Im Sommer gingen die Schmerzen wieder los: ein Stechen über Augen und Nase, die ganze Stirn entlang. Die 63-jährige Eveline Hollstein wusste, was das bedeutet: Ihre Stirn- und Nasennebenhöhlen waren wieder verstopft. Seit über 30 Jahren quält die ehemalige Buchhalterin aus Leipzig dieses Problem. Dreimal wurde sie schon operiert.
Jetzt überwies Hollsteins Hals-Nasen-Ohren-Ärztin die Rentnerin zu einer erneuten Operation – in eine neue HNO-Klinik in Leipzig, die Acqua-Klinik. Sie öffnete 2009, und ihre Initiatoren haben Großes vor: Sie wollen den Operationssaal neu erfinden.
Dafür haben Ärzte, IT-Spezialisten und Medizintechnikhersteller die Arbeit in den OPs der Leipziger völlig neu organisiert. Bislang nämlich verharren die Abläufe in vielen Kliniken tief im analogen Zeitalter. Zwar sind die Operationssäle mit High-Tech-Geräten und Bildschirmen ausgerüstet, die eine Unzahl von Diagnosedaten liefern. Doch diese Informationen laufen nirgends zusammen. „Chirurgen fällt es schwer, in dieser Informationsflut den Überblick zu behalten“, sagt Gero Strauß, der die Acqua-Klinik gegründet hat.
High-Tech-Cockpit
Der Leipziger hat daher ein System aus zig ineinander verflochtenen Steuerungsprogrammen entwickelt, das Chirurgen schrittweise durch Operationen führt. Die Technik warnt bei Problemen und liefert laufend notwendige Zusatzinformationen.
Eine Revolution. Schon nach wenigen Monaten zeigte sich, das System ist in der Lage, die Zahl chirurgischer Fehler zu reduzieren, die Eingriffe zu beschleunigen und sogar den Aufenthalt der Patienten in der Klinik zu verkürzen. Bei alledem arbeitet es hochrentabel: Trotz teurer High-Tech-Geräte hat Strauß die Acqua-Klinik schon im zweiten Jahr in die Gewinnzone geführt, eine Seltenheit in der deutschen Kliniklandschaft. 3000 überwiegend gesetzlich Versicherte, für die der Standard-Kassensatz berechnet wird, behandelte die Klinik im vergangenen Jahr, 2015 sollen es 6000 sein.
Das gehört alles zum High-Tech-Cockpit
Wo früher der Schädel aufgesägt wurde, führt der Chirurg heute Kaltlichtquelle, Kamera, Fräse oder Absauger in biegsamen Glasfaserschläuchen – endoskopisch – durch die Nase des Patienten in die Stirnhöhlen ein.
Der Operateur muss auf diesen Bildschirm schauen, um zu sehen, was er tut. Die Kamera filmt seine chirurgischen Geräte beim Fräsen, Saugen und Schließen der Wunde.
Der Kopf des Patienten ist aus verschiedenen Blickwinkeln auf computertomografischen Bildern zu sehen. Die Lage der Geräte wird live angezeigt.
Die Infrarot-Stereokamera kontrolliert anhand von Referenzpunkten, wo der Patient liegt und wo sich die chirurgischen Geräte und die Kamera befinden.
Neben dem Endoskopbild spielt der diensthabende Anästhesist Herzschlag und Atemfrequenz des Patienten auf. Daneben ist der in der Regel 43 Punkte umfassende Operationsplan zu sehen, den die OP-Schwester jederzeit im Blick hat. Per Computermaus bearbeitet die Schwester das Dokument.
Beatmungsgerät mit Schläuchen und Messgeräten für Herzschlag, Blutdruck, Atemfrequenz.
Das Leipziger System könnte in den nächsten Jahren daher weltweit zum Vorbild werden, auch bei größeren Kliniken. Denn alles, was es derzeit an moderner Technologie gebe, hätten die Leipziger sinnvoll in ihrer Klinik kombiniert, sagt Hubertus Feußner vom Klinikum der Technischen Universität München. Feußner ist Spezialist für das Chirurgical Workflow genannte Feld und sieht Strauß als Pionier.
Strauß und seine Technikpartner von dem Unternehmen Surgical Process Institute (SPI) und dem Medizintechnikspezialisten Karl Storz haben schon viel erreicht. Um noch viele weitere Ideen ausprobieren zu können, hat Storz in der Leipziger Klinik ein kleines Forschungszentrum mit großem Namen eingerichtet: das International Reference and Development Centre for Surgical Technology.
Um aber genau zu verstehen, wie das ausgeklügelte System der Leipziger funktioniert, haben wir Patientin Hollstein durch ihre gesamte Therapie begleitet.