




Im Honorarstreit mit den gesetzlichen Krankenkassen wollen niedergelassene Ärzte in großem Stil ihre Praxen geschlossen halten. Patienten müssen sich noch im September auf Praxisschließungen für eine begrenzte Zeit gefasst machen. Notfälle sollen weiterbehandelt werden. Eine Urabstimmung unter den Medizinern habe eine eindeutige Mehrheit für solche Streikaktionen ergeben, verlautete am Donnerstag übereinstimmend aus Kreisen der Ärzteschaft. „Es ist ein ganz eindeutiges Votum“, sagte ein Verbandsvertreter der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin.
Den Patienten droht damit, dass ein großer Teil der knapp 90.000 Arztpraxen zeitweise geschlossen bleibt. Die Proteste der Ärzte richten sich gegen die gesetzlichen Krankenkassen. Die Mediziner beklagen, dass geplante Honorarsteigerungen fürs kommende Jahr zu gering ausfielen. Getragen werden die Proteste vor allem von Fachärzten. Ihre Funktionäre werfen den Kassen auch ein Übermaß an Bürokratie vor.
Viele Hausärzte stehen den Protesten zögerlich gegenüber. Sie setzen auf Hausarztverträge mit einzelnen Krankenkassen. Hausärzte, die nicht durch solche Verträge gebunden sind, hätten sich an der Ärztebefragung aber auch beteiligt und für Streiks gestimmt, hieß es bei einem Verband. Der Spitzenverband der Kassen reagierte mit Unverständnis. „Kernproblem ist die Verteilungsungerechtigkeit zwischen den Arztgruppen“, meinte der Verbandssprecher im Kurznachrichtendienst Twitter. „Streiks werden wohl kaum dabei helfen, dieses Problem zu lösen.“
In den laufenden Honorarverhandlungen gab es bisher den Beschluss, dass die Ärzte aufgrund einer leichten Erhöhung der Preise für ihre Leistungen im kommenden Jahr 270 Millionen Euro mehr bekommen sollen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) war in dem Gremium vom Kassenverband und einem unabhängigen Vorsitzenden überstimmt worden und klagt derzeit gegen den Beschluss. An diesem Samstag verhandelt das entscheidende Gremium, der Erweiterte Bewertungsausschuss, erneut. Es sollen noch mehrere hundert Millionen Euro dazukommen für die Anrechnung steigender Krankheitslasten in der Bevölkerung. Gefordert hatten die Ärzte 3,5 Milliarden Euro zusätzlich.
Während die KBV sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht an Streikaufrufen beteiligen wollte, organisierte eine wachsende Zahl freier Ärzteverbände die Proteste. Die Fäden dieser 30 Verbände laufen beim NAV-Virchow-Bund zusammen. Nach Ansicht des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte beschädigen die lautstarken Proteste und Streikandrohungen das Ansehen der Mediziner. „Dass ein Berufsstand, der insgesamt gut verdient, sich so aufführt, ist schädlich für die gesamte Ärzteschaft“, sagte der Vorsitzende Wulf Dietrich der dpa.
Dietrich kritisierte die Streikandrohungen. Die Ärzte wehrten sich sonst stets, als Angestellte der Krankenkassen betrachtet zu werden - doch Streiks seien gerade ein Mittel von Angestellten. Dietrich rief protestierende Ärzte dazu auf, ihren teils harschen Tonfall zu mäßigen. Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung ermahnte streikbereite Ärzte, Schwerstkranke von Protesten auszunehmen. „Es wäre für uns nicht zu akzeptieren, wenn Schwerstkranke auf einem Anrufbeantworter ihres niedergelassenen Arztes landen“, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Deshalb müssen die Ärzte Patienten der Pflegestufe 2 und 3 oder in der Sterbebegleitung ausdrücklich aus dem Streik heraushalten.“