Ohne Trockeneis geht es nicht. Hinter dem Begriff versteckt sich nichts anderes als Kohlenstoffdioxid, allerdings in fester Form. Bei normalem Luftdruck wird Trockeneis nicht wärmer als -78,6 Grad Celsius. Genau der Temperaturbereich, der bei dem Transport von Covid-19-Impfstoffen nötig sein könnte.
Die Impfstoffentwicklung macht große Fortschritte. Das deutsche Unternehmen Biontech mit Sitz in Mainz konnte diese Woche vermelden, dass der gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer entwickelte Impfstoff einen 90-prozentigen Schutz vor Covid-19 bietet – eine Sensationsmeldung. Doch mit den guten Neuigkeiten gehen auch schlechte einher: Der Impfstoff von Biontech beruht auf der neuartigen mRNA-Technologie. Noch gibt es kaum Daten zur chemischen Stabilität von solchen Impfstoffen. Um Risiken zu vermeiden, müsste der Wirkstoff deshalb bei Minus 80 Grad Celsius transportiert werden.
„Ultra Deep Freeze“ nennt man solche Temperaturanforderungen in der Logistik, „Ultratiefkühl“ auf deutsch. Nathan Zielke ist Berater und organisiert Lieferketten für Medizintechnikunternehmen, er weiß, wie schwierig solche Transporte sind. „Das ist die wohl anspruchsvollste Aufgabe, vor der die Logistik je stand“, sagt er. Auch nach einer aktuellen Umfrage der Luftfrachtorganisation TIACA fühlen sich derzeit nur 28 Prozent der Logistikunternehmen auf die Impfstoffverteilung gut vorbereitet.
Denn Ultratiefkühltransporte sind eher die absolute Ausnahme als die Regel. Selbst Spezialisten wie DHL, Kühne+Nagel und Lufthansa Cargo haben nur an einigen wenigen Standorten die Möglichkeit, Medizingüter bei minus 20 Grad zu lagern. Noch tiefere Temperaturen erreichen die Logistiker in ihren Lagern meist mit Trockeneis. Für den weiteren Transport wären Kühlboxen mit Trockeneis oder eigenen Kühlsystemen nötig. Am besten bieten diese auch die Möglichkeit, die Temperaturen elektronisch zu überwachen und aufzuzeichnen.
Solche Kühlboxen sind teuer. „Sie kosten etwa so viel wie ein Kleinwagen“, erklärt Joachim von Winning von der „Air Cargo Community“, in der sich Luftfrachtspediteure und Logistikunternehmen zusammengeschlossen haben. Normalerweise mieten die Unternehmen die Kühlboxen direkt von Herstellern wie Envirotainer aus Schweden oder Dokasch aus Deutschland.
Doch es ist unklar, ob es heute genügend Kühlboxen gibt. Laut einer Studie von DHL verlangt der weltweite Versand von zehn Milliarden Impfdosen immerhin den Einsatz von 15 Millionen Kühlboxen. Selbst wenn jedes Gerät fünf Mal genutzt würde, läge der Bedarf noch bei drei Millionen. „Das ist deutlich mehr als es im Moment gibt“, so ein Logistikinsider.
Und auch der Transport der Kühlboxen hat seine Herausforderungen. Arzneimittel und Medizinprodukte werden meist per Luftfracht transportiert. Die ist schnell, zuverlässig – aber auch teuer. Das gilt insbesondere in der Coronakrise, in der viele Passagierflugzeuge am Boden bleiben. Damit fällt auch der Transport im Bauch der Maschinen aus.
Von dem knappen Raum brauchen die Impfcontainer deutlich mehr Platz als normale Fracht. Um die extreme Kälte zu halten, sind sie die Ultrakühlboxen so dick isoliert, dass die Vakzine wohl bestenfalls ein Fünftel des Volumens ausmachen. Dazu gelten an Bord extreme Sicherheitsvorschriften für das Trockeneis, das aus giftigem Kohlendioxid besteht.
Etwa 15.000 Flugzeuge wären deshalb nötig, um die Impfdosen an alle Menschen weltweit zu verteilen, schätzt DHL in seiner Studie. Die Luftfahrtorganisation IATA hingegen spricht von nur 8000 Flugzeugen. So oder so: Luftfrachtkapazität ist Mangelware. Eigene Flotten mit Frachtflugzeugen haben nur Expressdienste wie FedEx, UPS oder DHL und auch manche Airlines wie die Lufthansa mit ihrer Tochter Lufthansa Cargo.
Am Flughafen Frankfurt laufen die Vorbereitungen deshalb auf Hochtouren. In Europa ist der Flughafen der größte Umschlagplatz für Luftfracht von kühlbedürftigen, sensiblen Pharmaprodukten in Europa. Insgesamt 13.500 Quadratmeter genau temperierbare Fläche stehen am Flughafen zur Verfügung. Die Lufthansa allein nutzt davon 8800 Quadratmeter.
Von diesen Lagerflächen aus könnte der in Europa produzierte Impfstoff in die ganze Welt geflogen werden. „Wir gehen für unsere Planung davon aus, dass wir hauptsächlich Exporte aus Europa heraus, etwa nach Afrika abzufertigen haben. Oder dass Impfstoffe aus Indien und China in Frankfurt umgeschlagen werden“, sagt Joachim von Winning von der Air Cargo Community. Das Konzept für die Abläufe sehe vor, dass bis zu fünf Flugzeuge gleichzeitig be- und entladen werden könnten. „Durch kurze Transportwege werden Temperaturschäden vermieden“, sagt Winning.
Noch herausfordernder wird der Transport auf der letzten Etappe zu den Lagern der Impfzentren. DHL schätzt, dass bisher nur 25 Länder über die nötige Infrastruktur verfügen, um Kühlketten von minus 80 Grad Celsius gewährleisten zu können. Damit wäre der Impfstoff nur für ein Drittel der Menschen gut zugänglich.
Noch hoffen viele, dass wenigstens nach den ersten Monaten neue Studienergebnisse zur Stabilität der Impfstoffe vorliegen und die strengen Temperaturvorschriften gelockert werden können. „Wesentlich praktikabler wäre die Zustellung auf der letzten Meile unter konventionellen Transportanforderungen (ausgehend von einer ausreichenden Haltbarkeitsdauer bei 2 bis 8°C)“, schreibt DHL.
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Noch seien die Probleme lösbar, beteuert die Branche. „Wir sind da nicht erst seit gestern, sondern seit Beginn der Pandemie mit den Pharmaunternehmen im Gespräch“, sagt Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post DHL. Man sei gut aufgestellt, „aber da werden sicherlich noch ein paar Kühlschränke besorgt werden müssen“, so Appel. Konkurrenten wie UPS und Kühne+Nagel haben die bereits gebaut. Auch die Lufthansa bringt sich in Stellung. „So traurig es ist, diese Krise und die Notwendigkeit von Impfen“, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr kürzlich, „das wird ein größeres Geschäft“.
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Mit Material von Reuters