In Brasilien Gericht entzieht Tüv Süd die Erlaubnis zur Zertifizierung von Dämmen

Helfer suchen nach Überlebenden und Opfern des Dammbruchs an einer Eisenerzmine. Quelle: dpa

Das erste Urteil zum Staudammunglück von Brumadinho ist gefällt: Ein Gericht entzieht Tüv Süd in Brasilien die Erlaubnis zur Zertifizierung von Dämmen und blockiert Vermögen des Konzerns in Höhe von 19 Millionen Reais (4,2 Millionen Euro). Das Urteil liegt der WirtschaftsWoche vor.

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Insgesamt will die Justiz für Schadenersatzforderungen bei der brasilianischen Tochter des Zertifizierers aus München 60 Millionen Reais, also etwa 13 Millionen Euro, blockieren. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Daten und Informationen von Tüv Süd über die Funktionsfähigkeit des im Januar geborstenen Staudamms „unzuverlässig waren und ohne die erforderliche Glaubwürdigkeit und technische Unparteilichkeit durchgeführt wurden“. Das Gericht folgt damit weitgehend dem Vorwurf des Staatsanwalts William Garcia Pinto Coelho, der dem deutschen Zertifizierer vorwirft, „die Aufsicht und das Risikomanagement von Staudämmen durch die öffentliche Hand absichtlich unterlaufen und beschädigt zu haben“.

Bei dem Staudammunglück am 2. Januar waren 238 Menschen getötet worden, 32 werden bis heute noch vermisst. Es ist das größte Bergbauunglück in der Geschichte Brasiliens. Tüv Süd hatte zuvor die Tauglichkeit des Rückhaltebeckens für Erzrückstände attestiert. Wie Makoto Namba, der verantwortliche Direktor von Tüv Süd in seinen Aussagen erklärte, sei Tüv Süd vom Bergwerkkonzerne Vale, dem Auftraggeber und Betreiber des Rückhaltebeckens, zu der positiven Zertifizierung gedrängt worden.

Einem anderen Zertifizierungsunternehmen hatte Vale zuvor der Auftrag entzogen, weil es sich geweigert hatte, den Staudamm als betriebstauglich einzustufen. Tüv Süd wird deswegen jetzt auch von Vale verklagt auf Vertragsbruch. „Wenn das Unternehmen ein fehlerhaftes Zertifikat ausgestellt hat, das bedeutet das, dass es den zwischen den Parteien unterzeichneten Vertrag nicht eingehalten hat. In der Anklageschrift heißt es: „Der erhobene Zeigefinger des Tüv-Süd-Direktors zeigt auf niemanden außer sich selbst.“

Die Schadenersatzforderungen von Vale könnten weit höher ausfallen, als die bisherigen von der Justiz gegen Tüv Süd blockierten Summen. Vale hat bei der Vorstellung der Quartalszahlen vor zehn Tagen Rückstellungen in Höhe von 19 Milliarden Reais, also rund 4,2 Milliarden Euro verkündet. Tüv Süd kann gegen das Urteil Berufung einlegen.

Susanne Fries, Bergbau-Expertin der Entwicklungshilfe-Organisation Misereor, kritisiert den Tüv Süd nach der Gerichtsentscheidung scharf: „Es deutet derzeit alles darauf hin, dass Tüv Süd Brasilien aus Profitgier seine professionelle Rigorosität vernachlässigt und so Menschenleben aufs Spiel gesetzt hat.“ Der Fall werfe grundlegende Fragen bezüglich der Verlässlichkeit von Zertifizierungsprozessen auf: „Zertifizierer sind keine unabhängigen Kontrollinstanzen, sondern Wirtschaftsunternehmen mit Profitinteressen. Deshalb fordern wir, dass die Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte ein Gesetz auf den Weg bringt, das Unternehmen, Prüfunternehmen, Banken und Versicherungen zur menschenrechtlichen Sorgfalt verpflichtet.“

Tüv Süd erklärte gegenüber der WirtschaftsWoche, dass das Unternehmen die Entscheidung des Gerichts derzeit überprüfe und danach über das weitere Vorgehen entscheiden werde. Aufgrund der laufenden Ermittlungen wolle Tüv Süd sich darüber hinaus nicht äußern.

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