Innovative Weingüter Warum Unternehmer als Quereinsteiger die besseren Winzer sind

Weingutsbesitzer Hans Maret in einer seiner Toplagen seiner Domaine Reverchon an der Saar. Quelle: PR

Sie sind Wirtschaftsprüfer, Ingenieure, Anwälte oder Banker – als Weingutsbesitzer verfolgen Seiteneinsteiger Businesspläne und gehören zu den Innovationstreibern in der traditionell geprägten Weinbranche.

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Hans Maret spricht nicht wie andere Winzer, wenn er von seinem Geschäft erzählt. Es fallen Sätze wie „Es gibt in der Branche substantiellen Innovationsstau.“ Maret spricht von kleinen Margen, Aufbau eines Vermögenspostens, Amortisation von Investitionen, die sich zumindest abschreiben ließen. Maret war einst bei Privatbank Sal. Oppenheim und Unternehmensberater Arthur Andersen und ist heute im Investment Advisory Committee der Private-Equity-Gesellschaft Triton-Partners. Da spricht man so.

Im Herbst allerdings, wenn die Blätter an den Weinbergen sich verfärben, fährt Maret gerne in seine Heimat an der Saar zurück. In Konz-Filzen hat er vor Jahren das Weingut Domaine Reverchon übernommen. Und er führt es nicht viel anders als die Unternehmen, die er in seiner ersten Profession betreut, nämlich im Sinne des Mottos von Triton: „Building Better Businesses“.

In deutschen Weingütern hapert es oft an guter Führung der Geschäfte. Es sind Seiteneinsteiger wie der von der Liebe zum Wein angetriebene Maret, die binnen vergleichsweise kurzer Zeit Dinge bewegen in ihren Betrieben, wichtige Impulse setzen und die oft recht behäbig agierende Branche beeinflussen und Romantik und Geschäfte erfolgreich vereinen.

Deutsche Winzer geraten ins Hintertreffen

Wenn sich Mitte März in Düsseldorf bei der ProWein die Weinwirtschaft der Welt trifft, dann werden immer weniger Winzer aus Deutschland angesprochen. In Deutschland schrumpfte die Zahl der Weinbaubetriebe von rund 20.500 in 2010 auf rund 16.000 in 2016, darunter zahlreiche Nebenerwerbsbetriebe. Bei gleicher Rebfläche stieg die Zahl der großen Betriebe und sank deutlich in den kleinen Kategorien 0,5 bis einen Hektar und ein bis drei Hektar. Der Weinbau konsolidiert sich.

Doch auch in den größeren Betrieben fehlt oft der Nachwuchs. Vielfach haben Familien mit der Hilfe von Verwandten und Freunden sich über die Wirtschaftlichkeit ihres Weinbaus keine Gedanken gemacht und die eigene Arbeit nicht kalkuliert. Die nachkommende Generation hat oft keine Lust, dieses Leben zu führen.

Oder sie verspürt keine Lust mit der Elterngeneration zu streiten über die richtige strategische Ausrichtung des Weinguts, das oft einen vollständigen Austausch der Kundschaft bedeutet.

Unternehmer als Quereinsteiger haben es da leichte – sie müssen keine Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten der Verwandtschaft und sich in ihren Büros keine Gedanken machen, was in der Gemeinde getuschelt wird.

Das ist auch einer der wesentlichen Vorteile, die Natascha Popp beim Erwerb eines Weinguts sieht. Popp ist geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensberatung „die weinräte“ in Geisenheim. Sie informiert Interessenten, was sie mit - in Marets Worten - „Long Haul Asset Allocation“ erwarten dürfen. Keine großen Gewinne, viel Arbeit und Abhängigkeit von der Natur. „Man muss unterscheiden zwischen Kopf und Bauch. Alle sagen, sie wollen nur wirtschaftlich haltbare Entscheidungen treffen“, sagt Popp. „Es gibt aber Branchen, in denen man schneller Geld verdient. Idealismus und Liebe muss da sein.“

Seiteneinsteiger sind rasch erfolgreich

Zudem hilft die Bereitschaft Kapital zu binden. Wenn das gegeben ist, kann daraus auch in wenigen Jahren ein Weingut mit gutem Namen und geschätzten Weinen entstehen. Dabei geht es nicht um die sogenannten Promi-Weine. Der Rockmusiker Sting betreibt in der Toskana ein Weingut mit seiner Frau, räumt aber ein, davon keine Ahnung zu haben. Brad Pitts Wein Miraval gehört auch in diese Kategorie. Ebenso wie Projekte der Schauspieler Matthias Schweighöfer und Joko Winterscheidt. Günther Jauch gibt zwar seinen Namen für einen Wein bei Aldi her, ist sich aber als eigener Weingutsbesitzer nicht zu schade, die Tropfen seine Weinguts von Othegraven an der Mosel selbst bei Verkostungen zu präsentieren. Er sagte schon 2014 dem Magazin Brand Eins: „Meine Mittel reichen nicht ewig aus, ein Betrieb, der nicht funktioniert, hat nur eine begrenzte Erotik.“

Es ist jedoch etwas ganz anderes, was die erfolgreichsten Seiteneinsteiger der Branche verfolgen. Der Spross der Bitburger-Dynastie Roman Niewodniczanski hat an der Saar das Weingut Van Volxem an die deutsche Spitze geführt, das Investorenpaar Christine Dinsel und Jens Reidel das Gut Hermannsberg an der Nahe. Thomas Hensel aus der Pfalz gelang es mit dem Weingut Odinstal die biodynamische Anbauweise in der Spitze weiter zu etablieren. Der ehemalige Textilunternehmer Detlev Meyer (Cecil und Street One) begann mit einem Einstieg bei Jaques‘ Weindepot, ist heute Mehrheitseigner von Hawesko und besitzt unter anderem das Rheinhessische Weingut St. Antony in Nierstein, das bis 2005 zu MAN gehörte. Dort bekommt er für seinen Blaufränkisch (Lemberger) Applaus.

Knapp 40 Kilometer weiter südlich von Nierstein ist das wohl umfassendste Projekt eines Unternehmers als Weingutsbetreiber zu besichtigen. Das pfälzische Deidesheim ist Nukleus eines Reichs aus Weingütern (Bassermann-Jordan, von Buhl, von Winning) und Restaurants, das der Unternehmer Achim Niederberger seit 2002 aufbaute. Es wird seit seinem Tod 2013 von seiner Frau weitergeführt. Niederberger gelang es, den Kellermeister des Champagnerhauses Bollinger, Mathieu Kauffmann, in die Pfalz zu locken, der dort inzwischen hochgelobte Sekte produziert.

„Man baut sich einen Vermögensposten auf“, sagt Maret, dem klar ist, dass die Früchte seiner Arbeit vielleicht erst die folgende Generation in voller Blüte erleben werden. Sein Kollege Robert Wurm möchte am Rheingau nicht so lange warten. Wurm startete eine Karriere, die ihn zuletzt in die Führungsebenen bei Contitech führte, bevor er sich entschloss, ein Weingut zu übernehmen. Es ist seit 2014 nach ihm benannt, die auffälligen schlanken Etiketten sind angelehnt an die Schrift Koreas, wo Wurm viel Zeit seines Lebens verbracht hat. Seine Leidenschaft ist die Stock-Kampfkunst Kendo.

„Diese Kampfkunst hat ein Prinzip: Wenn der Entschluss gefasst ist, wird er durchgezogen“, sagt Wurm, der auch sein Erspartes in das Weingut steckte. „Es gibt nur eine Zeit, wo ich nicht aufs Wetter schaue: November bis Ende Februar“, sagt Wurm, der eines mitgenommen hat in der Arbeit mit der Natur – „man kann es nicht ändern“. Früher habe er viel gearbeitet – heute aber von März bis Oktober eine Siebentage-Woche.

Wurm hat sich wie die meisten Quereinsteiger einen Kellermeister engagiert, der die nötigen Kenntnisse für die Bewirtschaftung der Weinberge und Ausbau besitzt. Dafür hat Wurm Struktur in den Betrieb eingeführt, die er von den Mergers & Acquisition-Prozessen aus seiner vorigen Berufslaufbahn kannte. Priorisierung, Effizienzgewinne sind seine Themen „es sind manchmal nur Kleinigkeiten, die sich dann addieren.“ Das reicht von der Anordnung der Gitterboxen im Keller beim Abfüllen bis zum Errechnen des Kraftstoffverbrauchs für die Maschinen. „Wir arbeiten formal konventionell, mit so wenig Eingriff wie möglich. Denn jede Pflanzenschutzmaßnahme kostet einen Haufen Geld“, sagt Wurm.

Wie der Wein sein soll, weiß Wurm – wie das Ziel erreicht werden soll, erfährt er ständig: „Ich lerne jeden Tag dazu.“ Besonders im Vertrieb hat Wurm sich rasch orientiert und einen Webshop aufgezogen, dessen Funktionalität manches Spitzenweingut blass aussehen lässt.

Ein großes Vermögen hilft sehr, ein eigenes Weingut auf die Beine zu stellen. Doch auch als Nebenerwerbswinzer gelingt es Unternehmern, Spuren in der Weinszene zu hinterlassen. Christoph Ziegler hat eine Kommunikationsagentur in Bad Dürkheim mitgegründet, die sich auf Weingüter als Kunden spezialisiert hat. „Es ist ein leidenschaftliches Investment“, sagt Ziegler, der sich für sein Weingut vor vier Jahren 10.000 Euro beiseite gelegt hatte. Es heißt Collective Z und bricht mit zahllosen Usancen der Weinindustrie. „Unser Konzept ist gut durchdacht und es heißt nicht nur low intervention, sondern es bedeutet auch, dass wir nicht in die Weinbereitung eingreifen mit Hilfsmitteln oder Technik. Das gab es hier so nicht, in dieser Nische sehe ich eine Chance“, sagt Ziegler, der mitnichten die Winzerei als Liebhaberei betreiben will.

„Wir haben jetzt 1,5 Hektar, das wollen wir auf 2,5 Hektar ausbauen“, sagt Ziegler, dann trüge sich das Weingut. Schon jetzt hat er - nicht zuletzt dank seiner Marketingkenntnisse - die 7000 Flaschen, die er vom Jahrgang 2018 produziert, schon verkauft. „Die Aufmerksamkeit für unser Weingut ist größer als die Fläche ahnen lässt“, weiß Ziegler. Dazu trägt bei, dass die zur Gattung der Naturalweine gehörenden Weine mehr Kommunikation benötigen als andere. „Der Begriff ist irreführend, es ist ein Kulturgut, das wir herstellen“, sagt Ziegler, der statt zu Joggen in seiner Freizeit in den Weinberg geht.

Ziegler kann sich seine Vorstellungen von naturnahem Weinbau leisten, da nicht seine Existenz dran hängt. Er hat die Freiheit, seine Vorstellungen umzusetzen und Zeichen zu setzen für nachhaltige Landwirtschaft, in einem Land, in dem der Durchschnittspreis für einen Liter Wein gestiegen ist – auf 3,09 Euro.

Vom Schreibtisch in den Weinberg

Der Münchener Wirtschaftsprüfer Hans Kilger ist über die Viehzucht zum Weinbau gekommen. „Die Finanzkrise hat mich zu einem großen Pessimisten bezogen auf die Kreditwirtschaft gemacht“, sagt Kilger, dessen Großvater zwei Weltwirtschaftskrisen erlebt hat. „Niemals unter die Räder gekommen sind die Landwirte“, sagt Kilger. Er züchtete Bisons, Büffel, Rothirsche, Yaks oder Mufflons, die in Landgütern in Siebenbürgen und der Steiermark wie in freier Wildbahn leben.

Ein Besuch beim Weinmacher Manfred Tement in der Steiermark ließ Kilger die Idee des eigenen Weinguts entwickeln. „Ich hatte mir eingebildet, ich hätte dann schön ein Häuschen mit Weingut dazu“, sagt Kilger.

Doch der Unternehmer erkannte rasch, dass das so nicht geht. „Ich habe dann mit dem Winzer Christian Reiterer die Köpfe zusammengesteckt. Ich habe meine Vorstellung eingebracht, wo ich einen Markt sehe und wie der Vertrieb aufzubauen sei“, sagt Kilger. „Ich habe das einmal durchgerechnet. Ich kann da aus meiner Haut nicht raus. Wenn ich ein Business sehe, dann bildet sich ein Businessplan aus“, sagt Kilger, der seinen Weinmachern den Rücken frei halten will, damit die „Liquiditätsprobleme nur die beste Genussqualität im Blick“ haben, wie es auf der Homepage heißt.

Er verzichtete auf den üblichen Weg über ein wenig Verkauf ab Hof, einem Netz aus Händlern oder den Weg über den Lebensmittelhandel. Kilger verkauft seine Weine in seinen eigenen Läden und gastronomischen Betrieben. „Ich betrachte Weinbau betriebswirtschaftlich als Langfristproduktion. Wenn man den Anspruch durchführen will, dann muss man auch investieren. Liebhaberei, das passt nicht zu meinem Naturell“, sagt Kilger. Über seine „Distributions- und Dienstleistungsgesellschaft“ sind Kilgers Weine erhältlich – neben anderen Marken im Food und Drinks-Bereich.  

„Die Quereinsteiger sind am offensten für die Welt der Arbeitsteilung“, sagt Natascha Popp von der Beratung „die weinräte“. Wann mache es Sinn, Arbeit zu delegieren, welche Maschinen müssen selber angeschafft werden, wo lohnt sich Leihen. Je nach Region könnten sich die Unternehmer im Weinberg auf ausreichend Infrastruktur von Lohndienstleistern verlassen. „Der klassische Winzer hängt am Weinberg“, sagt Popp, „aber Abfüllen ist emotionslos.“

Die Gefühle spielten aber auch bei den nüchternsten Seiteneinsteigern eine Rolle. „Betriebswirtschaftlich mag es interessant sein, im Supermarkt zu stehen“, sagt Popp. Gerade erfolgreiche Geschäftsleute müssten oft lernen, dass in der Weinbranche andere Gesetze gelten und die Rezepte der eigenen Branche in der Weinproduktion nicht eins zu eins übertragen sind. Nicht jeder kann im Premiumsegment landen, schließlich muss ein gewisser Kapitaldienst erwirtschaftet werden. „Mit welchen Weinen möchte man identifiziert werden?“, sagt Popp.

Hans Kilger, Christoph Ziegler, Robert Wurm und Hans Maret haben sich entschieden und damit schon nach kurzer Zeit Spuren hinterlassen und Duftmarken setzen können.

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Hans Maret hat dafür, und auch um die für ihn kritische Betriebsgröße von gut 30 Hektar zu erreichen, neue Weinberge dazugekauft. „Das sind die besten Lagen, weil ich nur oben bin. Das war schon ein toller Coup, das Premiumstückchen an Land zu ziehen“, sagt Maret, der heute leidenschaftlich über die Besonderheiten der Saar-Weine referieren kann. Er habe jetzt „drei richtige Flagship-Weinberge“ und man hört die Freude über die seiner Ansicht nach großartigen Ausgangsvoraussetzungen für Top-Qualitäten. „Die Saar-Toplagen-Qualität decke ich ab“, schwärmt er für die Rebflächen, die dank der Höhe auch in einem heißen Jahr wie 2018 Marets Wünsche erfüllen. „Das war für uns dort ein Jahrhundertjahrgang“, sagt Maret und klingt dann exakt wie alle Winzer.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Jahr 2019 bei der WirtschaftsWoche. Wegen des Leserinteresses zeigen wir ihn erneut.

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