Peter Altmaier ist Angela Merkels Mann für die heiklen Fälle. Erst übernahm er nach Norbert Röttgens Demission als Umweltminister die Großbaustelle Energiewende, aktuell vertritt er die Interessen der Bundesregierung im Gezerre um eine mögliche Befragung Edward Snowdens im NSA-Untersuchungsausschuss, vermittelt zwischen Union und SPD in der Diskussion um Nachbesserungen bei der Rente mit 63. Auch am kommenden Samstag wird es Altmaier, der Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben, wieder mit einem besonders kniffligen Fall zu tun haben: Dem Allgemeinen Deutschen Automobilclub, kurz ADAC. Der krisengeschüttelte Autofahrerclub berät auf seiner Hauptversammlung in Saarbrücken, wie es nach Monaten in der Dauer-Kritik weiter gehen soll – und Altmaier wird einen der Vorträge halten.
Der Kanzleramtschef wolle „keine übliche Lobhudelrede“ vortragen, heißt es in seinem Umfeld, sondern dem Club ins Stammbuch schreiben, welche gesellschaftliche Verantwortung der größte Verein Deutschlands habe. Diese sei umso größer, weil der Club mit seinen knapp 19 Millionen Mitgliedern fast ein Monopol erreicht habe und ein Milliardenvermögen verwalte. Altmaier und seine Fachleute, so heißt es in Berlin, beobachten die Reformbemühungen des ADAC genau und werden die Ansprache entsprechend der Fortschritte justieren. Ein besonderer Blick gelte dabei der Vermögensverwaltung des ADAC, bei der es nach dem Eindruck des Kanzleramts noch Probleme gebe.
Sinnsuche nach dem Spießrutenlauf
Es ist nur ein Problemfeld von vielen. Was im Januar mit gefälschten Stimmzahlen beim Autopreis „Gelber Engel“ begann, hat sich für den ADAC zu einem öffentlichen Spießrutenlauf entwickelt. Das Image ist ordentlich angekratzt nach zahlreichen Berichten über Präsidiumsmitglieder, die Rettungshubschrauber für Dienstreisen nutzten, über einen Rettungsheli als Rasen-Föhn im Fußballstadion, dubiose Vergütungsmodelle für Pannenhelfer nach Anzahl verkaufter Ersatzbatterien und einiges mehr. Präsident Peter Meyer, Geschäftsführer Karl Obermair und Kommunikationschef Michael Ramstetter hat die Affäre den Job gekostet. In die Kritik gerieten auch die ausufernden Geschäfte des Clubs, fehlende Transparenz, mangelnde Kontrolle.
Jetzt soll alles besser werden. Der ADAC arbeitet an einer Strukturreform, als erstes wurde ein Beirat eingerichtet und prominent besetzt – unter anderem mit Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Edda Müller, der Deutschland-Chefin von Transparency International. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman arbeitet an den Reformen mit, die Großkanzlei Freshfields entwickelt eine Compliance-Struktur. Der Erste Vizepräsident August Markl, der derzeit nach dem Rücktritt von Peter Meyer das ADAC-Präsidium kommissarisch leitet, wird bei der Hauptversammlung am Samstag die bisherigen Ergebnisse der Reformbemühungen vorstellen, Edda Müller berichtet für den Beirat.
Noch keine Reformbeschlüsse
Konkrete Beschlüsse sind noch nicht zu erwarten, Abstimmungen über Satzungsänderungen etwa stehen nicht auf der Tagesordnung. Der ADAC macht kein Geheimnis daraus, dass in Saarbrücken nur der bisherige Verlauf des Reformprozesses diskutiert werden soll und wie dieser weitergeht – die entscheidenden Pflöcke der Neuausrichtung aber sollen erst auf einer außerordentlichen Hauptversammlung im Herbst eingeschlagen werden. Dann soll auch das Präsidium personell neu aufgestellt werden, Markl wird bis dahin kommissarisch am Steuer bleiben.
Über die derzeit wichtigste Strukturfrage für den Autofahrerclub entscheidet ohnehin nicht die eigene Hauptversammlung, sondern ein Rechtspfleger am Amtsgericht München. Dieses prüft derzeit als zuständiges Registergericht, ob der ADAC ein eingetragener Verein bleiben darf. Im Januar hatte eine Privatperson per Fax die Prüfung angeregt, damals sagte die Gerichtssprecherin: „Das wird kaum länger als einen Monat dauern." Doch so glatt wie gedacht geht die Prüfung nicht durch, inzwischen sind gut drei Monate vergangen und ein Ende ist immer noch nicht absehbar.
Als Idealverein genießt der ADAC Privilegien
Der ADAC habe eine Stellungnahme abgegeben, teilte die Sprecherin auf Anfrage der WirtschaftsWoche nun mit, das Gericht habe inzwischen eine ergänzende Stellungahme angefordert, auf die man derzeit warte. „Inhaltlich kann ich derzeit zum laufenden Verfahren nichts sagen“, erklärte die Sprecherin, das gelte auch für die voraussichtliche Verfahrensdauer.
Registergericht entscheidet wichtigste Zukunftsfrage
Vom Ausgang des Verfahrens hängt für den Autofahrerclub viel ab. Der ADAC ist zwar kein gemeinnütziger Verein, doch auch als so genannter Idealverein genießt er Privilegien. „Er darf zum Beispiel die Mitgliedsbeiträge steuerfrei vereinnahmen“ erklärt Rechtsanwalt Thomas Dehesselles von der Kanzlei Sonntag & Partner, ein Steuerrechtsspezialist, der zudem mit ähnlichen Konstruktionen wie dem ADAC bestens vertraut ist – er beriet zahlreiche Fußballvereine bei der Ausgliederung ihrer Profimannschaften in Kapitalgesellschaften.
Exakt diese grundsätzliche Struktur hat auch der ADAC: Ein eingetragener Verein als Mutter, der über Tochterfirmen – beim ADAC sind sie in der ADAC Beteiligungs- und Wirtschaftsdienst GmbH als Holding gebündelt – wirtschaftlich tätig ist. Dort sind zum Beispiel das Versicherungsgeschäft und die Autovermietung angesiedelt.
Diese Grundstruktur sieht Dehesselles durch die laufende Prüfung des Amtsgerichts beim ADAC nicht gefährdet. „Der Bundesgerichtshof hat diese Frage schon einmal beleuchtet“, sagt Dehesselles, „das Urteil ist zwar schon von 1982, aber immer noch maßgeblich. Die damalige Rechtsprechung hat Vereinen diese Möglichkeit ausdrücklich überlassen.“ Bisher könne er keine Anzeichen für eine Änderung der Rechtauffassung erkennen. „Der Rechtsprechung ist auch bewusst, was für ein Fanal sie setzen würde, wenn sie einen Verein zwingen würde, seine Tochtergesellschaften zu verkaufen.“ Konsequenterweise müssten dann alle Vereine mit Töchtern dazu gezwungen werden – was weitreichende Folgen hätte. Auch das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt oder etliche Sportvereine mit Profimannschaften etwa haben Tochterfirmen.
Kann der ADAC Idealverein bleiben?
Für den ADAC viel entscheidender als die Wirtschaftstöchter ist die Frage, wie das Amtsgericht München die Tätigkeit des Muttervereins bewertet – der hat nicht alle seiner Aktivitäten in die Wirtschaftstöchter ausgelagert. Er investiert sein Geld in Hilfeleistungen wie Pannenhilfe, Luftrettung und Notrufzentralen, in den Mitgliederservice (Betreuung, Geschäftsstellen, Telefonservice), den Bereich Information mit der Clubzeitschrift Motorwelt sowie in den Motorsport.
„Als Idealverein darf der ADAC nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgerichtet sein“, erklärt Rechtsanwalt Tobias Grambow von der Kanzlei Buse Heberer Fromm in Berlin, der regelmäßig in vereinsrechtlichen Fragen berät. „Ein Idealverein soll nicht Waren oder Dienstleistungen am Markt anbieten und er soll nicht gewinnorientiert agieren. Stattdessen soll er den in der Satzung festgelegten ideellen Zwecken dienen, etwa der Förderung des Sports oder der Kultur.“
Das Registergericht muss nun also zum Beispiel die Frage klären, ob eine Tätigkeit wie die Pannenhilfe ideellen Zwecken dient oder ob sie doch eher eine Versicherungsleistung ist – und somit nicht mit dem Status als Idealverein vereinbar. Die Abgrenzung ist keineswegs trivial. „Auch die wirtschaftliche Interessenvertretung kann ideelle Tätigkeit sein“, sagt Grambow, „die meisten Industrie- und Wirtschaftsverbände sind Idealvereine. Entscheidend ist, dass ein Verein nicht wie ein Unternehmen am Markt auftritt.“
In seiner Satzung hat der ADAC diverse ideelle Zwecke genannt, die Förderung des Kraftfahrwesens etwa, des Motorsports, des Tourismus, der Verkehrssicherheit oder der Luftrettung. Relevant ist dabei nicht nur, was in der Satzung steht, sondern auch die tatsächlich betriebene Tätigkeit.
Vereinsrechtliche Prüfung ist hoch kompliziert
Dehesselles kann Zweifel an der ideellen Tätigkeit durchaus nachvollziehen. „Viele Tätigkeiten aus dem ADAC e.V. heraus sind wirtschaftlich geprägt“, sagt der Rechtsanwalt. Doch die Sache ist noch komplizierter: Auch Idealvereinen sind wirtschaftliche Tätigkeiten nicht grundsätzlich untersagt. „Eine wirtschaftliche Betätigung ist für die Anerkennung als Idealverein unschädlich, wenn sie nicht Hauptzweck des Vereins ist“, sagt Grambow.
„Wenn die wirtschaftliche Betätigung einem ideellen Hauptzweck untergeordnet ist, greift das so genannte Nebenzweckprivileg.“ Dahinter steht die Logik, dass es für die bestmögliche Förderung des Hauptzwecks überaus nützlich ist, finanzielle Mittel zur Hand zu haben – und deshalb auf Einnahmen aus Nebenzwecktätigkeiten zurückgreifen zu können.
Doch was bei den Einnahmen eines Sportvereins aus dem Bier- und Bratwurstverkauf im Clubheim relativ simpel ist, ist beim ADAC mit seinen diversen Tätigkeiten und diversen ideellen Zwecken viel schwieriger zu beurteilen. Der zuständige Rechtspfleger am Amtsgericht ist um diese Prüfungsaufgabe nicht zu beneiden – zumal sein Ergebnis, wenn er sich für die Aberkennung des Vereinsstatus entscheidet, erhebliche Auswirkungen auf den Riesenverein hat.
Die sind mindestens so komplex wie der Registerfall ADAC. Das Gericht muss einem Verein eine beabsichtigte Löschung vorab mitteilen, der Verein hat dann Gelegenheit zur Stellungnahme. Bleibt das Gericht bei seiner Löschungsentscheidung, steht dem Verein der Rechtsweg über das Oberlandesgericht bis hin zum Bundesgerichtshof offen. Bis der Rechtsweg ausgeschöpft ist, wird die Löschung nicht vollzogen.
Löschung wäre nicht zwingend das Ende
Sofern das Gericht nicht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass der ADAC unverändert als Idealverein eingetragen bleiben kann, dürfte es bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung jedenfalls eine ganze Weile dauern. Denkbar ist auch, dass das Gericht Änderungen verlangt, etwa die Übertragung weiterer Tätigkeiten in die privatrechtlich organisierten Wirtschaftstöchter. Und selbst wenn am Ende eine Löschung aus dem Vereinsregister stehen sollte, würde das nicht zwingend das Ende des ADAC bedeuten.
Die Auflösung ist nur eine Möglichkeit, laut Satzung des ADAC müsste dann eine Hauptversammlung entscheiden, was mit dem Vereinsvermögen passieren soll. Die andere Option wäre ein Wechsel der Rechtsform. „Der Verein kann sich aber auch in eine Kapitalgesellschaft umwandeln, die Mitglieder würden dann Gesellschafter“, sagt Dehesselles. „Eine GmbH mit 19 Millionen Mitgliedern wäre ziemlich absurd, die Aktiengesellschaft wäre hier die naheliegende Rechtsform.“
Für die nächste Hauptversammlung stellen sich diese Fragen noch nicht. Am Samstag gibt es dennoch mehr als genug Stoff zum Diskutieren, auch Peter Altmaier wird seinen Senf dazu geben. Wie es in Berlin heißt, kommt er nicht als Vertreter der Bundeskanzlerin. Der Termin sei schon vor Ausbruch des ADAC-Skandals im Januar perfekt gemacht worden, der Club habe Altmaier gezielt angesprochen, da die Hauptversammlung in Saarbrücken und damit in Altmaiers Wahlkreis stattfindet.
Weil die Hauptversammlung ein Aufbruch zu neuen Ufern sein soll, wolle Altmaier seine Rede „aufmunternd kritisch“ anlegen. Das klingt ein bisschen wie die Quadratur des Kreises, aber nicht umsonst ist Altmaier ja der Mann für die schwierigen Fälle.