Hilfsorganisation Warum SOS Kinderdorf harte Einschnitte braucht

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Managementteam an der Spitze

Mütter in Ksanarba Quelle: Benoit Chattaway für WirtschaftsWoche

Vyslozil müht sich mit Macht, die Organisation krisenfest zu machen. Um Skandalen wie bei Unicef 2008 vorzubeugen, bilanziert der HGFD jetzt freiwillig nach Handelsgesetzbuch – also „wie Siemens“, sagt der Unternehmensberater und frühere KPMG-Wirtschaftsprüfer Heiner Schumacher, der den HGFD bei der Umstellung unterstützte: „So transparent ist keine andere gemeinnützige Organisation.“

Mithilfe einer Gratisanalyse der Unternehmensberatung Boston Consulting Group hat SOS die globalen Führungsstrukturen verändert. Die Empfängerländer werden stärker in die Entscheidungsgremien eingebunden. Anstelle einsamer Entscheidungen an der Spitze fasst nun ein Managementteam in Innsbruck wie ein Konzernvorstand wichtige Beschlüsse. Gleichzeitig erfolgt ein Generationswechsel. Der 73-jährige Helmut Kutin, der selbst in einem SOS-Dorf aufwuchs und von Gründervater Hermann Gmeiner zum Nachfolger ernannt wurde, gab die Präsidentschaft von SOS International 2012 ab. Sein Amt übernahm der Inder Siddhartha Kaul, 59 – erstmals kein Europäer.

Tiefer Einschnitt in die DNA

Der Umbau wird auch die DNA von SOS verändern. Der österreichische Medizinstudent Gmeiner hatte die SOS-Kinderdörfer nach dem Zweiten Weltkrieg als Heimat für Kriegswaisen und als Gegenmodell zu Kinderheimen entwickelt – und daraus einen Exportartikel gemacht. Überall auf der Welt entstanden geschlossene Kinderdorf-Ensembles aus Familien-Häusern und Zusatzeinrichtungen. Das erste afrikanische Dorf wurde 1971 in Abobo-Gare an der Elfenbeinküste eröffnet. „Es war eine Kopie des Kinderdorfs von Imst in Österreich“, sagt Vyslozil.

Heute wirkt die Reproduktion der Kinderdorf-Idee fast postkolonial und ist vor allem teuer. Verstärkt fördert SOS deshalb inzwischen Kinder in besonders armen Herkunftsfamilien. Solche Programme in den Slums und Favelas helfen schon fünfmal so vielen Menschen, wie in SOS-Dörfern leben, und leisten entwicklungspolitisch mehr bei geringeren Kosten. In Wien und im argentinischen Cordoba unterhält SOS mittlerweile urbane Dörfer, die aus Wohnungen innerhalb eines Stadtviertels bestehen. In jeder lebt eine SOS-Mutter – selten ein SOS-Vater – mit einem halben Dutzend Kindern. Ein Dorf-Büro ist Anlaufstelle der SOS-Familien und Zentrum der Sozialarbeit im Viertel. „Kinderdorf 2.0“ nennt Vyslozil das Konzept.

So weit sind die SOS-Kinderdörfer in Beirut noch nicht. Aber landesweit unterstützen die vier Einrichtungen im Libanon auch 261 Familien. Ksarnaba-Chef Salman beispielsweise plant ein Sommercamp in seinem Kinderdorf für 150 Heranwachsende aus Ksarnaba. Verwitweten Müttern gibt er Kleinkredite für Nähmaschinen.

Und der „Ammo“ hat noch einen ganz persönlichen Plan. Denn er ahnt, wer Julias leibliche Mutter ist. Die möchte er in die Arbeit des Kinderdorfes einbeziehen. So würden Mutter und Tochter zueinander finden – allen Vorurteilen und Sitten im Libanon zum Trotz.

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