Was die Acqua-Klinik aber so einzigartig macht: Sie setzt nicht nur auf Digitalisierung und Ergonomie, hier führt auch ein klares OP-Steuerungsprogramm die Chirurgen durch die Operationen. Untersuchungen an der Uniklinik Leipzig hatten zuvor gezeigt, dass Operateure für denselben Eingriff unterschiedlich lange brauchten. Ein Chirurg operierte drei Mal länger als der flotteste Kollege, vor allem deshalb, weil er in anderer Reihenfolge vorging.
So etwas kann in der Acqua-Klinik nicht mehr vorkommen. Hier sind die verschiedenen HNO-Operationen standardisiert wie Fertigungsschritte in einer Fabrik. Das sei gar nicht so einfach durchzusetzen, so Strauß: „Chirurgen betrachten sich traditionell doch eher als Kunsthandwerker und nicht als Fließbandarbeiter.“
OP mit 43-Punkte-Plan
Das betrifft auch den Chef. Der bekommt auf dem Bildschirm im OP den 43-Punkte-Verlaufsplan einer Stirnhöhlen-Operation eingeblendet. Eine Assistentin sorgt permanent dafür, dass er sich daran hält. Sie hat neben den Bohrern und Fräsen auf dem Instrumententisch auch die Computermaus liegen, mit der sie die „erledigt“ Häkchen im Dokument setzt. „Du hast Foto Nummer zwei für den OP-Bericht noch nicht gemacht“, erinnert Rothe ihren Chef. Der brummelt ein „Ja“, in seinen Mundschutz und tritt auf das Fotopedal.
Die Standardisierung bringt eindeutige Vorteile: So hat sich die ursprüngliche OP-Zeit in Leipzig um 25 Prozent verkürzen lassen. Auch die Zahl der kritischen Zwischenfälle sei laut Klinik unter fünf Prozent gesunken. Gerade in ambulant operierenden Tageskliniken mit hoher Spezialisierung wie in der Gynäkologie oder Orthopädie biete sich solch eine Optimierung der Arbeitsabläufe an, meinte Gunter Trojandt, der Gründer des Partnerunternehmens SPI. Vier weitere Kunden hat er jedenfalls schon an der Angel, zwei Kliniken und zwei Ärzte. Auch international ist das Interesse groß: Gut 300 Gastchirurgen besuchen jedes Jahr die Vorzeigeklinik.
Um 10:34 stopft Gero Strauß Wattebäusche in die Nasenlöcher.
Die Operation ist beendet. Anästhesist Wiegel schwenkt seine Apparate über Eveline und weckt sie auf. Zusammen mit der Schwester bettet er sie auf eine fahrbare Trage und schiebt sie in den Aufwachraum. Auch der ist videoüberwacht, Wiegel hat die Patientin auch während der nächsten OP im Blick. Um 13.30 Uhr checkt die Frischoperierte aus und fährt mit ihrem Mann nach Hause. In der Zwischenzeit hat Strauß die Stellen im OP-Bericht nachgetragen, bei denen nicht alles nach Plan lief.
Wäre ein Voicerecorder wie in der Blackbox eines Flugzeug-Cockpits jetzt nicht hilfreich? Dann müssten die Operateure gerade die kritischen Momente nicht anschließend aus dem Gedächtnis rekapitulieren.
„Wir arbeiten daran“, sagt Strauß. In großen Häusern würde wohl der Betriebsrat Sturm laufen, so Strauß. Und er fürchtet, dass auch seine Mitarbeiter von der akustischen Rundum-Überwachung nicht begeistert sein werden. Wer einmal zugehört hat, worüber sich Chirurgen während des Operierens unterhalten, weiß warum.