Innovative Weingüter Warum Unternehmer als Quereinsteiger die besseren Winzer sind

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Seiteneinsteiger sind rasch erfolgreich

Zudem hilft die Bereitschaft Kapital zu binden. Wenn das gegeben ist, kann daraus auch in wenigen Jahren ein Weingut mit gutem Namen und geschätzten Weinen entstehen. Dabei geht es nicht um die sogenannten Promi-Weine. Der Rockmusiker Sting betreibt in der Toskana ein Weingut mit seiner Frau, räumt aber ein, davon keine Ahnung zu haben. Brad Pitts Wein Miraval gehört auch in diese Kategorie. Ebenso wie Projekte der Schauspieler Matthias Schweighöfer und Joko Winterscheidt. Günther Jauch gibt zwar seinen Namen für einen Wein bei Aldi her, ist sich aber als eigener Weingutsbesitzer nicht zu schade, die Tropfen seine Weinguts von Othegraven an der Mosel selbst bei Verkostungen zu präsentieren. Er sagte schon 2014 dem Magazin Brand Eins: „Meine Mittel reichen nicht ewig aus, ein Betrieb, der nicht funktioniert, hat nur eine begrenzte Erotik.“

Es ist jedoch etwas ganz anderes, was die erfolgreichsten Seiteneinsteiger der Branche verfolgen. Der Spross der Bitburger-Dynastie Roman Niewodniczanski hat an der Saar das Weingut Van Volxem an die deutsche Spitze geführt, das Investorenpaar Christine Dinsel und Jens Reidel das Gut Hermannsberg an der Nahe. Thomas Hensel aus der Pfalz gelang es mit dem Weingut Odinstal die biodynamische Anbauweise in der Spitze weiter zu etablieren. Der ehemalige Textilunternehmer Detlev Meyer (Cecil und Street One) begann mit einem Einstieg bei Jaques‘ Weindepot, ist heute Mehrheitseigner von Hawesko und besitzt unter anderem das Rheinhessische Weingut St. Antony in Nierstein, das bis 2005 zu MAN gehörte. Dort bekommt er für seinen Blaufränkisch (Lemberger) Applaus.

Knapp 40 Kilometer weiter südlich von Nierstein ist das wohl umfassendste Projekt eines Unternehmers als Weingutsbetreiber zu besichtigen. Das pfälzische Deidesheim ist Nukleus eines Reichs aus Weingütern (Bassermann-Jordan, von Buhl, von Winning) und Restaurants, das der Unternehmer Achim Niederberger seit 2002 aufbaute. Es wird seit seinem Tod 2013 von seiner Frau weitergeführt. Niederberger gelang es, den Kellermeister des Champagnerhauses Bollinger, Mathieu Kauffmann, in die Pfalz zu locken, der dort inzwischen hochgelobte Sekte produziert.

„Man baut sich einen Vermögensposten auf“, sagt Maret, dem klar ist, dass die Früchte seiner Arbeit vielleicht erst die folgende Generation in voller Blüte erleben werden. Sein Kollege Robert Wurm möchte am Rheingau nicht so lange warten. Wurm startete eine Karriere, die ihn zuletzt in die Führungsebenen bei Contitech führte, bevor er sich entschloss, ein Weingut zu übernehmen. Es ist seit 2014 nach ihm benannt, die auffälligen schlanken Etiketten sind angelehnt an die Schrift Koreas, wo Wurm viel Zeit seines Lebens verbracht hat. Seine Leidenschaft ist die Stock-Kampfkunst Kendo.

„Diese Kampfkunst hat ein Prinzip: Wenn der Entschluss gefasst ist, wird er durchgezogen“, sagt Wurm, der auch sein Erspartes in das Weingut steckte. „Es gibt nur eine Zeit, wo ich nicht aufs Wetter schaue: November bis Ende Februar“, sagt Wurm, der eines mitgenommen hat in der Arbeit mit der Natur – „man kann es nicht ändern“. Früher habe er viel gearbeitet – heute aber von März bis Oktober eine Siebentage-Woche.

Wurm hat sich wie die meisten Quereinsteiger einen Kellermeister engagiert, der die nötigen Kenntnisse für die Bewirtschaftung der Weinberge und Ausbau besitzt. Dafür hat Wurm Struktur in den Betrieb eingeführt, die er von den Mergers & Acquisition-Prozessen aus seiner vorigen Berufslaufbahn kannte. Priorisierung, Effizienzgewinne sind seine Themen „es sind manchmal nur Kleinigkeiten, die sich dann addieren.“ Das reicht von der Anordnung der Gitterboxen im Keller beim Abfüllen bis zum Errechnen des Kraftstoffverbrauchs für die Maschinen. „Wir arbeiten formal konventionell, mit so wenig Eingriff wie möglich. Denn jede Pflanzenschutzmaßnahme kostet einen Haufen Geld“, sagt Wurm.

Wie der Wein sein soll, weiß Wurm – wie das Ziel erreicht werden soll, erfährt er ständig: „Ich lerne jeden Tag dazu.“ Besonders im Vertrieb hat Wurm sich rasch orientiert und einen Webshop aufgezogen, dessen Funktionalität manches Spitzenweingut blass aussehen lässt.

Ein großes Vermögen hilft sehr, ein eigenes Weingut auf die Beine zu stellen. Doch auch als Nebenerwerbswinzer gelingt es Unternehmern, Spuren in der Weinszene zu hinterlassen. Christoph Ziegler hat eine Kommunikationsagentur in Bad Dürkheim mitgegründet, die sich auf Weingüter als Kunden spezialisiert hat. „Es ist ein leidenschaftliches Investment“, sagt Ziegler, der sich für sein Weingut vor vier Jahren 10.000 Euro beiseite gelegt hatte. Es heißt Collective Z und bricht mit zahllosen Usancen der Weinindustrie. „Unser Konzept ist gut durchdacht und es heißt nicht nur low intervention, sondern es bedeutet auch, dass wir nicht in die Weinbereitung eingreifen mit Hilfsmitteln oder Technik. Das gab es hier so nicht, in dieser Nische sehe ich eine Chance“, sagt Ziegler, der mitnichten die Winzerei als Liebhaberei betreiben will.

„Wir haben jetzt 1,5 Hektar, das wollen wir auf 2,5 Hektar ausbauen“, sagt Ziegler, dann trüge sich das Weingut. Schon jetzt hat er - nicht zuletzt dank seiner Marketingkenntnisse - die 7000 Flaschen, die er vom Jahrgang 2018 produziert, schon verkauft. „Die Aufmerksamkeit für unser Weingut ist größer als die Fläche ahnen lässt“, weiß Ziegler. Dazu trägt bei, dass die zur Gattung der Naturalweine gehörenden Weine mehr Kommunikation benötigen als andere. „Der Begriff ist irreführend, es ist ein Kulturgut, das wir herstellen“, sagt Ziegler, der statt zu Joggen in seiner Freizeit in den Weinberg geht.

Ziegler kann sich seine Vorstellungen von naturnahem Weinbau leisten, da nicht seine Existenz dran hängt. Er hat die Freiheit, seine Vorstellungen umzusetzen und Zeichen zu setzen für nachhaltige Landwirtschaft, in einem Land, in dem der Durchschnittspreis für einen Liter Wein gestiegen ist – auf 3,09 Euro.

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