicht beruhigen. Am Abend macht er seiner Wut schließlich auf der Internet-Web-Site ice-treff.de Luft. „Diese DB der Jetzt-Zeit ist für vernünftiges Arbeiten nicht mehr benutzbar“, schimpft er und droht: „Wir werden SOFORT alle Bahncard 100s in der Firma kündigen! Es reicht!“ Appelt arbeitet mit zwölf freiberuflichen Kollegen zusammen. Rund 80.000 Euro könnte die Deutsche Bahn verlieren, sollte die gesamte Truppe um Appelt nach Ende der Laufzeit wie er ihre Bahncards 100 nicht verlängern.

In Hassliebe verbunden

Die jährlichen Fahrplanwechsel bei der Deutschen Bahn sind Tage des Selbstlobs, der Kritik durch Fahrgastvertreter, der Vor- und der Rückschau, kurz: der Bilanz. Wenn es am kommenden Wochenende wieder so weit ist, wird Bahn-Chef Rüdiger Grube alles versuchen, die jüngsten Meldungen über weitere Verzögerungen bei der Inbetriebnahme neuer ICE- sowie neuer Regionalzüge vergessen zu machen.

Es gibt neue Direktverbindungen von Düsseldorf nach Stuttgart. Auch für den Winter ist besser vorgesorgt. Die Bahn setzt zusätzliche Anlagen ein, um vereiste Züge abtauen zu können. Alle 48.000 Weichen auf Strecken mit Personenverkehr werden beheizt, 6.000 Weichen zusätzlich mit Abdeckungen gegen Eisbrocken geschützt. Durch den vorübergehenden Einsatz von Intercity- anstelle von ICE-Zügen bis zum 15. März soll es mehr Reservezüge geben.

Das Eisenbahnsystem kränkelt

Die skurrilsten Durchsagen der Bahn
„Die Weiterfahrt wird sich in Leverkusen verzögern. Wir werden von einem hochwichtigen Zug überholt“, zwitscherte @BahnAnsagen beispielsweise in die Runde. Die - unbekannten - Betreiber des Accounts nehmen auf, was ihnen ihre Follower aus ganz Deutschland schicken. Auf unserem Bild sieht man übrigens, wie der französische TGV in Stuttgart ankommt und begeistert empfangen wird. Quelle: dpa
Auch der nächste Tweet nimmt die Verspätungen der Deutschen Bahn aufs Korn: „Durchsage im Zug am Bahnhof Hamm: 'Wir warten noch auf auf Fahrplanabweichungen'.“ Ein anderer Twitter-Nutzer antwortet mit ironischem Unterton: „Bei der S-Bahn in Stuttgart muss man da nicht drauf warten. Einfach an den Bahnsteig stellen, und sie sind da.“ Quelle: dpa
Dieser Tweet kommt wohl ohne Kommentare aus: „An das Zugpersonal: Bitte die Türen noch einmal öffnen, damit der Zugführer einsteigen kann!“ Quelle: dpa
Die armen Zugbegleiter haben es aber auch nicht immer leicht. Eigentlich wollen sie sich nur artig bedanken - und dann das: „Wir wünschen einen angenehmen Abend und danken, dass Sie uns benutzt haben.“ Quelle: AP
Dieser Tweet wird vor allem Pendler, die viel im Ruhrgebiet oder Düsseldorf unterwegs sind, zum Lachen bringen: „Ist etwas voll geworden. Sonst wären wir auch nicht die S1“, so eine Lautsprecherdurchsage in der S-Bahn-Linie 1. Im Ursprungs-Tweet war die Rede davon, dass die Ansage in Köln aufgeschnappt worden sein soll. Allerdings - in Köln gib es keine S1. Tatsächlich verkehrt die Bahn zwischen Solingen und Dortmund. Die beschriebene Situation dürfte allerdings trotzdem vielen bekannt vorkommen oder, wie @BahnAnsagen schreibt: „Der Inhalt der Aussage transportiert sich auch so, ob nun S1, U1 oder RE1.“ Quelle: AP
Und wieder eine Verspätung - und ein kleiner Versprecher: „Wie Sie gemerkt haben, sind wir 7,5 Minuten später gestartet. Wir bitten Sie, dies zu bedauern!“ Quelle: dpa
Auch Fotos zwitschert @BahnAnsagen. Wie zum Beispiel dieses hier (Screenshot) mit der Anmerkung: „Lässt die Bahn jetzt Raum für eigene Notizen?“ Quelle: Screenshot

Doch selbst Bahn-Enthusiasten wie Appelt wird Grube damit nicht gewogen stimmen. Dazu krankt das deutsche Eisenbahnsystem an zu vielen Fehlern, deren Beseitigung in nächster Zeit nicht zu erwarten ist. Was Viel- wie Gelegenheitsfahrer immer wieder zu Wutausbrüchen treibt, wird der Fahrplanwechsel nicht im Ansatz verhindern. Dazu sind die Pannen und Unzulänglichkeiten zu sehr nur Symptome tief sitzender Probleme, die zu lösen Jahre und Milliarden Euro kostet. Die teils fremd-, teils selbst verschuldeten Fehler werden Kunden auch weiterhin so bitter aufstoßen, dass viele von ihnen mit der Bahn bestenfalls eine Hassliebe verbindet.

Auf unbestimmte Zeit am Limit

Die Deutsche Bahn steckt in einem Dilemma. Sie will den Fernverkehr zur Hochglanzsparte aufpolieren, doch ausgerechnet hier wiegen die Systemfehler besonders schwer.

Die ICE- und Intercity-Züge sollen 2015 laut interner Planung mehr Gewinn einfahren als der staatlich gepäppelte Regionalverkehr. Im vergangenen Jahr spülten sie rund 3,8 Milliarden Euro in die Bahn-Kasse. Der operative Gewinn vor Zinsen und Steuern lag bei 157 Millionen Euro – ein Plus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres konnte der Konzern zudem die Zahl der Fahrgäste gegenüber dem Vorjahreszeitraum um vier Prozent auf mehr als eine Milliarde steigern – ein neuer Rekord. Die Auslastung legte in den vergangenen Monaten außerdem auf mehr als 50 Prozent zu. Die Bahn fährt im Fernverkehr damit ihrem besten Ergebnis entgegen.

Trotzdem leidet das Geschäft seit Jahren an einem Grundübel, das die Bahn in den kommenden Jahren kaum beseitigen kann: Die Flotte ist mittlerweile viel zu klein und teilweise völlig veraltet.

Übersicht zur Infrastruktur der Bahn (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Die Ursachen dafür reichen weit zurück. Manche sind selbst verschuldet. So gibt es im Eisenbahngeschäft, anders als in der Flugbranche, keinen Secondhand-Markt. Die Deutsche Bahn und ihre staatlichen europäischen Schwesterunternehmen pflegten seit Jahren ihr Gesicht des hässlichen Monopolisten. Lieber verschrotteten sie die meisten alten Waggons, als dass sie einen Gebrauchtfahrzeugmarkt etablierten, auf dem sich Konkurrenten schnell und einfach bedienen könnten. Gäbe es diesen, hätte die Deutsche Bahn kurzfristig Züge als Notreserve kaufen können.

Die Ressourcenverschwendung rächt sich bitter, seit im Juli 2008 ein ICE bei der langsamen Einfahrt in den Kölner Bahnhof entgleiste, weil eine Radsatzwelle geborsten war. Seitdem müssen alle ICE der dritten und neuesten Generation bis zu zehn Mal häufiger als früher zur Kontrolle in die Werkstätten. Im täglichen Betrieb fehlen der Deutschen Bahn dadurch zwölf Züge. Während die Nachfrage nach Bahnreisen seit 2009 um neun Prozent zugenommen hat, ist die Anzahl der verfügbaren Sitzplätze dadurch um vier Prozent gesunken. Ein Problem, unter dem die Fahrgäste vor allem zu Stoßzeiten leiden.

„Ich sehne mich nach dem Tag, an dem wir mehr Züge bekommen“, sagte Bahn-Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg im September. Doch darauf muss er weiter warten. Eigentlich sollte Siemens acht neue ICE-Züge bis Dezember liefern, mit denen Homburg eine kleine Reserve für den bahnfeindlichen Winter aufbauen wollte. Doch die nagelneuen High-Tech-Wunder bremsen nicht so prompt, wie das Eisenbahnbundesamt es verlangt, weswegen die Behörde die Zulassung jetzt verweigerte. Vielleicht kommen die Züge nun im Frühjahr – eineinhalb Jahre später als von Siemens vertraglich zugesagt.

Das Oligopol der Eisenbahnindustrie

Eineinhalb Jahre Verspätung - Siemens-ICE der neuesten Generation Quelle: dapd

Schuld hat die Eisenbahnindustrie, die sich in den vergangenen 20 Jahren zum Oligopol entwickelte. Konzerne wie Siemens, der kanadische Anbieter Bombardier und Frankreichs Alstom teilen sich das Geschäft zumindest in Europa mehr oder weniger friedlich untereinander auf oder kooperieren sogar. Wer erst einmal einen Großauftrag gewonnen hat wie Siemens 2008 als alleiniger Bieter für den neuen ICE, kann sich danach fast alles erlauben.

So war Alstom-Managern nach Informationen der WirtschaftsWoche schon 2008 klar, dass sie die verlangten ICE wegen der komplexen Zulassungsprozedur nicht wie von Siemens versprochen bis 2011 würden liefern können. Die Franzosen zogen sich deshalb aus dem Bieterverfahren zurück. Der Auftrag ging unter dem damaligen Bahn-Chef Hartmut Mehdorn an Siemens, die Quittung erhält nun Nachfolger Grube.

Dennoch entschied der sich im Mai 2011, den gigantischen Auftrag über bis zu 220 ICE der künftigen Generation von 2016 an für sechs Milliarden Euro ebenfalls an Siemens zu vergeben. Alstom wollte sich dem Vernehmen nach von Grube nicht dazu bewegen lassen, ein Gegenangebot zu unterbreiten. Die Franzosen ahnten vermutlich, dass ein deutsches Staatsunternehmen wie die Bahn einen solchen Auftrag mit Blick auf die Jobs kaum ins Ausland vergeben würde.

Bahn im Test: Gute Zugbegleiter, schlechte Informationspolitik
Sauberkeit der Bahnhöfe (2,3)Zwei Drittel der Befragten sind mit der Sauberkeit deutscher Bahnhöfe zufrieden: 52,7 Prozent der Befragten bewerteten die Sauberkeit als gut, 14,2 Prozent als sehr gut. Durchschnittlich erhalten die deutsche Bahnhöfe in puncto Sauebrkeit die Schulnote 2,3. Am saubersten scheint es im Osten zu sein, dort gab es im Schnitt eine 1,9. Ganze 30,7 Prozent bewerteten die Sauberkeit mit „sehr gut“, lediglich 9,1 Prozent vergaben in Westdeutschland diese Note. Doch auch die dortigen Bahnhöfe müssen sich mit der schlechtesten Durchschnittsnote von 2,5 nicht verstecken. Quelle: dapd
Ausstattung der Züge (2,4)40 Jahre hat die IC/EC-Flotte der Deutschen Bahn durchschnittlich auf dem Buckel. Das spiegelt sich auch in den Umfrage-Ergebnissen wieder: Während die ICE-Ausstattung durchschnittlich eine 2,2 erhielt, war es bei den restlichen Zugarten lediglich eine 2,7. Während 69,9 Prozent der Befragten die ICE-Ausstattung mit „sehr gut“ oder „gut“ bewerteten, waren es bei den ICE und EC lediglich 44,1 Prozent. Vergangenes Jahr hat die Deutsche Bahn immerhin 27 neue Doppelstock-Züge für den Fernverkehr bestellt, die ab Ende 2013 auf den Schienen rollen sollen. Im Schnitt reichte es für alle Züge immerhin für die Note 2,4. Quelle: dpa
Sauberkeit der Zugtoiletten (2,8)Die Zugtoiletten müssen laut VCD dringend sauberer werden. Weniger als die Hälfte der Befragten sieht die Toiletten der Fernverkehrszüge nämlich als sauber an – 47,5 Prozent gaben ihnen die Noten „sehr gut“ oder „gut“. Deutlich unter dem Durchschnitt liegen die IC/EC-Toiletten mit 37,3 Prozent und der Note 3,1. Die ICE-Toiletten bewerteten 52,3 Prozent positiv (Note 2,7). Deshalb fordert der VCD, dass die Toiletten in kürzeren Abständen und auch während der Fahrt gereinigt werden. Quelle: AP
Zugbegleiter (2,1)Die Mehrheit der Befragten findet das Personal in Fernverkehrszügen kompetent und freundlich. 24,4 Prozent bewerteten es mit „sehr gut“, 53,7 Prozent mit „gut“ – insgesamt gab es eine 2,1. Diese Durchschnittsnote gab es für alle Fernverkehrszüge, also IC, EC und ICE. Quelle: dpa
Servicepersonal für Speisen und Getränke (2,3)Das Zugpersobnal, das sich in Fernverkehrszügen um Essen und Trinken kümmert schnitt zwar auch gut ab, aber einen Tick weniger als die Zugebegleiter. Sie erhielten eine Durchschnittsnote von 2,3 Prozent. Die Kellner, Köche und Barkeeper in IC und EC schnitten jedoch mit 2,5 schlechter ab, als ihre Kollegen im ICE (2,3). Quelle: AP
Verständlichkeit der Durchsagen am Bahnhof (2,5)17,9 Prozent der Befragten erlebten zwischen April und September eine verspätete Abfahrt, in der Hauptverkehrszeit waren es sogar 27,9 Prozent. Die Lautsprecherdurchsagen, die darauf hinweisen, sind jedoch oftmals nicht verständlich. Der VCD nennt dafür entweder eine zu laute Geräuschkulisse oder schlechte Lautsprecher als Gründe. Immerhin 57,5 Prozent verstehen die Durchsagen in Deutschland gut oder sehr gut – dafür gibt es die Gesamtdurchschnittsnote 2,5. Am besten verstehen Bahnreisende die Durchsagen in Norddeutschland, dort gaben ihnen 63,3 Prozent der Befragten die Noten „gut“ oder „sehr gut“ (Durchschnittsnote 2,4). Schlechter zu verstehen, sind die Durchsagen im Westen mit der Note 2,6: 55,6 Prozent verstehen sie dort zwar gut oder sehr gut, 44,4 geben ihnen jedoch nur die Noten „befriedigend“ oder schlechter. Quelle: dpa

Aus dieser Zwickmühle kommt die Bahn allenfalls langsam heraus. Konzernchef Grube hat das Manko zumindest erkannt und begonnen, die Zahl der Zuglieferanten zu erhöhen. Mit Hitachi aus Japan, Pesa aus Polen und CAF aus Spanien hat die Bahn inzwischen drei weitere Hersteller gewonnen, die mit Regionalzügen gegen die bisherigen Anbieter antreten – und vielleicht auch irgendwann einmal mit Fernzügen. Doch das wird dauern, wenn es überhaupt jemals dazu kommt. Wahrscheinlicher ist sogar, dass Konkurrenten der Deutschen Bahn mit Hochgeschwindigkeitszügen wie dem AGV von Alstom hier auftauchen. In Italien ist genau das passiert, und der Wettbewerb zwischen Neapel und Mailand brummt.

Hartnäckige Engpässe

Es gab Zeiten, da galt bei der Bahn: Niemals soll ein ICE den Bahnhof verlassen, während gerade ein anderer ICE mit Anschluss-Reisenden einfährt. Für so viel Kulanz fehlen inzwischen aber nicht nur die Züge, sondern an großen Bahnhöfen zudem die Gleise für wartende Züge.

Am größten ist die Verzweiflung der Fahrgäste, die wie Ex-Bahncard-100-Besitzer Appelt ihrem Anschlusszug hinterherschauen, immer wieder in Köln, Mannheim und Hannover. Die Bahnhöfe sind zentrale Umsteigestationen. In Köln teilen sich zum Beispiel die Strecken nach Düsseldorf und nach Hagen, in Hannover wechseln Reisende die ICE Richtung Hamburg oder Berlin sowie nach Köln oder Frankfurt.

Passagiere unter Zeitdruck

Die beliebtesten Bahnhöfe 2012
Der Bremer Hauptbahnhof erhält den Titel "Großstadtbahnhof des Jahres 2012". Quelle: dapd
Für Städte bis zu 100.000 Einwohner gibt es den Titel "Kleinstadtbahnhof". Gewinner in diesem Jahr: Der Hauptbahnhof Aschaffenburg. Die Allianz Pro Schiene hat 2012 auch den "Sonderpreis Tourismus" ausgelobt - diesen Titel erhielt der Bahnhof in Bad Schandau, in der Sächsischen Schweiz. Um die Preisträger zu ermitteln, wurden die Bahnkunden aufgerufen, ihre Lieblingsbahnhöfe zu nominieren. Eine fünfköpfige Jury der Allianz pro Schiene hat die Bahnhöfe schließlich anhand einer Checkliste geprüft und so den Sieger ermittelt. Quelle: dapd
Im vergangenen Jahr ging der Titel an den Hauptbahnhof Leipzig (im Bild) und Halberstadt. Quelle: AP
Im Jahr 2010 ging der Titel an die Hauptbahnhöfe in Darmstadt (im Bild) und Baden-Baden. Quelle: dpa
Die Sieger des Jahres 2009: Die Hauptbahnhöfe in Erfurt und Uelzen.
Die Sieger im Jahr 2008: Der Hauptbahnhof in Karlsruhe. Quelle: dpa
Im gleichen Jahr erhielt auch der Hauptbahnhof in Schwerin den Titel Bahnhof des Jahres in der Kategorie "Städte unter hunderttausend Einwohner". Quelle: dpa

Für Senioren und Familien mit kleinen Kindern ist der Umstieg in Hannover, für den der Fahrplan acht Minuten vorsieht, schon eine sportliche Herausforderung. In der Praxis ist der Wechsel des Zuges jedoch ein erfolgloses Querbahnsteigeinrennen. Denn allzu oft sind die Züge so verspätet, dass zum Umsteigen nur noch eine Minute bleibt. Der Bahnhof Hannover und seine Vielfahrer-Lounge strotzt dann vor genervten Kunden. Schuld sind fehlende Gleise. In der Hauptverkehrszeit reichen selbst zehn Gleise für den Nah- und Fernverkehr oft nicht mehr aus, weil die vorhandenen Schienenwege für nachfolgende Züge freigegeben werden müssen.

Zu den Engpässen auf der Schiene kommen unsichtbare wirtschaftliche Zwänge. So reißt in Mannheim die Reisekette häufig ab und treibt den Adrenalinspiegel der Fahrgäste in die Höhe. Denn hier treffen die Züge in Richtung München und Frankfurt auf diejenigen von und nach Basel. „In Hauptverkehrszeiten werden bis zu 30 Prozent der Anschlussverbindungen nicht erreicht“, sagt Felix Berschin von der Nahverkehrsunternehmensberatung Südwest.

Ursache sind auch drohende Strafen. Wenn etwa der ICE von Berlin über Basel nach Interlaken nicht zur vereinbarten Zeit das eidgenössische Schienennetz erreicht, verdonnern die Schweizer Bundesbahnen (SBB) ihre deutschen Kollegen zu saftigen Strafzahlungen. Ein ICE, der deswegen in Mannheim nicht auf einen verspäteten Zug aus dem Norden wartet, erspart der Bahn zusätzliche Kosten.

Auch Regionalzüge fahren möglichst auf die Minute ab, weil sie sonst unnötig Geld verschlingen. Insbesondere private Bahn-Konkurrenten vermeiden dadurch empfindliche Vertragsstrafen von ihren Auftraggebern, den Verkehrsverbünden und Bundesländern. Wartende Fahrgäste dagegen kosten die Bahnunternehmen nichts.

Vergleich zur Geschwindigkeit der Bahn 1995 und heute (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Zumindest teilweise Abhilfe brächte ein deutschlandweiter Takt-Fahrplan, weil dieser der Bahn helfen würde, die Anschlüsse zu halten. Dazu müsste der Bund als Hauptfinanzier das Schienennetz entsprechend ausbauen. In der Praxis stecken die Politiker Geld aber lieber in den Bau prestigeträchtiger schneller Punkt-zu-Punkt-Verbindungen wie die fünf Milliarden Euro teure Schnellstrecke Nürnberg–Erfurt.

Nur langsam greift die Einsicht, dass dies nicht den Reisenden dient. Bundesverkehrsminister Peter Raumsauer (CSU) will nun nach Informationen der WirtschaftsWoche eine Machbarkeitsstudie zum sogenannten Deutschland-Takt ausschreiben. Ziel ist der Bau nur noch solcher neuer Strecken, die dem optimalen Fahrplan dienen. Doch bis es so weit ist, wird noch eine Pendler-Generation ins Land ziehen.

Störungen durch alte und anfällige Gleise

Der Kölner Hauptbahnhof gilt Vielfahrern als Hölle am Rhein. Während die S-Bahnen im Minutentakt geschmeidig mit Tempo 50 über die Hohenzollernbrücke in Richtung Gleis 11 ziehen, bekommen die Reisenden im ICE die Skyline der Domstadt meist länger zu sehen, als ihnen recht ist. Denn wenn der Hochgeschwindigkeitszug von seiner Tempo-300-Rennstrecke aus Frankfurt naht, wird ihm häufig die Einfahrt auf einem der verstopften Gleise für die ICE verwehrt. Und/oder die uralten Weichen vor dem Hauptbahnhof erlauben dem weißen Blitz nur Schrittgeschwindigkeit.

Ungelöste Probleme

Die größten Pannen der Deutschen Bahn
Juli 2015Wegen der großen Hitze sind die Luftkühlungen mehrerer IC-Züge ausgefallen. Anders als im Sommer 2010 reagierte die Bahn diesmal schnell: Sie stellte für die besonders betroffene Linie Berlin-Amsterdam zwei Ersatzzüge bereit. Sie sollen eingesetzt werden, wenn die Luftkühlung in anderen IC auf der Strecke versagt, wie ein Sprecher mitteilte. Außerdem wurden in Osnabrück mehrere Busse stationiert. Dort mussten insgesamt mehrere Hundert Fahrgäste in nachfolgende Züge umsteigen, weil in ihren Zügen die Klimaanlage ausgefallen war. Es habe aber kein Fahrgast gesundheitliche Probleme bekommen, so der Sprecher. Bei etwa einem Dutzend älterer Intercitys auf der Linie Berlin-Amsterdam hatten die Klimaanlagen ihre Arbeit eingestellt. Quelle: dpa
Oktober 2014Ein Warnhinweis sorgt für Lacher, Spott und eine Entschuldigung der Deutschen Bahn: „Cannstatter Wasen: Es ist mit Verspätungen, überfüllten Zügen und verhaltensgestörten Personen zu rechnen“ ist am Samstag auf den Anzeigetafeln an mehreren Bahnhöfen in der Region Stuttgart zu lesen gewesen, wo das Volksfest an seinem letzten Wochenende in diesem Jahr wieder Tausende Besucher anlockte. „Wir entschuldigen uns dafür“, sagte eine Bahn-Sprecherin am Sonntag und bestätigte Online-Berichte der „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“. Ein Mitarbeiter habe den Text entgegen aller Vorgaben verfasst. Er werde Anfang der Woche zum Rapport bestellt. Dann solle auch der gesamte Vorgang aufgeklärt werden. Quelle: dpa
August 2013Ein ungewöhnlich hoher Krankenstand in der Urlaubszeit sorgte im August 2013 für ein Fahrplanchaos am Mainzer Hauptbahnhof - und für massiven Ärger bei den Fahrgästen. Die Deutsche Bahn hat für das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof wegen massiver Personalprobleme auf Facebook um Entschuldigung gebeten. „Für die derzeitigen Einschränkungen möchte ich mich entschuldigen“, antwortete ein Mitarbeiter in dem Sozialen Netzwerk auf Beschwerden einer Nutzerin. Die Situation sei „wahrlich nicht schön“. Quelle: dpa
August 2013Um dem Problem der häufig verstopften und verdreckten Zugtoiletten Herr zu werden, setzt die Bahn ab sofort neue Reinigungskräfte, sogenannte Unterwegsreiniger, in ICE-Zügen ein. Die Reinigungskolonne, die auf der Fahrt die Toiletten putzt, wird um 50 Beschäftigte auf 250 aufgestockt, wie der Vorstandsvorsitzende DB Fernverkehr, Berthold Huber, ankündigte. Die Mitarbeiter sollen zugleich stärker entsprechend der Zugauslastung eingesetzt werden. Damit würden die Toiletten in besonders gefragten Bahnen mindestens zweimal und damit doppelt so oft auf der Fahrt gereinigt wie bisher. Der Fahrgastverband Pro Bahn und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) lobten die Initiative, wiesen aber zugleich auf andere Probleme hin. „Neben den kaputten oder dreckigen Toiletten gibt es tagtägliche Kundenbeschwerden vor allem über die Klimaanlagen und Verspätungen“, sagte Pro-Bahn-Bundessprecher Gerd Aschoff. Und das sind nicht die einzigen Pannen der Deutschen Bahn... Quelle: dpa
November 2011Nach der persönlichen Anmeldung im neuen elektronischen Ticketsystem „Touch & Travel“ waren für nachfolgende Nutzer die Kundendaten sichtbar. Quelle: dpa
Juli 2010Am einem Wochenende fallen in mehreren ICE-Zügen die Klimaanlagen aus. Fahrgäste kollabierten, Schüler mussten dehydriert ins Krankenhaus eingeliefert werden. Im Zuge der Panne wurde bekannt, dass die Klimaanlagen der Bahn nur bis 32 Grad funktionieren. Damals fielen in Dutzenden Zügen die Klimaanlagen aus. Quelle: dpa
April 2010 - ICE verliert TürBei voller Fahrt verliert ein ICE auf dem Weg von Amsterdam nach Basel eine Tür. Das Stahlteil schlägt in einen entgegenkommenden ICE ein. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln werden sechs Menschen leicht verletzt. Ursache für den Unfall ist eine lose Stellmutter an der Verriegelung. Foto: dpa

Damit steht die Millionenstadt nicht allein. Das verschlissene und verstopfte Schienennetz ist eines drängendsten ungelösten Probleme der Bahn. Gleise, Weichen und Brücken altern – der Instandhaltungsaufwand wird immer größer. Den Infrastrukturberichten der Bahn zufolge ist von 2005 bis 2011 das Durchschnittsalter der Weichen von 16,5 auf 19,7 Jahre, der Gleise von 19,7 auf 20,8 und der Eisenbahnbrücken von 52,4 auf knapp 55 Jahre gestiegen.

Verantwortlich dafür sind die Bahn, weil sie Geld aus den Infrastruktursparten abzieht, sowie die Bundesregierung, weil sie die nötigen Investitionen scheut, obwohl der Bund laut Grundgesetz dafür zuständig ist. Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer forderte jetzt mehr öffentliche Mittel – die Infrastruktur sei nicht „nachhaltig finanziert“. Der Bund müsste mindestens eine Milliarde Euro mehr pro Jahr in das bestehende Netz investieren, meinen Experten. „Oder die Bahn könnte selber mehr aus ihren eigenen Gewinnen ins Netz einbringen“, sagt Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Das Unternehmen ziehe derzeit mehr Finanzmittel aus der Infrastruktur, als es in das Schienennetz investiere.

Geschäftsentwicklung von DB Regio

Doch selbst mit einer Milliarde Euro mehr bliebe Deutschland bei den Investitionen pro Kilometer Schiene im europäischen Vergleich das Schlusslicht. Deutschland leistet sich zwar nach der Schweiz und den Niederlanden das am stärksten ausgelastete Netz, investiert aber derzeit jedes Jahr nur 130.000 Euro pro Schienenkilometer in den Erhalt. Die Holländer geben sieben Mal so viel dafür aus, die Schweizer fünf Mal und die Österreicher, Italiener und Spanier immerhin noch fast drei Mal so viel. Zwar hat Verkehrsminister Ramsauer 750 Millionen Euro mehr für den Verkehrsetat 2013 herausgehandelt, doch davon gehen nur 40 Millionen Euro in die Schiene. Das Gros erhält der Straßenbau.

20 Jahre ICE
ICE vor einem Sonnernuntergang
Schwarze BahnCard 100
Bahnanzeige zeigt Verspätungen
Menschen werden an einem Bahnsteig behandelt
Schnee am Bahnsteig hindert einen ICE
Bordrestaurant in einem ICE
Frau verzehrt eine Bratwurst

Zu starr und zu komplex

„Information zu ICE 951 nach Berlin Ostbahnhof. Dieser Zug verkehrt heute in umgekehrter Wagenreihung.“ Viele Reisende kennen solche Durchsagen und die Folgen: Sie stehen mit ihrer Platzkarte an der richtigen Stelle am Bahnsteig, müssen nun aber rennen und binnen Kurzem durch 400 und mehr Wartende hecheln.

Und warum? Weil die Deutsche Bahn dafür sorgte oder zuließ, dass das „Rad-Schiene-System“, wie Ex-Chef Mehdorn gern sagte, immer komplexer und damit unflexibler wurde. Dafür sorgten fast ein Jahrzehnt lang Grubes Vorgänger Mehdorn und dessen Finanzchef Diethelm Sack, indem sie die Bahn bis 2008 börsenfähig machten und dadurch an allen Ecken und Enden auf Kante nähten. Der Gang aufs Parkett scheiterte durch die Zuspitzung der Finanzkrise nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers.

An den fehlenden Reserven krankt die Bahn bis heute und vermutlich noch längere Zeit. Beispiel Hauptbahnhof Hamburg: Trifft ein ICE abends verspätet ein, und erreicht er die Werkstatt im Stadtteil Eidelstedt erst nach dem Ende der Tagesschicht, wird es knapp: Zeit und Personal reichen dann oft gerade noch aus, um den Zug über Nacht zu säubern und ihn zu warten. Den ICE dann auch noch zu wenden, um ihn am nächsten Morgen mit Waggons in der richtigen Reihenfolge loszuschicken, geht nicht mehr: dauert mindestens zwei Stunden, also zu lang, bräuchte zusätzliches Personal sowie eine nächtliche Sondergenehmigung der Leitstelle.

Auch die Waggons kurzerhand einfach elektronisch umzunummerieren ist unmöglich. Das verhindert die Anordnung des Kinderabteils, des Bordbistros, der ersten Klasse und der im Reiseplan an den Plätzen ausgewiesenen Behindertenplätze und -Toiletten.

Anzeichen für Verbesserungen

Was aus den DB Lounges wurde
1. Wann der Kaffee schon mal was kosteteEigentlich war alles mal ganz anders geplant. Als die Deutsche Bahn vor 15 Jahren ihre erste DB Lounge im Frankfurter Hauptbahnhof eröffnete, war sie „als Rückzugsort für Erste-Klasse-Reisende konzipiert“, sagt Berthold Huber, Vorsitzender der DB Fernverkehr. Die Fahrgäste mussten ihren Kaffee selbst bezahlen. Betreiber war nicht die Deutsche Bahn, sondern die damalige Bahntochter Mitropa. Erst seit 2001, als Köln mit einer eigenen Lounge folgte, gab es Heiß- und Kaltgetränke umsonst. Inzwischen ist die Lounge ein "unverzichtbarer Bestandteil der Reisekette", sagt Huber. Orientiert hat sich die Bahn zunächst an den Airline-Lounges. Inzwischen folgt sie eigenen Marktbeobachtungen. Quelle: dapd
a2. Warum eine dritte Klasse scheiterteHeute nutzen Vielfahrer mit Bahncard50 und mehr als 2000 Bahncomfort-Punkten, sprich: Fahrten im Wert von 2000 Euro pro Jahr, die Lounge. Kunden  der Ersten Klasse sowieso - für sie steht in Köln, Berlin, Frankfurt, München und Hamburg ein separates Abteil mit zusätzlichem Service zur Verfügung. Kommt der HON-Circl a la Lufthansa, mit der die Fluggesellschaft Top-Kunden ködert? "Das ist für uns aktuell kein Thema", sagt Huber. „2006 haben wir in den Lounges der wichtigsten Umsteigebahnhöfe separate Bereiche ausschließlich für 1. Klasse-Reisende eingerichtet. Auf diese Weise haben wir für alle Seiten eine zufriedenstellende Lösung gefunden.“ Damit bleibt es bei 2000 Bahncomfort-Punkten oder einer 1. Klasse Fernverkehrsfahrkarte, die zum Lounge-Zugang berechtigen. Fakt ist aber auch: Die Bahn hat schon mal über den Ausbau der Lounges auf Top-Kunden nachgedacht. Die Idee scheiterte auch daran, dass eine zusätzliche Segmentierung schwierig ist. Quelle: dpa/dpaweb
3. Wieso Werbekunden vergeblich Schlange stehen15 bis 20 Minuten warten die Leute in der Lounge  durchschnittlich, haben Messungen ergeben. "Und wer warten muss, will entspannen oder die Zeit sinnvoll nutzen, beispielsweise zum Arbeiten", sagt Huber. Es gibt Zeitungslektüre und Internetplätze sowie kostenfreien WLAN-Zugang. Mehr nicht und das wird auch so bleiben. Denn einzelne Aktionen floppten. So stand 2006 parallel zur Fußball-WM in einer Lounge ein Kicker-Tisch. "Ein Teil unserer Gäste hat diese Aktion begrüßt. Andere fühlten sich gestört", sagt Huber. „Das Ruhebedürfnis überwiegt, die Lounges sind Rückzugsort für unsere Gäste. Deshalb selektieren wir heute ganz bewusst bei den Aktionen." Dabei stehen Werbeunternehmen eigentlich Schlange, vor allem Anlageberater und Versicherungen seien interessiert. Quelle: dpa
4. Warum Berlin aus allen Nähten platztBillig ist anders. Einige Standorte kosten 30.000 Euro und mehr pro Monat. Die Lounges sind Bestandteil der Konzernsparte DB Fernverkehr. Und sie müssen groß, zentral und gut erreichbar sein. In Berlin quillt die Lounge zu Stoßzeiten wie am Freitag Nachmittag längst über. Das Unternehmen sucht nun nach neuen Räumen - angesichts der vermieteten Top-Standorte im Berliner Hauptbahnhof kein leichtes Unterfangen. Sonderkonditionen von der Konzernschwester DB Station & Service, die die Bahnhofsräume vermietet, gibt es nicht. Quelle: dpa
5. Weshalb Karlsruhe der Verlierer istDer ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn war ein großer Verfechter der DB Lounges. "Ich eröffne keinen Bahnhof mehr ohne Lounge", soll er gesagt haben. Dresden bekam eine Lounge, weil Mehdorn es wollte.  In 15 Bahnhöfen gibt es Lounges derzeit. Doch ein Ausbau wird nicht verfolgt. Karlsruhe galt zeitweise als möglicher Kandidat, doch davon hat die Bahn Abschied genommen. Grund: zu wenige Um- und Einsteiger.  Eher wird die Bahn ihre Lounges vergrößern - sofern Platz in den Bahnhöfen vorhanden ist. Quelle: AP
6. Wieso Anspruch und Wirklichkeit oft auseinander klaffenFür zahlreiche Vielfahrer ist die Lounge ein unverzichtbarer Teil ihrer Reise - vor allem, wenn ein Zug verspätet ist oder der Reisende wegen eines Geschäftstermins die Abfahrt verpasst. Kostenloses W-Lan bietet gute Voraussetzungen, um in der Lounge zu arbeiten. Sofern es keine Probleme mit dem Ausrüster Deutsche Telekom gibt. Denn eine Zeitlang schienen einige Hotspots nicht immer einwandfrei zu funktionieren. Das scheint behoben. Quelle: dpa/dpaweb

Auf die Spitze getrieben wird die Inflexibilität, weil die ICE-Züge quasi am Stück gebaut sind. Einen der acht Wagen einfach mal eben abzukoppeln, zum Beispiel weil er technische Probleme bereitet, fällt im Gegensatz zum alten Intercity aus. Zwar ist das Auswechseln eines Wagens grundsätzlich denkbar. Doch Insider berichten von mindestens „einem halben Tag, allein um einen einzelnen Wagen auszutauschen“. Hinzu komme eine oft mehrstündige Anfahrt zu einer der Bahn-Werkstätten.

Immerhin gibt es Anzeichen für Verbesserungen. Die starre Anordnung der Waggons wird bei der neuen ICE-Generation der Vergangenheit angehören. Siemens und die Deutsche Bahn haben sich auf ein revolutionäres Konzept verständigt, das die Zuglänge problemlos an die Nachfrage auf einer Strecke anpassen kann. Doch bis dahin werden noch viele Züge in falscher Reihenfolge durchs Land rattern – denn die neuen kommen frühestens 2016 – wenn Siemens das bis dahin schafft.

Eine U-Bahn ohne Lokführer

Online-Verbindung vielfach nicht möglich

Konzernchef-Grube will die Bahn moderner und komfortabler machen, kann die geweckten Erwartungen aber häufig nicht erfüllen. So wirbt die Bahn mit einem „besonderen Service“. In vielen ICE-Zügen mit WLAN könnten sich die Fahrgäste „drahtlos ins Internet einloggen – und das sogar bei bis zu 300 km/h“, heißt es auf der Web-Site des Konzerns. „Kein anderes Verkehrsmittel bietet so optimale Bedingungen zur Internet-Nutzung wie der ICE.“

Ortwin Wanke hat ganz andere Erfahrungen gemacht. Der 49-Jährige organisiert Kongresse und Workshops für die Pharma- und Gesundheitsbranche und fährt beruflich mindestens zwei Mal pro Woche ICE, samstags auch privat zu Fußballbundesligaspielen nach Hannover. Er besitzt eine Bahncard 100 für die zweite Klasse zum Preis von 3.990 Euro pro Jahr. Er könne in der Bahn „größtenteils gut arbeiten oder entspannen“, sagt der freiberufliche Eventmanager aus Berlin.

Doch „größtenteils gut arbeiten“ schließt bei Wanke ein, dass er das ausgerechnet nicht zwischen Berlin und Hannover sowie Hamburg kann, wo er jede Woche mindestens einmal unterwegs ist. Hier sei das Internet im ICE „eine Katastrophe“, sagt Wanke. „Ich überlege ernsthaft, wieder auf den Flieger umzusteigen“ – trotz Flugangst.

Mit solchen Unzulänglichkeiten frustriert die Bahn ihre jüngeren und ihre zahlungskräftigsten Kunden. Aber offenbar spielen die Verantwortlichen bei der Bahn auf Zeit und hoffen auf den neuen superschnellen Mobilfunkstandard LTE. Dann können die Kunden über das Handynetz surfen, und die bislang nur halbherzig aufgebaute teure Bord-WLAN-Infrastruktur mit neuen Funkmasten an den Strecken wäre obsolet. Doch flächendeckend ist damit nicht vor 2015 zu rechnen.

Bahn-Bashing Teil des Geschäfts

Frust an der Bahnsteigkante - Im täglichen Betrieb fehlen der Bahn zwölf Fernzüge Quelle: dpa

Wohl kein Unternehmen muss sich mit so viel feindlich gesonnenen Kunden herumschlagen wie die Deutsche Bahn. Das „Bahn-Hasser-Buch“ oder die Spottschrift „Senk ju vor träwelling“ stehen für ein Phänomen, das in der deutschen Unternehmenslandschaft seinesgleichen sucht.

Einer, der Erklärungsversuche für die zahllosen Wutausbrüche an den Bahnsteigen und in den Zügen unternimmt, ist der Marktforscher Stephan Grünewald vom Kölner Rheingold Institut. Zwischen Kunden und Bahn gebe es ein „besonderes Verhältnis“, sagt der Psychologe. Die Deutsche Bahn sei kein „normales Unternehmen“. Sie werde vielmehr „als staatliche Instanz wahrgenommen, die den Menschen gehört“. Insofern glaube der Kunde, einen „staatlich verbrieften Anspruch“ auf Grundversorgung mit Transportleistung zu haben.

Persönliche Kränkung

Deutsche Bahn stellt den XXL-Güterzug vor
Der erste Güterzug der Deutschen Bahn (DB) mit 835 Meter Länge fährt in Seevetal auf dem Rangierbahnhof Maschen (südlich von Hamburg) ein. Auf der Strecke von Maschen nach Padborg an der dänischen Grenze fahren ab dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember diese gigantischen Güterzüge. Quelle: dapd
Die Mega-Züge erhöhen die Kapazität auf der wichtigen Transitstrecke nach Skandinavien pro Zug um zehn Waggons, wie die Deutsche Bahn AG mitteilte. Quelle: dapd
Der erste 835-Meter-Güterzug ist mit PKW beladen. Rund zehn Millionen Euro steckte die Bahn in die erforderlichen Infrastruktur-Anpassungen auf der 210 Kilometer langen Strecke von Maschen bis Padborg. In Dänemark sind die überlangen Züge schon länger erlaubt. Bislang mussten sie an der Grenze zu Deutschland aufgeteilt werden. Quelle: dapd
Mirko Pahl, Vorstand für die Produktion bei der DB Schenker Rail Deutschland AG, nannte die überlangen Züge einen ersten und wichtigen Meilenstein. Die Megazüge seien zwingend notwendig, "um die Produktivität im Schienengüterverkehr auf ein besseres und wettbewerbsfähigeres Level zu heben". Quelle: dapd
Doch 835 Meter sind noch nicht das Ende der Fahnenstange. Langfristig will die Bahn sogar Güterzüge bis zu 1500 Metern Länge einsetzen. Ein erstes Forschungsprojekt für die 1500-Meter-Züge soll 2013 gestartet werden, sagte Pahl. Quelle: dapd
Zunächst sollen die Züge mit Überlänge nur einmal in der Woche nach Padborg fahren, später dann häufiger, wie der "NDR" berichtete. Quelle: dapd

Daraus leitet Grünewald eine These ab, die für die Bahn seiner Ansicht nach einer Art Naturgesetz gleichkommt. „Unpünktlichkeit erleben viele Reisende als persönliche Kränkung“, sagt der Ergründer der Konsumentenseele. Denn anders als beim Auto, in dem sich das Individuum als Herr über das Verkehrsmittel wähne, meinten die Kunden bei der Bahn, mit dem Kauf einer Fahrkarte ihre Eigenständigkeit zu verlieren. „Im Zug fühlen sie sich dann ohnmächtig einem fremden Räderwerk ausgeliefert“, sagt Grünewald. „Verspätungen oder störende Mitreisende empfinden sie als Zuspitzung der Ohnmacht. Der artikulierte Ärger ist dann ihr Versuch, ein Stück Autonomie zurückzugewinnen.“

Bashing ist für Grünewald deshalb ein integraler Bestandteil des Bahn-Geschäfts, ja geradezu „unvermeidlich“. Weil Zugfahren ein „Akt partieller Selbstaufgabe“ sei, gewinne der Kunde „durch Bahn-Bashing wieder die Oberhand“.

Die Deutsche Bahn will das Problem in den Griff bekommen, indem sie versucht, Wutattacken ihrer Kunden die Spitze zu nehmen. Dazu hat sie in dem Kurznachrichtendienst Twitter den Kanal @db_bahn eingerichtet. Auf ihm können ungehaltene Reisende ihre Aggressionen in 140 Zeichen lesbar für alle Twitterer loswerden. Ein Twitter-Team aus rund einem Dutzend Mitarbeiter antwortet darauf in der Regel innerhalb von Minuten – in geschult höflichem Ton und inhaltlich kompetent.

Das Twitter-Team hätte die Entscheidung von Bahn-Fan Appelt, seine teure Bahncard 100 durch die viel preiswertere Bahncard 50 zu ersetzen, aber wohl kaum verhindern können. So testete die WirtschaftsWoche die Überredungskünste der Kundenberuhiger mit der Beschwerde: „Immer diese Verspätungen. Hätte gute Lust, meine Bahncard 100 zu kündigen. Was halten Sie von der Idee?“ Daraufhin kam von der Deutschen Bahn letztlich die Antwort: „Es tut mir leid, dass Sie von Verspätungen betroffen waren. Vielleicht geben Sie uns ja noch eine Chance.“

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